Der Erfolg der Rechten ist mehr als ein Strohfeuer

Der Aufstieg der AfD ähnelt dem der FPÖ vor 25 Jahren. Die Erfahrung aus Österreich zeigt: Scharfe Abgrenzung genügt nicht. Die anderen Parteien müssen sich auch radikal erneuern

D er Aufstieg der Rechtspopulisten scheint unaufhaltsam. Anfang April mussten die Parteichefs der großen Regierungskoalition eine regelrechte Schockumfrage zur Kenntnis nehmen. Christdemokraten und Sozialdemokraten kommen in der jüngsten Wählererhebung zusammengerechnet nur noch auf 44 Prozent. Die C-Partei hat dabei einen kleinen Vorsprung. Die Grünen stagnieren. Die größte Oppositionspartei von rechts hingegen legt seit Monaten kontinuierlich zu, ohne dass ihr Vorsitzender durch besondere politische Initiativen aufgefallen wäre. Stattdessen macht er konsequent Stimmung gegen „das System“, gegen Flüchtlinge, gegen den Islam und gegen kritische Medien.

Das Land, von dem hier die Rede ist, heißt – Sie haben es erraten – Österreich. In der jüngsten Sonntagsfrage kommt die Freiheitliche Partei (FPÖ) auf 32 Prozent und liegt damit gut 10 Prozentpunkte vor der Österreichischen Volkspartei (ÖVP). Die Parallelen zu Deutschland sind kein Zufall. Das kleine Land südlich der Bundesrepublik sieht sich nach einem Vers des Dichters Friedrich Hebbel gerne als „eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält“. Das ist zwar eine maßlose Selbstüberschätzung. Im Falle des Aufstiegs einer rechtsnationalen, ausländerfeindlichen und offensiv EU-skeptischen Partei war Österreich dem Rest Europas dennoch weit voraus. Was die AfD heute für Deutschland ist, das war die FPÖ für Österreich schon vor 25 Jahren. Es gibt auffallend viele Ähnlichkeiten.

Die FPÖ war schon zweimal so gut wie gescheitert

Damals wie heute gab es eine Mehrfachkrise: politische und wirtschaftliche Verwerfungen, Krieg in der Nachbarschaft, historische Umbrüche weltweit. Noch bevor Österreich, dieses Land der „ewigen“ Großen Koalition und der Sozialpartnerschaft, der EU beigetreten war, hatte ein Mann den Grundstein für den Erfolg der FPÖ gelegt, dessen Talent und Charisma so ausgeprägt war wie sein Hang zum hemmungslosen Populismus: Jörg Haider. Der studierte Verfassungsjurist kam im Herbst 2008 in volltrunkenem Zustand bei einem Autounfall ums Leben. Aber „seine“ FPÖ, die zwischenzeitlich mitregierte, dann in Skandalen unterging und sich spaltete, ist längst wieder obenauf.

Alle Hoffnungen, die Partei würde wieder von selber verschwinden, waren trügerisch. Schon als Jörg Haider im Jahr 1986 FPÖ-Chef wurde, stand seine Partei kurz vor dem Zusammenbruch. Ihr dumpfer Deutschnationalismus schien sich überlebt zu haben. Die FPÖ lag in Umfragen unter der Fünf-Prozent-Hürde für den Wiedereinzug in den Nationalrat. Doch knapp 13 Jahre später überholte sie als „Haider-Partei“ die Christdemokraten, mit ihrem bisher besten Ergebnis bei einer Bundeswahl: 26,9 Prozent. Ausgangspunkt des Aufstiegs waren Haiders Erfolge in den Bundesländern, beginnend mit Kärnten, wo er 1989 Landeshauptmann wurde. Seitdem konnte sich die FPÖ auf Kosten der großen Volksparteien fest im Parteiengefüge etablieren, obwohl sie beim politischen Gegner und bei den Medien bereits zweimal als gescheitert galt. Mit ihren Erfolgen bei den jüngsten Landtagswahlen schickt sich in Deutschland nun die AfD an, einen ähnlichen Weg zu gehen – trotz innerer Machtkämpfe und Abspaltungen.

Populisten brauchen vor allem Polarisierung

Nein, der Aufstieg der Rechten in ganz Europa ist kein Übergangsphänomen. Er wird von mehreren Umbruchsfaktoren begünstigt, auf die die müde gewordenen „Altparteien“ (ein Lieblingswort Jörg Haiders) aus Sicht der „Modernisierungsverlierer“ in der Bevölkerung keine Antworten finden. Da ist Deutschland plötzlich nicht viel anders als Frankreich oder Dänemark.

Was also waren die auffälligsten Merkmale, die den Aufstieg der österreichischen Rechtspopulisten unter Jörg Haider und später unter seinem Epigonen Heinz Christian Strache ausmachten?

