Der gewollte Konflikt

Der Atomstreit mit dem Iran dauert an. Michael Lüders hält einen Krieg für unausweichlich. Verantwortlich seien vor allem Hardliner in Israel und Amerika

Der Streit um das iranische Atomprogramm ist ein alter Hut. Seit mehr als zehn Jahren erheben amerikanische und israelische Politiker regelmäßig den Vorwurf, die Islamische Republik wolle sich nicht nur neue Energiequellen jenseits von Öl und Gas erschließen, sondern strebe die Atombombe an. Immer wieder forderten sie Teheran auf, zu kooperieren und seine Arsenale für Uno-Inspektoren zu öffnen. Als die USA ihre Sanktionen gegen das Land verschärften, ebbte die Diskussion wieder ab. Doch seit 2011 ist eine neue Dynamik in diesen Konflikt gekommen. Eingefrorene iranische Konten in Europa, der Beschluss der EU, kein iranisches Öl zu importieren, die Verabschiedung des Iran Threat Reduction Act in den USA und die wiederholte Drohung der israelischen Regierung, iranische Atomanlagen anzugreifen – dies alles hat den Druck auf Teheran erhöht. Ein Krieg scheint möglich, aber nicht wahrscheinlich.

An dieser Stelle setzt Michael Lüders’ Buch Iran: Der falsche Krieg an. Seine These ist nicht neu: „Vordergründig geht es in der Causa Iran um die Frage, ob das Land nach der Atombombe greift. Tatsächlich aber sind vor allem die USA und Israel, in ihrem Windschatten auch die Europäer, bemüht, die Regionalmacht Iran, den einzigen Staat neben Syrien im weiten Raum zwischen Marokko und Indonesien, dessen Politik nicht pro-westlich ausgerichtet ist, in die Schranken zu weisen.“

Um seine politisch-geostrategischen Interessen im Nahen Osten durchzusetzen, würden die Hardliner in Tel Aviv die AIPAC, die einflussreiche, pro-israelische Lobby in den USA, zu Hilfe rufen. Diese setze die Regierung Barack Obama unter Druck, eine Attacke der Israelis auf die iranischen Atomanlagen zu unterstützen. Lüders zufolge zieht dies dramatische Konsequenzen nach sich: „Der Irankrieg wäre eine Katastrophe, seine Folgen könnten dieses Jahrhundert prägen wie der Erste Weltkrieg das vorige geprägt hat. Dessen Blutspur endete erst 1989, mit dem Fall der Berliner Mauer. Den Iran anzugreifen bedeutet, den Nahen und Mittleren Osten in Brand zu setzen. Abgesehen von all dem Leid, das dadurch verursacht würde, überdehnt der Westen damit seine Kräfte, politisch wie wirtschaftlich.“

Lüders spricht viele wichtige Punkte im Hinblick auf den Atomkonflikt mit Teheran an, fasst neuere Entwicklungen zusammen – verkauft aber im Großen und Ganzen schon Bekanntes als neue Erkenntnis. Auch ist der gewählte Buchtitel eher irreführend: Der Konflikt mit dem Iran stellt für ihn nur den Anlass dar, sich näher mit Israel auseinanderzusetzen und aufzuzeigen, „wie der Westen seine Zukunft verspielt“, indem dieser eine Haltung voller Widersprüche einnimmt. Hinzu kommt der pathetische Ton, der die Lektüre teilweise mühsam macht. Außerdem neigt der Autor zu Vereinfachungen, die aufhorchen lassen: „Viele Menschen verspüren ein Unbehagen angesichts des drohenden Irankriegs, wissen aber nicht wohin mit ihren Sorgen, Ängsten und Fragen. Die Politik ist die falsche Adresse, und namentlich die Printmedien versäumen ihre Pflicht, sachlich zu informieren.“ So erweckt der Autor den Eindruck, er stehe mit seiner Analyse allein auf weiter Flur. Doch seine Skandalisierung des Umgangs der deutschen Politik und Medien mit dem Thema ist nur wenig hilfreich.

Dämonisierung in Politik und Medien

Anschaulich beschreibt Lüders, wie viele verschiedene Faktoren in die Auseinandersetzung mit dem Iran hineinspielen. Die Widersprüche im westlichen Iran-Bild stellt er dar, indem er die Dämonisierung der Islamischen Republik durch westliche Politik und Medien den Aussagen amerikanischer und israelischer Geheimdienste und Militärexperten gegenüberstellt. Beispielsweise hat Dan Halutz, der frühere Generalstabschef der israelischen Streitkräfte, im Februar 2012 verlauten lassen, der Iran sei „eine ernste …, aber keine existentielle“ Gefahr.

Unterschiedliche Signale kommen jedoch nicht nur aus dem Westen, sondern auch aus dem Iran. Dort existieren rivalisierende Machtzentren mit unterschiedlichen Zielen, was den Dialog mit dem Westen erschwert. Lüders zeigt auf, woher das Misstrauen der Iraner und der Wunsch nach einem eigenen Nuklearprogramm rühren: Die seit Jahrzehnten währende Einmischung äußerer Mächte in die Angelegenheiten des Landes haben die iranische Außenpolitik nachhaltig geprägt und den Wunsch verstärkt, mit dem Westen militärisch gleichzuziehen. Die Führung in Teheran, die ihr Land umringt sieht von Nachbarstaaten, in denen amerikanische Truppen stationiert sind, nutzt das ambivalente, zwischen Bewunderung und Ablehnung pendelnde Verhältnis der eigenen Bevölkerung zum Westen, um diese hinter sich bringen. Das Atomprogramm ist ein Thema, bei dem sich alle einig sind.

