Der vorsorgende Sozialstaat: Was bleibt zu tun?

"Was jetzt zu tun ist", schrieb Wolfgang Schroeder in Heft 2/2008 in Bezug auf das Konzept des vorsorgenden Sozialstaates. Diese Debatte setzen wir fort. Hier beschreibt der Bundesarbeitsminister die zentralen Aufgaben künftiger sozialdemokratischer Sozial-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik.

Die Debatte um den aktivierenden Sozialstaat begann mit einem Missverständnis: Die Aufregung war groß, denn viele befürchteten, der aktivierende Sozialstaat werde als Alternative zum bundesdeutschen Sozialstaat vorgeschlagen. Jedoch war und ist die Sorge unbegründet, die Abschaffung des Sozialstaats sei beabsichtigt. Jedenfalls innerhalb der Sozialdemokratie begriffen diejenigen, die vor dem Hintergrund neuer Herausforderungen die Herausbildung eines stärker aktivierenden Sozialstaates verfolgten, diesen nie als Alternative, sondern stets als vernünftige Weiterentwicklung des bestehenden Sozialstaates.

Das Missverständnis wurde dadurch gefördert, dass ein Teil der traditionellen Kritiker sozialstaatlicher Institutionen die Formel vom aktivierenden Sozialstaat aufgriff und hinter dieser Chiffre ihre antisozialstaatlichen Ziele verbarg. Kein Wunder also, dass in den Verdacht geriet, mit solchen Kritikern auf einer Wellenlänge zu funken, wer für diese Hinwendung zu neuen Fragen plädierte. Und natürlich war die Debatte dadurch belastet, dass sie zu einer Zeit einsetzte, als zugleich eine veritable Anpassungskrise des etablierten Sozialstaates zu bewältigen war. Besonders die demografische Herausforderung hatte die finanzielle Stabilität der Sozialversicherung und der sozialstaatlichen Aufgabenwahrnehmung einem regelrechten Stresstest ausgesetzt.

Dass die Debatte über den aktivierenden Sozialstaat heute mit größerer Gelassenheit geführt wird, hängt sicherlich damit zusammen, dass die Reformpolitik der vergangenen Jahre die finanzielle Stabilität der traditionellen Sozialversicherung wieder gewährleistet. So wird die Plausibilität sozialstaatlicher Perspektiven nicht mehr so heftig in Frage gestellt, wie es noch bis vor kurzem der Fall gewesen ist. Der neue, ruhigere Ton der Debatte ermöglicht, dass heute der nun so genannte vorsorgende Sozialstaat von allen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten als die richtige Antwort auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts begriffen wird.

Neben die dauerhaften Aufgaben unseres Sozialstaates tritt verstärkt das Anliegen, die Gesellschaft so zu organisieren, dass alle Bürgerinnen und Bürger ihre Potenziale und Möglichkeiten nutzen. Empowerment ist deshalb zur neuen Herausforderung eines auf Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger ausgerichteten Gemeinwesens geworden. Es geht um eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik und, damit verbunden, um eine viel bessere und intensivere Vermittlung von Arbeitsuchenden. Es geht um Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern mit Behinderung. Und es geht darum, gleichberechtigte Verhältnisse zwischen Männern und Frauen zu ermöglichen, auch durch Veränderung der Organisation von Beruf und Familie.

Es geht wieder um Bildung

Vor allem aber geht es um Bildung. Die Emanzipation durch Bildung ist ein historisches Projekt der Sozialdemokratie. Der Aufstieg durch Bildung war und ist eine sehr individuelle Erfahrung Hunderttausender, ja Millionen sozialdemokratischer Mitglieder und Anhänger. Viele, deren Talente vor dem Hintergrund hoher Schranken ungenutzt geblieben wären, konnten im Wege der sozialdemokratisch inspirierten Bildungsexpansion für sich oder wenigstens für ihre Kinder ein besseres Leben erreichen.

Viele konservative Regierungen in den Bundesländern haben die Bildungsmöglichkeiten in den letzten Jahren wieder eingeschränkt. Trotzdem stehen sie nach wie vor – jedenfalls im Prinzip – allen offen. Aber sie werden keineswegs von allen genutzt. Das Ziel der Emanzipation durch Bildung steht deshalb – wieder einmal und zu Recht – ganz oben auf der politischen Agenda.

