Der Künstler als Leitbild

Ob Schauspieler, Beleuchter oder Techniker: In der Kulturwirtschaft Tätige weisen besonders unstete Erwerbsverläufe auf. Dem werden die Sozialsysteme bislang nicht gerecht. Das muss sich dringend ändern, denn kreative Arbeit wird immer wichtiger

Tragt Euch ein! Werdet Mitglied! Es tut auch nicht weh!“ Eindringlich appellierte der Schauspieler Michael Brandner auf der diesjährigen Berlinale an seine Kollegen, dem Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler (BFFS) beizutreten. Der Verband müsse stark werden, um seine Ziele zu verwirklichen: bessere Arbeitsbedingungen und der Kampf gegen Altersarmut. Die Mitgliedschaft bleibe selbstverständlich anonym, warb Brandner.

So kennen die Zuschauer ihre Stars gar nicht. Sie nehmen nur die glamourösen Highlights der Kulturwirtschaft wahr, die Festspiele, Preisverleihungen und roten Teppiche. Vom international erfolgreichen deutschen Film ist die Rede und von der Dynamik der Kreativwirtschaft. Dabei hat der Glamour seine Schattenseiten. Während sich Deutschlands Schauspielelite auf roten Teppichen feiern lässt, leben etwa 90 Prozent ihrer Kollegen mehr oder weniger von Gelegenheitsjobs.

Traditionell sind die Künstler bei Film, Theater und Fernsehen abhängig beschäftigt. Doch ihre Situation wird von Jahr zu Jahr schlechter: Die Zuwendungen für die öffentlichen Einrichtungen sind rückläufig, und die Arbeitgeber sparen an den Produktionskosten. Hinzu kommt, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen den Besonderheiten des Kulturbetriebes nicht gerecht werden. Denn bei Schauspielern und Kameraleuten, Toningenieuren, Synchronsprechern oder Regisseuren sind kurzzeitige Beschäftigungsverhältnisse die Regel – und damit der ständige Wechsel zwischen Selbständigkeit, befristeter und unselbständiger Beschäftigung.

Vor allem die darstellenden Künstler und die Kulturschaffenden im Filmsektor haben mit dieser Situation schwer zu kämpfen. Beispielsweise beschränken die Unternehmen der Filmwirtschaft und die Theater ihre Produktionszeiten auf möglichst wenige Drehtage, an denen dann immense Überstunden geleistet werden. Auf diese Weise spart der Arbeitgeber Sozialversicherungsbeiträge – auf Kosten der Künstler, die dadurch in der Arbeitslosenversicherung nur geringe Ansprüche erwerben.

Überwintern mit dem Arbeitslosengeld

Anfang 2006 hat der Gesetzgeber die so genannte Rahmenfrist beim Arbeitslosengeld I von drei auf zwei Jahre verkürzt. Das bedeutet: Anrecht auf Arbeitslosengeld I hat nur, wer in zwei Jahren mindestens 12 Monate in einem Versicherungsverhältnis stand. Dies ist ein großer Einschnitt, denn zuvor hatten viele Film- und Fernsehschaffende die Vor-, Nachbereitungs-, und Bereitschaftszeiten der künstlerischen Arbeit zwischen zwei Arbeitsverträgen mit Arbeitslosengeld I überbrücken können. Diese Möglichkeit ist nun deutlich erschwert worden. Zwar hat die Politik inzwischen tariflich vereinbarte Arbeitszeitkonten eingeführt, um das Ansammeln von Überstunden als versicherungspflichtige Arbeitszeit zu ermöglichen. Doch leider wird diese kostspielige Variante von den Produktionsfirmen aufgrund der harten Konkurrenz kaum angeboten. Das Ergebnis: Die Film- und Fernsehschaffenden fühlen sich in die Zange genommen – von den Arbeitgebern auf der einen und dem Staat auf der anderen Seite.

Dabei ist die Arbeit eines Schauspielers niemals auf den Drehtag begrenzt. Die Vorbereitung auf die Rolle, die sogar mit dem Erwerb spezieller Fertigkeiten verbunden sein kann, gehört ebenfalls zur Arbeitsleistung. Vor der neuen Regelung bei der Rahmenfrist konnten die Künstler mit Arbeitslosengeld I in Höhe von 60 Prozent ihrer Gage soeben überwintern. Heute haben selbst gut gebuchte Künstler keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosengeld I, obwohl sie während ihrer Beschäftigungszeiten selbstverständlich Sozialabgaben entrichten.