Auch wenn man sich das heute kaum vorzustellen vermag: Die aggressive Politik gegen Ausländer und Zuwanderer, die in Österreich heute mehr oder weniger offen Kernstück jeder freiheitlichen Wahlkampagne ist, spielte zunächst kaum eine Rolle. Jörg Haider begann in einem ersten Schritt damit, seine Partei als Anti-Establishment-Bewegung zu positionieren. Er wetterte nicht nur gegen die traditionellen Parteien und deren Machtgefüge in den Interessenverbänden und im Staatsapparat. Haider bezog auch die Medien in seine radikale Kritik mit ein, warf dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor, ein „Rotfunk“ zu sein und sprach von einer angeblich „gesteuerten Presse“.

Innerhalb relativ kurzer Zeit erreichte der selbst ernannte „Robin Hood“ einen Zustand im Land, der für Populisten so wichtig ist wie Dünger für Pflanzen: eine starke Polarisierung in Medien und Bürgerschaft. Je vehementer eine Seite die gezielt gesetzten Tabubrüche der „Blauen“ zurückwies, desto stärker stellte sich das Lager der Haider-Fans auf die Seite der rechten Angreifer. Der Wählerzustrom folgte auf den Fuß.

Wer als Österreicher die Debatten über den Umgang mit der AfD in Deutschland verfolgt, etwa die Frage, ob man sich den Rechtspopulisten in Fernsehdiskussionen stellen solle, dem fällt es wie Schuppen von den Augen: Die pauschale Verunglimpfung der Medien als „Lügenpresse“ durch die Rechten und die empörten Reaktionen der Betroffenen darauf, das erinnert stark an Haiders Aufstieg und den seiner Partei. So wurden seine politischen Ansagen schon vor zwanzig Jahren zum Dauerthema. Es gab kaum eine Fernsehdebatte, in der sich nicht alle auf „den Eisbrecher“ einschossen, wie der Titel einer liebdienerischen Biografie seines Hofschreibers Andreas Mölzer lautete. Im bundesdeutschen Wahlkampf im März 2016 liefen die Talkshows ähnlich ab: Es ging ewig lange um die AfD und kaum um Sachfragen. In Österreich nannte man dieses Phänomen „in der Haider-Falle sitzen“. Wer stark emotionalisiert gegen ihn auftrat, half ihm umso mehr und steigerte die Popularität der FPÖ.

»Man muss Wahlen gewinnen«, erkannte Jörg Haider

In diesem Sinne war wohl auch der Name der „Alternative für Deutschland“ von Anfang an beabsichtigt und von Vorbildern abgeschaut: Je mehr Kanzlerin Angela Merkel und ihre Große Koalition davon sprachen, dass ihre Politik (auch in Europa) „alternativlos“ sei – ob beim Euro, bei der Rettung der griechischen Staatsfinanzen oder bei Flüchtlingen –, desto stärker wuchs im bürgerlich-rechten Lager der Widerspruch.

Genau so ist in Österreich vor mehr als zwanzig Jahren die Anti-EU-Haltung der FPÖ entstanden. Eigentlich war die Partei traditionell für den EWG-Beitritt gewesen. Aber als SPÖ und ÖVP im Jahr 1987 den Beschluss fassten, dass Österreich der späteren EU „ohne Wenn und Aber“ beitreten müsse, um seine wirtschaftlichen Chancen in Europa zu wahren, schwenkte Haider um. Praktisch über Nacht wurde er zum dezidierten Gegner der Union, warnte vor Euro und Grenzöffnung und trat gegen den EU-Beitritt Österreichs ein – so wie rund ein Drittel der EU-skeptischen Bevölkerung. Dieses große Wählerpotenzial konnten die damals ebenfalls EU-feindlichen österreichischen Grünen nicht abdecken. Am Ende kommt es nur auf eines an, erklärte Haider dem Autor in dieser Zeit einmal sein politische Grundformel: „Man muss Wahlen gewinnen.“ Wie man das erreiche, sei völlig egal, danach frage hinterher niemand.

Und so handelte er auch, als er Ende 1991 mitten in den anschwellenden Jugoslawienkriegen und der daraus erwachsenden Flüchtlingskrise das berüchtigte Anti-Ausländer-Volksbegehren „Österreich zuerst“ startete. Bis zum Fall des Eisernen Vorhangs 1989 hatte das Ausländerthema in Österreich politisch nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Als dann aber 1990 plötzlich 8 000 Rumänen als Asylwerber ins Land kamen, sah der damalige Innenminister Franz Löschnak (SPÖ) ein Problem aufkommen. Er wollte 800 von ihnen in einer ehemaligen Kaserne in einem burgenländischen Dorf unterbringen. Die Bevölkerung reagierte empört. Haider musste „das Ausländerproblem“ nur noch übernehmen und kampagnisieren. Er stellte sich frontal gegen die damalige Willkommenskultur der etablierten Parteien, die die Aktion „Nachbar in Not“ unterstützten.