Der Hafen ruft nicht mehr nach Hilfskräften

Dass man seine Arbeit gut machen will, ist in modernen Volkswirtschaften eine unverzichtbare Bedingung für qualifizierte Tätigkeit. Auf diese Einstellung kommt es für den Erfolg unserer Volkswirtschaft mehr denn je an. Denn die Zukunft gehört der qualifizierten Arbeit – jedenfalls in Deutschland. Ganz im Gegensatz zu einem weit verbreiteten Gerücht nimmt die Anzahl der Arbeitsplätze für gering Qualifizierte nicht zu, sondern ab. So ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die über einen Haupt- oder Realschulabschluss, aber nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen, von Mitte 1999 bis Mitte 2007 um eine Million auf 3,54 Millionen gesunken. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der versicherungspflichtig beschäftigten Akademiker (mit Hoch- oder Fachhochschulabschluss) um über 300.000 auf 2,65 Millionen gestiegen. Man bemerkt diesen Wandel im Alltag. Als Hamburger fällt mir beispielsweise auf, dass am Sonntagmorgen im Radio schon lange keine Aufrufe an Arbeitswillige mehr zu hören sind, sich im Hafen zu melden. Andere Orte liefern andere Beispiele; selbst auf dem Bau gibt es nach kräftigen Rationalisierungen für Hilfskräfte immer weniger zu tun.

Wenn über die Notwendigkeit guter Bildung gesprochen wird, weisen alle – durchaus zu Recht – darauf hin, dass wir in Deutschland die Zahl der Akademiker erhöhen müssen, dass die Zahl der Absolventen unserer Hochschulen (nach OECD-Maßstab) auf 40 Prozent jedes Altersjahrgangs steigen muss. Bei der Zahl der Studienanfänger sind wir schon fast am Ziel; bei der Zahl derjenigen, die das Studium dann tatsächlich beenden, haben wir noch eine Wegstrecke vor uns.

Aber selbst wenn wir dieses Ziel erreicht haben, werden weiterhin 60 Prozent eines Altersjahrgangs nicht studieren. Und darum ist es nötig, klar zu sagen, dass auch für die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, die in Zukunft nicht studieren wird, Bildung und Ausbildung wichtig sind. Denn wie die genannten Zahlen belegen: Für gering qualifizierte Arbeitskräfte wird der deutsche Arbeitsmarkt in Zukunft noch weniger Möglichkeiten bieten als heute.

Unverzichtbare Grundlage jeder guten Qualifikation ist eine gute Schulbildung. Und wir wissen, dass die Lebensphase vor der Einschulung wichtig ist, um die für das Lernen wichtigen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erwerben. Darum sind gute Krippen und Kindergärten unverzichtbar. Sie sind ebenso wie Schulen im föderalen Deutschland Sache der Gemeinden und der Länder. Weil es aber bei der Bildung um ein nationales Anliegen geht, hat sich der Bund seit Beginn der Kanzlerschaft Gerhard Schröders eingemischt und mit mehreren Programmen den Ausbau der vorschulischen Betreuung in Deutschland vorangetrieben. Am Ende dieser Entwicklung steht der gesetzliche Anspruch aller Eltern in Deutschland auf einen Platz in Krippe oder Kindergarten vom ersten Lebensjahr des Kindes bis zur Einschulung. Jede Mutter und jeder Vater kann dann zur Gemeinde gehen und einen solchen Platz für das eigene Kind verlangen.

Die Konservativen haben beigedreht

Weil der Erfolg unserer Schüler mittels der – fast nur bei uns in Deutschland verbreiteten – Halbtagsschule nicht ausreichend gewährleistet werden kann, haben Bundesregierung und Bundestag mit einem milliardenschweren Programm Ganztagsschulen ausgebaut. Das Programm hat weit über die unmittelbar geförderten Schulprojekte hinaus gewirkt. Noch vor wenigen Jahren stand konservative Skepsis dem Ausbau der Ganztagsschulen im Wege. Inzwischen bekennen sich selbst Ministerpräsidenten und Bildungspolitiker aus CDU und CSU zur Notwendigkeit eines flächendeckenden Angebotes von Ganztagsschulen. Das ist ein wirklicher Durchbruch.

Mit diesem politischen Erfolg ist die nationale Debatte über Krippen, Kindergärten und Schulen nicht beendet; aber die Phase einer mit Mitteln des Bundeshaushaltes unterstützten aktiven Einmischung in die politische Sphäre der Länder wird in der bisherigen Weise nicht ungebrochen fortgesetzt werden können. Eines ist nach unserer Verfassung eindeutig: Über die Bildungspolitik wird bei Landtagswahlen entschieden. Gebührenfreie Krippen und Kindergärten, Lernmittelfreiheit und Mittagessen in Krippen, Kindergärten und Schulen können die Bürgerinnen und Bürger in den 16 Ländern wählen – indem sie sich für die SPD entscheiden. Auch über die Qualität von Krippen, Kindergärten und Schulen geht es in den Landesparlamenten, und das ist ebenfalls ein sozialdemokratisches Thema.

