Deutschland: Ein Versuchskaninchen auf der Fährte in die Zukunft



Fünf Jahre Berliner Republik: Erst fünf Jahre? Was, schon fünf Jahre? Reden wir über die Zeitschrift: In nur fünf wenigen Jahren all diese Fülle von interessanten Beiträgen, Denkanstößen, neu entdeckten Autoren? Auch die Offenheit, das nach dem Problem und nicht nach dem Anlass für die geliebte Antwort Suchende? Glückwunsch den Machern dieses Blattes – dem Chefredakteur, dem Beirat, den Autoren. Vor allem aber den Leserinnen und Lesern.


Reden wir über den Titel. Wer seine Zeitschrift so nennt, will einen Geist verkörpern. Doch dieser Geist muss erst noch gefunden werden. Der Geist der Berliner Republik spricht nicht aus einer existenten Berliner Republik, er konstruiert sich im Schreiben und Lesen selbst als der Geist eines im Entstehen begriffenen Gemeinwesens. Sicher, der Begriff geht um, seit der westdeutschen Bonner Republik 1989/90 der Gegenentwurf abhanden kam. Wer damals darauf aufmerksam machen wollte, dass die alte, rheinisch zentrierte Bundesrepublik nicht nur größer geworden sei, sondern wohl auch anders werden würde, werden müsse, der griff nach der Formel von der Berliner Republik. Und wurde schnell belehrt, welch erfolgreiches Modell sich doch gerade durchgesetzt habe. „Ihr seid einfach übrig geblieben aus dem kurzen 20. Jahrhundert“, murmelte dann unsereiner. Und das war´s. Zunächst.

Nach Kohl kehrten die siebziger Jahre zurück

Einen der weitsichtigsten Gedanken der Wendezeit von 1989/90 äußerte damals ein Schweizer, der Wirtschaftswissenschaftler Henner Kleinewefers. Er zeigte sich (in der Weltwoche vom 4.1.1990) „einigermaßen verblüfft, dass bei der Diskussion um die Liberalisierung in Osteuropa und der DDR im allgemeinen und um die Wiedervereinigung im besonderen praktisch nur davon die Rede ist, was dies für Osteuropa und die DDR bedeutet, aber nicht davon, wie dies die Bundesrepublik verändern wird“. Seine These: „Die Nagelprobe für die Stabilität der Bundesrepublik kommt erst, wenn das abschreckende Beispiel der DDR und die Bedrohung durch die Sowjetunion verschwinden.“ Deutschland werde dann „die Küche (sein)..., in der die modernen Ideologien ausgekocht, und das Versuchskaninchen, an dem sie ausprobiert werden“.


Deutschland hat sich vor diesen Anfechtungen lange Zeit in den achtziger Jahren versteckt – auch deswegen regierte Helmut Kohl so lange. Als die Republik 1998 aus der Lethargie und dem Versagen eines vertanen Jahrzehnts erwachte, mobilisierte zugleich der Geist der siebziger Jahre gegen jede Veränderung. Doch damals wurde mit der Zeitschrift Berliner Republik auch ein Raum für Laborversuche zur Konstruktion des neuen Deutschland eröffnet. Nicht retrospektiv – sondern getragen von einer neuen Generation: der Generation der damals etwa 30-Jährigen. Von jenen, die aus ihrem Zeitgeist den Geist der neuen Zeit zu destillieren suchten. Nicht in versprengten Büchern und Büchlein, sondern in einem Periodikum, mit dem wohltuenden Zwang zur Kontinuität des Bemühens.


Es ist ermutigend, dass dieser Versuch auf der Linken unternommen wird. Ja, auf der Linken. Denn nur die linke Orthodoxie und der elende linke Intrigantenstadel können das, was sich in den Spalten dieses Blattes tut, als „rechts“ denunzieren. Diese Zeitschrift ist sozial, demokratisch, liberal und auf komplexe Weise auf Nachhaltigkeit aus. Mit „Neoliberalismus“ hat das nichts zu tun. Wer von der Berliner Republik spricht, der weiß, dass die Zukunft vor uns liegt, nicht hinter uns. Und wer das weiß, der weiß auch, dass er auf der Suche ist. Er und sie sollten sich auf die Berliner Republik einlassen – sie bietet Fährten, die in diese Zukunft führen.

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