Den Menschen helfen

EDITORIAL -- Welche Schlüsse sollten Progressive aus der Finanz- und Wirtschaftskrise ziehen, in der die Welt mittlerweile seit zwei Jahren steckt?

Welche Schlüsse sollten Progressive aus der Finanz- und Wirtschaftskrise ziehen, in der die Welt mittlerweile seit zwei Jahren steckt? Wollen wir, wenn der Sturm vorübergezogen ist - oder damit er sich so schnell wie möglich legt -, ganz anders wirtschaften, arbeiten und leben als bisher? Oder kommt es darauf an, so schnell wie möglich auf ältere Erfolgspfade des Kapitalismus zurückzukehren? Und wenn Dinge in Zukunft ganz anders gemacht werden sollen, was wären dann eigentlich die Kriterien und Referenzpunkte, an denen sich die künftige Ökonomie messen lassen müsste? Müssen wir also radikal neu denken? Oder vor allem auf einen Pfad „deutscher Tugenden“ zurückkehren, der in eine mutmaßlich bessere Vergangenheit von Sozialer Marktwirtschaft und Rheinischem Kapitalismus zurückführt?

Es ist ebenso schwierig wie notwendig, die Debatte hierüber jetzt zu beginnen. Es ist schwierig, weil offensichtlich noch kein Mensch weiß, wie sich die Weltkrise in den kommenden Monaten und Jahren weiter entwickeln wird. Optimisten mutmaßen bereits, wir könnten „mit einem blauen Auge davongekommen“ sein (Timo Meynhardt und Alexander Schumann) oder halten zumindest eine zweite Große Depression nach dem Muster der Jahre 1929 ff. für wenig wahrscheinlich (Heiko Geue). Hingegen meinen andere Beobachter wie etwa der britische Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson, dass Deutschland aufgrund seiner Exportabhängigkeit sowie der Lernunwilligkeit seiner Politiker („Deutschland verdrängt die Gefahr“) in den kommenden Jahren noch ein besonders böses Erwachen erleben könnte.

Schon diese Möglichkeit macht den Diskurs darüber, welche Prinzipien der Wirtschaft in Zukunft zugrunde liegen sollten, aus progressiver Perspektive dringend notwendig. Es ist ja im Übrigen auch nicht so, dass vor der Krise alles zum besten gestanden hätte; für die Diskussion, wie eine „Ökonomie für den Menschen“ (Amartya Sen) im 21. Jahrhundert aussehen könnte, war es ohnehin höchste Zeit. Die Krise schafft nun allerdings erfreulicherweise einen neuen Resonanzraum für Argumente und Fragen, die sonst vielleicht beiseite gewischt worden wären: Der zivilgesellschaftlichen Genossenschaftsidee eine große Zukunft vorauszusagen (Christian Rickens), die Perspektiven der Kommunalwirtschaft auszuloten (Marc Hansmann) oder über die allgemeine Verzopftheit der wirtschaftswissenschaftlichen Zunft in Deutschland zu spotten (Thomas Fricke) – das alles hätten nicht wenige vor zwei Jahren wohl noch für etwas abseitig gehalten. Das ist jetzt anders, glücklicherweise.

Ein Hinweis jedoch ist bei alledem wichtig, und Gert G. Wagner trägt ihn überzeugend vor: Statt wolkigen Visionen wie dem „Schwundgeld“, dem „bedingungslosen Grundeinkommen“ oder einer „Wirtschaft des Genug“ anzuhängen, sollten sich Freunde des Fortschritts vor allem des utopischen Charakters der vermeintlichen Kleinarbeit vergewissern und, wie Wagner schreibt, ganz einfach „wieder anfangen, den Menschen zu helfen“. Zu tun gibt es genug.

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