Die digitale Kultur ist ohne Alternative

zu Kerstin Griese und Harald Schrapers, Malefiz mit Digitalisten, Berliner Republik 3/2009l

Computerspiele sind Bestandteil unserer audiovisuellen Realität. Zusammen mit dem Internet sind sie im Begriff, das Fernsehen als Leitmedium abzulösen. Kluge Kulturpolitik sollte diese Entwicklung anerkennen und nicht bekämpfen. Dies gilt übrigens auch für die Jugendschutzpolitik, die sich schon zu lange mit eindimensionalen Verbotsdiskussionen und Kompetenzrangeleien auf Länderebene aufhält.

Nur wenn wir uns gedanklich auf die Existenz einer digitalen Kultur einlassen, können wir auf diesem Gebiet Politik gestalten. Nur dann können wir die virtuellen Wirklichkeiten verstehen, die heute die Denkweise und Wertewelt unserer Gesellschaft stärker prägen, als viele vermuten. Künftig werden virtuelle und „reale“ Welten immer weiter ineinander übergehen. Ein Beispiel dafür sind Computerspiele, die über GPS den Standort der Spieler in der realen Welt ermitteln.

Gerade die SPD sollte für diese kulturellen Veränderungen sensibler werden. Konstruktive und realisierbare politische Ansätze müssen der vielfach vorherrschenden Sprachlosigkeit zwischen den Generationen und hilflosen beziehungsweise schädlichen Verbotsstrategien weichen. Das politische Ziel muss die Vielfalt sein. Denkbar wären zum Beispiel öffentlich-rechtliche virtuelle Welten, ähnlich dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder der Filmförderung. Zurzeit ist es dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk bedauerlicherweise per Rundfunkstaatsvertrag verboten, Computerspiele ohne Sendungsbezug in Auftrag zu geben. Als erster Schritt sollte dieses Verbot aufgehoben werden.

Heute ist das Internet die Basis unserer Kommunikation und vieler Innovationen. Gerade Browsergames aus Deutschland sind zurzeit international außerordentlich erfolgreich. Ihre piraterieresistenten Geschäftsmodelle können anderen Medien als Blaupause für den jeweiligen Digitalisierungsprozess dienen. Wenn wir die Politik tatsächlich stärker an den Lebenswirklichkeiten der Menschen ausrichten und keine Rentnerpartei sein wollen, dann müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass die Angst vor dem Internet oder vor Computerspielen keine politische Kategorie sein darf. Wenn es um die Freiheit des Internets geht, kann es eben nicht sein, dass das Internet nur „so frei wie möglich“ ist. Digitale Kultur kann nur bestehen, wenn sie die ihr immanenten Freiräume auch erhält: Ein gewisser Kern muss unantastbar bleiben.

Es war die Große Koalition, die Computerspiele in Form des Deutschen Computerspielepreises erstmals staatlich anerkannte. An dieser Stelle ist die Arbeit der SPD-Bundestagsfraktion nicht zu unterschätzen; auch die Union hat sich für die digitale Kultur beträchtlich engagiert. Doch interessanterweise profitieren heute andere Parteien davon: Besonders die FDP und die Grünen stehen für Freiheit im Internet, für digitale Kultur und ein positives, zukunftsorientiertes Verständnis von Computerspielen.

Aus Sicht der deutschen Entwickler von Computerspielen sendet der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag in Bezug auf die digitale Kultur wesentlich positivere Signale aus als der Koalitionsvertrag der Großen Koalition, der Computerspiele noch vor allem als Objekt des Jugendschutzes begriffen hatte. Für mich persönlich ist diese Entwicklung ein Beispiel für die Schlangenlinien, die die SPD in ihrem Modernisierungsprozess durchlebt. Sie leistet die Kärrnerarbeit, aber duckt sich weg, wenn es ums Ernten geht. Man könnte auch sagen, sie lässt sich die Butter vom Brot nehmen. Die romantisierende Vorstellung jedenfalls, dass Studenten von heute noch wie in den siebziger Jahren fröhlich um ein Brettspiel sitzen sollten, hat sicherlich ihre Berechtigung, bleibt aber ein Traum. Denn zur digitalen Kultur gibt es keine Alternative. Kluge Politik beschäftigt sich lieber mit Realitäten. «

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