Bleibt die Frage, weshalb eine Einigung im Atomstreit nicht möglich ist. Lüders antwortet darauf ähnlich wie der Politologe Volker Perthes in seinem Buch Iran – Eine politische Herausforderung aus dem Jahr 2008. Lüders schreibt: „Wer die iranische Atombombe auf konstruktive Weise verhindern wollte, müsste … seine Politik ändern und dem Iran Sicherheitsgarantien anbieten. Dazu sind die USA nicht bereit – sie verhandeln ja nicht einmal bilateral mit der Islamischen Republik. Aus Sicht Washingtons und Tel Avivs wäre es in der Tat widersinnig, ausgerechnet dem größten Rivalen Sicherheitsgarantien zu geben. Ließe sich der Iran auf einen solchen Deal ein, eignete er sich nicht länger als Dämon, liefe westliche Machtpolitik gegenüber Teheran ins Leere.“

Im aktuellen Konflikt, so lautet Lüders’ Resümee, gehe es um handfeste politische, ökonomische und geostrategische Interessen der USA und Israels. Ein Krieg mit dem Iran brächte „Instabilität als Dauerzustand“. Doch mit seiner starken Fokussierung auf die Westmächte und Israel folgt er der medialen Berichterstattung hierzulande, die er im Vorwort selbst kritisiert. Russland und China thematisiert er gleichsam nebenbei, dabei spielen diese Länder ebenfalls eine bedeutende Rolle. Sie würden einen als Präventivkrieg getarnten Schlag gegen den Iran kaum hinnehmen. Das Land ist aufgrund seiner Rohstoffe, aber auch wegen der geopolitischen Lage ein solch entscheidender Faktor für die Großmächte und ihre Hoffnungen auf die künftige Vorherrschaft über die Energieressourcen der Welt, dass ein Krieg eher unwahrscheinlich ist – trotz aller aggressiven Rhetorik. Das wiederum sagt Lüders nicht.

Lieber keine U-Boote für Israel?

Um die gegenwärtige Situation zu entspannen, müssten alle Akteure neue Schritte wagen. Lüders spricht sich dafür aus, dass Deutschland seinen engen Verbündeten in Tel Aviv nicht militärisch – etwa mit U-Booten – ausstattet, sondern ihn darin bestärkt, mit seinen Nachbarn Frieden zu schließen, die besetzten Gebiete zu räumen und den Palästinenserstaat anzuerkennen. Die Voraussetzung dafür wiederum sei, dass sich Israel den Problemen stellt, die es im Inneren mit den Siedlern im Westjordanland, den Ultraorthodoxen und den Einwanderern aus der ehemaligen UdSSR hat. Lüders schlägt eine Neuerfindung des jüdischen Staates jenseits des Ultranationalismus vor. Für ihn ist dessen „Obsession mit dem Iran“ der „beinahe verzweifelt anmutende Versuch, den eigenen Bedeutungsverlust aufzuhalten und umzukehren“. Eine Rückbesinnung auf die liberal-humanistischen Traditionen des Judentums wäre angesichts der „Grünen Bewegung“ im Iran und des demokratischen Aufbruchs in der arabischen Welt ein positives Signal an die Nachbarvölker, dass Frieden möglich ist.

Mit der Hoffnung auf eine friedliche Lösung sowohl des Nahost- als auch des Atomkonflikts mit dem Iran endet Lüders’ Buch. Es ist eine flüssig zu lesende Zusammenfassung und Übersicht der Ereignisse der letzten Jahre. Jedoch scheint es schnell geschrieben und lektoriert worden zu sein. Flüchtigkeitsfehler, auch inhaltliche, die der Verlag hätte tilgen können, sind einige zu finden. Das ist gerade deshalb bedauerlich, weil Lüders seinen Lesern mehr bieten möchte als der von ihm kritisierte Mainstream-Journalismus. Man merkt ihm die Leidenschaft für das Thema an und den Wunsch, die Zusammenhänge im Streit um Irans Atomprogramm zu erklären. Doch die Skandalisierung jenes heiklen Themas ist kontraproduktiv, wenn man den Anspruch erhebt, eine sachliche Analyse zu liefern. Das Buch hat also seine inhaltlichen wie stilistischen Schwächen. Dennoch lohnt die Lektüre. Lüders reibt sich an einer politischen und journalistischen Haltung, die stets zu wissen scheint, wo „Gut“ und „Böse“ zu verorten sind. Seine Kritik an einer Sichtweise, die Fragen meidet, die eigenen Interessen zuwiderlaufen, regt zum Nachdenken an –auch wenn er selbst zu Vereinfachungen neigt und sein moralischer Appell an der Realpolitik abprallt.

Michael Lüders, Iran: Der falsche Krieg. Wie der Westen seine Zukunft verspielt, München: C.H. Beck 2012, 175 Seiten, 14,95 Euro 

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