Sieben Prozent pro Jahr bleiben chancenlos

Eine der wichtigsten schulpolitischen Debatten der nächsten Jahre verbirgt sich hinter einem schnöden statistischen Wert: Gute sieben Prozent unserer Schüler verlassen jedes Jahr die Schule ohne einen Abschluss. Gute sieben Prozent eines jeden Altersjahrganges bleiben damit ohne realistische Chance auf Ausbildung oder Arbeitsplatz. In absoluten Zahlen waren das im Jahr 2004 über 82.000 und im Jahr 2006 mehr als 76.000 Jugendliche. In diesem Jahr wird sich die Zahl voraussichtlich auf 67.000 Jugendliche belaufen. Unterstellen wir, dass ein 16-jähriger Schulabgänger während der nächsten fünf Jahrzehnte eine Arbeit benötigt, sind das, bei rund 70.000 Schulabbrechern pro Jahr und auf 50 Jahre gerechnet, ungefähr 3,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger, die, sofern sie kein großes Glück haben, all diese Jahre zwischen Arbeit und Arbeitslosigkeit hin und her wechseln werden.

Aber: Sieben Prozent aller Schüler ohne Abschluss sind nicht naturgegeben. Die Zahl lässt sich mit guter Bildungspolitik reduzieren – so, wie wir es bereits in den vergangenen Jahren getan haben. Im Jahr 2001 lag dieser Wert noch bei rund zehn Prozent. Um der Zukunft dieser Bürgerinnen und Bürger willen müssen wir uns weiterhin ehrgeizige Ziele setzen: zunächst die Halbierung dieser Zahl, danach ihre beständige weitere Senkung. Das werden wir von den Bildungsministern verlangen, im Ausbildungspakt, im Bundestag und in den Landtagen.

Eines ist uns dabei völlig klar: Lernen ist mit Anstrengung verbunden, nicht immer, aber oft. Ohne Mühe und Anstrengung lernen nur die wenigsten. Das dürfen wir den jungen Leuten auch sagen. Ein Versprechen muss unsere Gesellschaft aber jedem geben: Wer sich anstrengt, wer sich Mühe gibt, der kommt auch zurecht. Von der Einlösung dieses Versprechens handelt sozialdemokratische Politik.

Im 19. Jahrhundert klagte der Dramatiker Christian Dietrich Grabbe: „Einmal auf der Welt, und dann ausgerechnet als Klempner in Detmold.“ Anders als Grabbe finde ich diese berufliche Perspektive nicht so schlecht. Unser Land sollte jedem helfen, der Klempner in Detmold werden will. Wer schnell reich und berühmt werden will, ist wohl bei „Deutschland sucht den Superstar“ richtig. Auch das ist ein Weg – aber wohl nur für sehr wenige der richtige. Unsere Gesellschaft hat die Verantwortung, allen Menschen Entwicklungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen zu eröffnen, die sich ernsthaft und mit harter Arbeit darum bemühen. Und diejenigen, die derzeit glauben, dass sie statt offener Türen nur verbarrikadierte Zugänge vorfinden, müssen wir ermutigen, dass es auch diesseits der Sprüche von Dieter Bohlen ganz gute Aussichten im Leben geben kann.

„Wenn ihr euch aufrafft, helfen wir euch“

Wenn wir die Zahl der Schulabgänger ohne Schulabschluss halbieren wollen, dann müssen wir sagen, wie das zu erreichen ist. Wir sollten das Versprechen geben: „Wenn ihr euch aufrafft, wann auch immer im Leben, ob mit 20, 35 oder 42 Jahren, werden wir euch ermöglichen, jedenfalls den Hauptschulabschluss nachzuholen.“ Dieses Versprechen gibt Menschen Hoffnung, die oft ohne Hoffnung sind. Ein Leben lang den Hauptschulabschluss nachholen zu können, sollte in einer modernen marktwirtschaftlichen Demokratie ein Bürgerrecht sein, für das sich heftig zu streiten lohnt.

Nach der Schule beginnt für die meisten die Berufsausbildung. Leider klappt das nicht bei allen. Denn wir haben immer noch nicht genug Ausbildungsplätze. Das müssen wir feststellen, obwohl der Ausbildungspakt mit der Wirtschaft durchaus ein Erfolg ist. Die Anstrengungen der Unternehmen, der Verbände und Kammern haben sich gelohnt. Im vergangenen Jahr verzeichnete Deutschland 627.000 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge. Das war der zweitbeste Wert seit 1990; nur 1999 gab es mehr neue Verträge. Aber eine traurige Wahrheit ist auch: Im vergangenen Jahr suchten zum ersten Mal mehr junge Leute schon seit ein, zwei oder drei Jahren einen Ausbildungsplatz.