Es ist also wahrlich kein neues Phänomen, wenn Rechtsparteien mehrere innenpolitische Problemfelder mit den Umbrüchen in Europa verknüpfen, um dann mit scharfer „Anti-Politik“ auf Wählerfang zu gehen. Nicht nur in Deutschland, quer durch Europa erleben rechtsnationale Strömungen großen Zulauf, in wenigen Staaten tut dies auch eine „neue Linke“ und eine junge „Empört-Euch!“-Bewegung. Das alte Konzept von Franz Josef Strauß, dass rechts von der CSU kein Platz sein darf, funktioniert nicht mehr, so sehr sich Horst Seehofer auch bemüht. Und nicht nur in Deutschland bröselt es in der klassischen Sozialdemokratie. Modernisierungsverlierer gibt es überall, und ihre Zahl wird größer – auch und vor allem unter den jungen Menschen.

Auch im EU-Parlament rückt die AfD nach rechts

Was da läuft, lässt sich seit den Europawahlen im Mai 2015 anschaulich im Europäischen Parlament in Straßburg beobachten. Das Parlament mit seinen mehr als 150 nationalen Wahlparteien, aus denen die 751 Abgeordneten stammen, ist ein gutes Abbild der politischen Strömungen in Europa. Die Liberalen, die traditionell drittstärkste Fraktion neben den beiden großen Volksparteien, fielen stark zurück, ebenso die Grünen. Als grundsätzlich EU-integrationsfreundliche Kräfte bilden sie heute nur noch die viert- und sechststärksten Fraktionen im Europaparlament. Dafür gibt es nun gleich drei gestärkte Rechtsfraktionen: 174 von 751 Abgeordneten, mehr als 23 Prozent sind das. Sie alle lehnen die EU mehr oder weniger stark ab. Das beginnt mit den von den Tories angeführten fundamentalen EU-Kritikern, geht über die Fraktion des britischen EU-Skeptikers Nigel Farage von der „Unabhängigkeitspartei“, der den EU-Austritt seines Landes betreibt, und endet ganz rechts bei der von Marine Le Pen und ihrem Front National dominierten Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“. Sie hat sich die „Zerstörung der EU, wie sie ist“, zum Ziel gesetzt: die Abschaffung des Euro, das Ende von Schengen und der offenen Grenzen, mehr Nationalstaat und ein striktes Vorgehen gegen den Islam.

Mit Le Pen im Boot sitzt die FPÖ, genauso wie die belgische Anti-Ausländer-Partei Vlaams Belang, der rabiate Islamfeind Geert Wilders aus den Niederlanden und die separatistische Lega Nord aus Italien. Für die künftige Europadebatte in Deutschland ist interessant, wie sich die AfD in diesem Spektrum orientiert. Nach den Querelen um Parteigründer Bernd Lucke, nach Austritten und Ausschlüssen hat die Partei nur noch zwei von ursprünglich sieben EU-Abgeordneten. Bisher gehörten Beatrix von Storch und Parteisprecher Marcus Pretzell ins Lager der konservativen britischen EU-Kritiker, die beiden orientieren sich jedoch gerade neu. Storch wechselte ins EU-Skeptikerlager von Farage, Pretzell (der Lebensgefährte von AfD-Chefin Frauke Petry) betreibt den Zusammenschluss mit der Fraktion von Le Pen. Unterstützt wird er dabei von Parteivize Alexander Gauland.

Radikale Erneuerung und Gesicht zu den Menschen

Die deutschen Rechten rücken in Europa also weiter nach rechts. Und damit schließt sich der Kreis zu Österreich und zur FPÖ, die all diese Drehungen und Wendungen im rechten europäischen Lager seit Jahren hinter sich hat. Neuerdings pflegen die Freiheitlichen auch eine „strategische Partnerschaft“ mit der AfD, wie Petry und FPÖ-Chef Heinz Christian Strache nach wechselseitigen Einladungen zu Parteikonventen verkündeten.

Was können die politischen Gegner, besonders die deutschen Sozialdemokraten also tun, um diesen Tendenzen zu begegnen? Auch in dieser Frage könnten die österreichischen Erfahrungen mit der FPÖ hilfreich sein. Es reicht nicht, sich von Rechtspopulisten einfach nur scharf abzugrenzen, die Polarisierung zu verstärken, zu versuchen, echte Probleme einfach wegzudrücken und im Übrigen darauf zu hoffen, dass wieder bessere Zeiten kommen werden, so wie die SPÖ dies seit drei Jahrzehnten tut.

Die einzige realistische Chance, den Wählerverlust zur AfD zu stoppen, besteht für Sozialdemokraten vielmehr darin, zum eigenen Kerngeschäft zurückzukehren. Das bedeutet, sich den konkreten Problemen, Hoffnungen und Wünschen der Menschen zuzuwenden, auf radikale Erneuerung zu setzen, nationale und europäische Politik auf einen guten gemeinsamen Nenner zu bringen. Vor allem aber bedeutet es: Die traditionellen Parteien müssen permanent um die Wähler kämpfen – und nicht erst kurz vor den Wahlen.

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