Der Klimawechsel: Was lehrt uns eigentlich das Beispiel Schweden?



Globalisierung bedeutet nicht nur neue Technik, nicht nur Freizügigkeit des Kapitals und wachsender Handel. Globalisierung ist auch ein ideologischer Begriff, oft in angeblich unpolitischer Aufmachung, der darauf abzielt, dass es eigentlich nur einen möglichen Weg gibt: weg von allem, was die Logik des Marktes stört, hin zu steigenden Einkommensunterschieden als Weg zum Wohlstand.

Die europäische Sozialdemokratie muss diese Überredungsrhetorik durchschauen und entlarven. Es gibt zahlreiche Forschungsergebnisse, die der Behauptung widersprechen, Wohlfahrtspolitik, eine gerechtere Verteilung und Steuern stellten für sich genommen eine Gefahr für steigende Produktivität und Wachstum dar. In gewisser Hinsicht ist eher das Gegenteil der Fall, was aber wiederum nicht bedeutet, dass man stur an den alten Strukturen oder sozialen Mustern festhalten kann. Nein, Veränderungen sind notwendig. Dabei gilt es jedoch, ein klares Ziel vor Augen zu haben.

Was sagt uns eigentlich das Beispiel Schweden? Es bestehen große Unterschiede zwischen dem deutschen und dem schwedischen Gesellschaftsmodell und der Wohlfahrtspolitik in beiden Ländern, Unterschiede, die in der Geschichte und in den Wertvorstellungen begründet liegen. Das schwedische Gesellschaftsmodell zeichnet sich natürlich in viel größerem Umfang als das deutsche durch eine sozialdemokratische Prägung aus. Das schwedische System ist genereller Art und sowohl durch die Konstruktion der Sozialversicherung als auch durch die Steuern auf den Ausgleich von Einkommensunterschieden ausgerichtet. Darüber hinaus zielt das System unter anderem durch eine individuelle Besteuerung und eine gut ausgebaute Kinderbetreuung darauf ab, sowohl Männern als auch Frauen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. Der öffentliche Sektor ist groß und wird über Steuereinnahmen finanziert – aber auch durch Nutzungsgebühren wie beispielsweise die Patientengebühr im Gesundheitswesen.

Die Wirtschaftspolitik hat in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften Strukturveränderungen in der Wirtschaft unterstützt. Ein vom Export abhängiges Land kann nicht überleben, wenn es an einer Produktion festhält, die nicht länger wettbewerbsfähig ist. Lange hieß das Motto „Sicherheit in Veränderung“. Gerade deshalb bedarf es einer starken Gesellschaft, die den Einzelnen durch Ausbildung und eine aktive Arbeitsmarktpolitik fördert.

Die Steuern in Schweden sind hoch, aber vorteilhaft für die Unternehmen und das Kapital. Die Sozialdemokratie hat ein halbes Jahrhundert hindurch ununterbrochen auf den Zusammenhang zwischen Wohlfahrtssystem und Steuern hingewiesen. Ein starkes und auf Umverteilung basierendes Wohlfahrtssystem kann ohne hohe Steuern nicht existieren.

Das ist – oder: war – das Modell. Die Reformen der neunziger Jahre waren aufgrund der enormen Haushaltsdefizite – eine Hinterlassenschaft der Mitte-Rechts-Regierung – und einer sehr hohen Arbeitslosigkeit notwendig geworden. Zu ihnen gehörten Sparmaßnahmen, Steuererhöhungen für Spitzenverdiener, umfassende Ausbildungsmaßnahmen und bestimmte Strukturreformen. Zu den letztgenannten gehörte auch ein neues Rentensystem, das die zukünftigen Renten an Lebenseinkommen, Lebenserwartung und wirtschaftliches Wachstum knüpft. Ferner stieg die Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und das Tarifsystem wurde dezentralisiert.

Kein Systemwechsel, aber große Veränderung

Die Reformen brachten Schweden wieder auf die Füße, das Wachstum nahm zu, die Arbeitslosigkeit sank, der Haushalt wurde saniert. Hilfe bekamen wir von der Weltkonjunktur und von dem Umstand, dass wir nicht dem europäischen Währungssystem angehörten. Im Ergebnis der Erfolge sanken die Zinsen. Heute verzeichnet Schweden ein jährliches Wachstum von über 3 Prozent, und die Arbeitslosigkeit liegt bei etwa 6 Prozent.

Die sozialdemokratische Politik lief nicht auf einen Systemwechsel hinaus. Im Gegenteil, wir argumentierten die ganze Zeit hindurch für eine grundsätzliche Beibehaltung des Modells – im Gegensatz zur konservativen Opposition und zur Wirtschaft. Gleichzeitig jedoch steht außer Zweifel, dass große Veränderungen stattgefunden haben. Was also ist geblieben?

Die Einsparungen hatten große Auswirkungen auf den öffentlichen Sektor; dies gilt auch für das Gesundheits- und Bildungswesen. Die Warteschlangen im Gesundheitswesen sind lang, die Zahl der Krankschreibungen kräftig angestiegen, unter anderem aufgrund von Arbeitsstress und psychischen Krankheitszuständen. Zugenommen hat auch die Unsicherheit am Arbeitsplatz. Die Stellung der Gewerkschaften wurde in gewissem Umfang geschwächt. Obwohl im internationalen Vergleich weiterhin verhältnismäßig gering, sind die Einkommensunterschiede größer als früher, und in der privaten Wirtschaft haben sich die Chefs hemmungslos bereichert.

Wettbewerb als absurdes Ziel Europas

Das gesellschaftliche Klima hat sich verändert. Sprache, Verhaltensweisen, Werte und Symbole des Geschäftslebens und des Marktes haben in der gesamten Gesellschaft Verbreitung gefunden, ebenso die Vorstellung, dass Konkurrenz allen anderen Prinzipien der Gestaltung einer Gesellschaft überlegen ist. Dies gilt natürlich nicht nur für Schweden. Die Verstärkung des Wettbewerbs ist absurderweise zum eigentlichen Ziel der europäischen Zusammenarbeit geworden. Aber die schwedische Sozialdemokratie hat sich allzu sehr von dieser Ideologie beeindrucken lassen und in hohem Maße Privatisierungen akzeptiert – auch im Schulwesen, was unvermeidbar eine soziale Schichtung zur Folge hat.

Das Bild ist also getrübt. Schweden – und auch die schwedische Sozialdemokratie – sind heute nicht mehr das, was sie vor 15 Jahren waren. Die Unsicherheit hat zugenommen, wir sind weit von Vollbeschäftigung entfernt. Aber im Großen und Ganzen kann man feststellen: Das Modell hält der Entwicklung stand. Hier einige Beweise dafür: Laut dem Human Development Report des UNDP liegt Schweden bei der Bewertung verschiedener Wohlfahrtskriterien (Gesundheit, Ausbildung, Gleichstellung der Geschlechter etc.) knapp hinter Norwegen mit an der Spitze. In einem anderen internationalen Vergleich, dem globalen Wettbewerbsbericht des Weltwirtschaftsforums, rangiert Schweden im Hinblick auf das Wirtschaftsklima auf Rang drei. Auch in unserer heutigen Zeit ist es also möglich, hohes Wachstum und Produktivität mit Wohlfahrtspolitik und Ausgewogenheit zu vereinen.

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