Mit 20 in die Ausbildung – das ist zu spät

Wie groß die Ausbildungsmisere wirklich ist, zeigt sich übrigens schnell, wenn man beim Vergleich der Zahl der jährlich geschlossenen Ausbildungsverträge nicht 1990 aufhört. Während der gesamten achtziger Jahre gab es (mit Ausnahme des Jahres 1989) allein im Westen Deutschlands immer mehr als 600.000 neue Ausbildungsverträge. Im Jahr 1984 waren es sogar 706.000. Heute verzeichnen wir in den alten Bundesländern 500.000, also etwa 200.000 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge weniger als noch vor 20 Jahren.

Darum dürfen wir nicht nachlassen, uns für mehr Ausbildungsverträge einzusetzen und schaffen jetzt einen Ausbildungsbonus für die so genannten Altbewerber. So werden die Jugendlichen bezeichnet, die bereits seit mehr als einem Jahr einen Ausbildungsplatz suchen. Wer für einen Altbewerber oder eine Altbewerberin einen zusätzlichen Ausbildungsplatz schafft, bekommt ungefähr die Hälfte der Ausbildungsvergütung – 4.000, 5.000 oder 6.000 Euro – als Zuschuss. Aber das genügt nicht. Wir müssen uns noch mehr anstrengen. Unternehmen und Betriebsräte müssen noch eine Schippe drauflegen.

Übrigens geht es bei der Lehre nicht allein um die Berufsausbildung. In der Lehre werden auch noch zahlreiche andere Dinge gelernt. Schließlich sind 16-Jährige oft noch nicht wirklich erwachsen. Diese Funktion der Ausbildung wird häufig übersehen und macht zugleich ein weiteres Problem sichtbar: Das durchschnittliche Alter, in dem Jugendliche heute eine Ausbildung beginnen, liegt bei etwa 20 Jahren. Das ist nicht nur so, weil auch Abiturientinnen und Abiturienten Berufsausbildungen in den Betrieben beginnen. Verantwortlich sind ebenfalls viele Wartezeiten und Warteschleifen vor dem Ausbildungsbeginn.

Dabei ist es für Hauptschulabsolventen besonders schwer, einen ungeförderten Ausbildungsplatz zu finden. Genaue Statistiken gibt es nicht, aber manche Untersuchungen besagen, dass weniger als 10 Prozent der Jugendlichen mit einem Hauptschulabschluss im unmittelbaren Anschluss an die Schule eine nicht geförderte Ausbildung finden. Und das, obwohl fast ein Drittel aller Schülerinnen und Schüler die Schule – ob Hauptschule, Realschule, Gesamtschule oder Gymnasium – mit einem Hauptschulabschluss verlässt. Diesen jungen Leute muss so intensiv wie möglich bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz geholfen werden. Einen solchen Versuch stellt die betriebliche Einstiegsqualifizierung Jugendlicher (EQJ) dar, mit der Jahr für Jahr 40.000 Jugendliche auf dem Weg in eine Ausbildung unterstützt werden.

Erst die Lehre, dann das Studium

Überhaupt sollten wir die Lehre im Betrieb wieder mehr schätzen. Und jemand, der einen ordentlichen Beruf gelernt hat, ist vielleicht auch viel geeigneter, ein technisches Studium zu ergreifen, als mancher Abiturient. Gerade in den so genannten MINT-Fächern Mathematik und Informatik, Naturwissenschaften und Technik müssen wir besser werden. Wir sollten die Universitäten überreden, begabte junge Leute, die eine Lehre absolviert haben, zum Studium zuzulassen. Wer bereits eine Lehre in einem technischen Beruf erfolgreich abgeschlossen hat, kommt womöglich auch mit einem technischen Studiengang besser zurecht. Gemeinsam mit den Kammern sollten wir daher auch nach Wegen suchen, wie Meisterausbildungen an den Universitäten so ergänzt werden können, dass die Meisterinnen und Meister einen Bachelor-Abschluss erreichen.

Für dies alles ist die kontinuierliche Weiterentwicklung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes, also des so genannten Meister-Bafögs, mehr als sinnvoll. Und das geplante Stipendium für begabte Absolventinnen und Absolventen der dualen Ausbildung, die studieren wollen, ist ein echter Fortschritt.