Auch die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ hat sich mit der prekären Lage der Kulturschaffenden im Medien- und Filmbereich beschäftigt und festgestellt, dass etwa in der Schweiz und in Frankreich gute Lösungen für vergleichbare Probleme gefunden wurden. Das Postulat der Kommission: Bei der Rahmenfrist des Arbeitslosengeldes I braucht es eine Sonderregelung für Kulturberufe mit wechselnden und befristeten Anstellungen. In Anlehnung an das so genannte „Schweizer Modell“ sollte die ermittelte Beitragszeit für die ersten 30 Kalendertage eines befristeten Arbeitsverhältnisses doppelt zählen.

Was Hoffnung macht: Der Druck der Enquete-Kommission hat schon mehrfach gegriffen. Etwa bei der Zentralen Vermittlungsstelle von Bühnen- und Filmschaffenden (ZBF), die der Bundesagentur für Arbeit angegliedert ist. Der Bundesrechnungshof hatte die Vermittlungsstelle heftig kritisiert. Es handele sich hierbei um „aufwendige Künstlerdienste“, die ZBF habe „selbständige Künstlerinnen und Künstler in selbständige Tätigkeiten vermittelt und damit das gesetzliche Vermittlungsverbot nicht beachtet“. Zudem hätten die Vermittlungen „nicht dem Abbau von Arbeitslosigkeit gedient, sie waren unwirtschaftlich“. Trotz der Rechnungshofrüge bleibt die Stelle nun erhalten. Ihr Spezialwissen ist unverzichtbar. Denn die Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit sind zumeist schlicht ahnungslos, was künstlerische Berufe angeht. Sie müssen erst noch lernen, dass Künstler zwischen Anstellungen Zeit für Vorstellungsgespräche oder eine kurzfristige Beschäftigung brauchen.

Prekarisierte Produzenten begehren auf

Auch die oben erwähnte Gründung des BFFS zeigt, wie drängend die Sorgen der Künstler sind – sie ist ein Fanal in dieser sonst so individualistischen Künstlergemeinde. Der BFFS zählt heute um die 900 Mitglieder; dazu gibt es weitere Verbände mit ähnlichen Zielen. Eine Petition an den Deutschen Bundestag, die unter anderem die Rücknahme der verkürzten Rahmenfrist beim Arbeitslosengeld I forderte, wurde von 10.639 Unterzeichnern unterstützt. In einer weiteren Petition machten Schauspieler, Produzenten, Beleuchter und Techniker einmütig auf ihre prekären Arbeitsbedingungen aufmerksam.

Den verschiedenen Vorstößen und Empfehlungen, Petitionen und Änderungsvorschlägen an die Adresse der Politik begegnete das Bundesministerium für Arbeit und Soziales lange mit dem Hinweis, Sonderregelungen für Künstler gehörten in die Kulturförderung und seien damit nicht allein Aufgabe der Sozialkassen. Doch kürzlich versprach die Bundesregierung, sie werde darauf hinwirken, eine Verstetigung der Beschäftigung von Künstlern und Kulturschaffenden zu erreichen, also die Arbeitsbedingungen verbessern. Das geht in die richtige Richtung. Alle Bemühungen müssen jedoch die Besonderheiten der künstlerischen Arbeit berücksichtigen.

Kreativität als Standortvorteil

Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist ein höchst sensibler, aber zugleich dynamischer Wirtschaftsbereich. Im Jahr 2004 betrug die Bruttowertschöpfung der Kreativ- und Kulturwirtschaft rund 58 Milliarden Euro, in der Rangliste befand sich dieser Sektor damit zwischen der Chemischen Industrie und der Automobilindustrie. Hinzu kommen die indirekten positiven Auswirkungen besonders auf die Kreativität und Innovationsfähigkeit der Gesamtgesellschaft, die sich kaum ermessen lassen. Jedoch stieg die Zahl der Unternehmen in der Kulturwirtschaft in den letzten Jahren doppelt so stark wie der Umsatz. Das durchschnittliche Einkommen in diesem Wirtschaftsbereich sinkt also. Auch das muss sich ändern, wenn der kreative Sektor weiter wachsen soll.

Die Probleme der heterogenen Beschäftigungsformen der Künstler müssen auch deshalb gelöst werden, weil sie beispielhaft stehen für die Arbeitsverhältnisse der Zukunft in vielen Branchen. Der Künstler avanciert zum Leitbild für die Gesellschaft von morgen. Dazu passt, dass kreatives Arbeiten und Denken für die Produktion marktfähiger Erzeugnisse immer wichtiger werden. Studien zur Kreativökonomie bestätigen, dass wirtschaftliche und kulturelle Wertschöpfung stark korrespondieren – was für viele Künstler die einzige Chance zur Existenzsicherung darstellt. Kreativität entwickelt sich vor allem für Städte zum Standortvorteil. Berlin ist das beste Beispiel dafür.

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