Mit diesen Instrumenten lässt sich übrigens ein wenig ausgleichen, dass unser Bildungssystem den Kindern von Arbeitern noch immer keine gleichen Chancen einräumt. Unsere Schulen reduzieren soziale Ungleichheit nicht. Und das schadet jetzt offensichtlich unserer Wirtschaft, denn gerade die Kinder von Handwerkern und Facharbeitern schlagen typischerweise die Studienrichtung Naturwissenschaften und Technik ein.

Eine Frage ist dabei an manche Unternehmen zu stellen, die ihre Produktion ins Ausland verlagern, nämlich ob sie nicht befürchten, dass sie damit zugleich das mögliche Interesse junger Leute an technischen Berufen gefährden. Kann man sich für Technik begeistern, wenn weit und breit keine Fabrik zu sehen ist und es keine Eltern mehr gibt, die dort arbeiten?

Bei der Weiterbildung sind wir noch nicht gut

Gemessen an internationalen Maßstäben müssen 40 Prozent eines Altersjahrgangs studieren. Das setzt natürlich voraus, dass ausreichend Studienplätze zur Verfügung stehen und dass alle begabten jungen Leute ihren Studienwunsch verwirklichen. Damit das nicht scheitert, bauen wir das Bafög aus und haben uns mit den Ländern auf einen Hochschulpakt verständigt, mit dem bis 2010 zusätzlich 90.000 Studienplätze geschaffen werden sollen. Zugleich darf niemand durch Studiengebühren vom Studieren abgehalten werden.

Bildung ist aus unserem Leben nicht wegzudenken. In einer sich schnell wandelnden Arbeitswelt wird Weiterbildung immer wichtiger. Auf diesem Gebiet sind wir in Deutschland nicht so gut. Nur 12 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bilden sich im Laufe eines Jahres weiter. In Skandinavien, der Schweiz oder den Vereinigten Staaten sind es viel mehr. Angesichts der immer kürzeren Zyklen, in denen Wissen veraltet, kann es nicht bei der bisherigen Quote bleiben. Denn Weiterbildung lohnt sich. Die Universität Linz hat für die österreichische Arbeiterkammer ausgerechnet, dass jeder Euro, der zusätzlich in Weiterbildung investiert wird, dem Unternehmen 13 Euro einbringt. Die untersuchten Unternehmen verzeichneten aufgrund von Weiterbildung eine im Schnitt um vier Prozent höhere Produktivität. Der ökonomische Nutzen der Weiterbildung steht also außer Frage. Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer springen höhere Löhne und mehr Jobsicherheit heraus.

Warum hat sich dieser Zusammenhang dann aber noch nicht überall herumgesprochen? Diese Frage richtet sich nicht nur an die Unternehmen, sondern auch an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Weiterbildungsangeboten nach Jahren der Bildungsabstinenz oft sehr skeptisch gegenüberstehen. Weder das Weiterbildungsprogramm für Geringqualifizierte und ältere Arbeitnehmer der Bundesagentur für Arbeit („WeGebAU“) noch das Initiativrecht der Betriebsräte für Weiterbildung nach technischen Innovationen haben daran bislang viel geändert. Von einer zeitgemäßen Weiterbildungskultur sind wir in Deutschland noch weit entfernt.

Jetzt müssen wir nur das Richtige tun

Die Zukunft gehört der qualifizierten Arbeit. Sie entspricht dem kulturellen Selbstverständnis der deutschen Arbeitsgesellschaft. Unsere Marktwirtschaft ist seit ihren frühesten Anfängen von einer Orientierung auf Qualität geprägt. Genau das macht seit über 150 Jahren ihren Erfolg aus. Wir haben mit qualifizierten Arbeitskräften unseren Wohlstand erreicht. Und wir werden ihn in der Zukunft nur mit qualifizierten Arbeitskräften sichern können. Zum gewachsenen Ethos deutscher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehört es, dass sie gute, ja die bestmögliche Arbeit leisten wollen. Deshalb sind unsere Maschinen, Produkte und Dienstleistungen auf den Weltmärkten seit Jahrzehnten gefragt. Qualität zu liefern schafft auch Motivation. In die Qualifikation unserer Bürgerinnen und Bürger zu investieren, ist zugleich die erfolgreichste Wirtschaftspolitik, die wir betreiben können. Wir wissen nicht, welche Produkte und Dienstleistungen wir in Zukunft in Deutschland herstellen und anbieten werden. Was wir aber schon heute sicher wissen, ist, dass dafür gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nötig sein werden. Jetzt müssen wir nur das Richtige tun.

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