Das Urheberrecht braucht kreative Reformen

zu Leonhard Dobusch, Urheberrecht und die Kulturtechniken der digitalen Revolution, Berliner Republik 5/2010

Leonhard Dobusch hat in der vergangenen Ausgabe dieser Zeitschrift einen höchst aktuellen Beitrag zum Urheberrecht in der digitalen Gesellschaft verfasst. Als Mitglied der Enquête-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ möchte ich einige Punkte daraus aufgreifen. Das Hauptproblem unseres Urheberrechts liegt darin, dass es vom technischen Fortschritt überholt wurde. Die für analoge Sachverhalte konzipierten Regelungen unseres Urheberrechts sind aufgrund der „digitalen Revolution“, wie Dobusch die Entwicklung nennt, fast nicht mehr zu verwirklichen. Dieses Rechtsgebiet ist von einer Spezialmaterie, mit der sich nur kleine Kreise von Fachleuten befassten, zu einem „Alltagsrecht“ geworden – ohne dass es an Komplexität verloren hätte.

Ganz im Gegenteil: Die digitale Entwicklung hat neue Nutzungsarten entstehen lassen, und neue Geschäftsmodelle sind entwickelt worden, die den Anwendungsbereich des Urheberrechts deutlich erweitert haben. Die Liste der Verwertungsrechte ist – wie die Liste der Nutzungsarten – sehr viel länger geworden. Aber die Novellierungen des Urheberrechtsgesetzes der vergangenen Jahre waren meistens im Moment ihrer Entstehung durch die rasante Entwicklung schon wieder überholt. Eine Folge dieser Veränderungen ist, dass weite Teile der Bevölkerung die bestehenden Regelungen des Urheberrechts schlicht nicht verstehen. Damit haben wir ein handfestes Legitimationsproblem.

Nach wie vor ist es Konsens, dass die geistige Leistung an sich schützenswert ist und ein Kreativer für sein Schaffen ein immaterielles Recht erhält, das andere zu achten haben. Auch im digitalen Zeitalter gilt, dass ein Urheberrecht nur vom Urheber aus gedacht werden kann. So notwendig und für den Urheber wichtig der Werkvermittler und der Nutzer auch sind – ohne die schöpferische Leistung des Urhebers gibt es für sie nichts zu tun. Ich glaube deshalb, dass wir kein grundsätzliches Problem fehlender Akzeptanz des Schutzes geistiger Beiträge zum kulturellen Leben haben. Über die Reichweite dieser Schutzrechte, die Modalitäten ihrer Anwendung und die Konsequenzen einer Nutzung besteht dagegen Verwirrung. Dies betrifft nicht allein die Nutzer, etwa weil sie selbst eingesungene „Lady Gaga“-Karaoke-Songs auf YouTube hochladen oder Comic-Helden wie Donald Duck oder Spiderman als Profilbilder auf Facebook verwenden und damit unwissentlich kostspielige Abmahnungen riskieren. Sondern es betrifft auch die Urheber selbst, die den Umfang ihrer Rechte häufig gar nicht kennen und sie nicht ohne kostspielige und aufwändige Hilfe ermitteln können.

Die „Creative Commons“-Bewegung um den Verfassungsjuristen und Rechtsprofessor Lawrence Lessig ist Ausdruck dieser tiefgreifenden Unzufriedenheit mit den bestehenden Regelungen. Die Popularität der „Creative Commons“-Lizenzen bei der meist digitalen Verwertung verdeutlicht, dass es verständlicher Regelungsmodelle bedarf. Gelegentlich werden diese Modelle als Absage an das Urheberrecht ausgelegt. Auch den „Creative Commons“-Anhängern geht es aber weniger darum, eine „Kostenlos-Kultur“ zu etablieren, als vielmehr um einen bedarfsgerechten Umgang mit dem Urheberrecht.

Aus meiner Sicht ist ein solcher bedarfsgerechter Umgang durch die bestehenden Regelungen des Urhebervertragsrechts nicht mehr gewährleistet. Das Urhebervertragsrecht hat die Aufgabe, einen Interessenausgleich zwischen Urhebern, Werkvermittlern und Nutzern herzustellen und abzusichern. Das Urhebervertragsrecht begünstigt momentan eher die Werkvermittler und -verwerter. Sie sind faktisch die stärkste Partei am Verhandlungstisch. Die Werkvermittler legen vielfach nicht nur die Nutzungsbedingungen urheberrechtlich geschützter Werke fest, sondern diktieren den Urhebern auch Umfang und Ausmaß ihrer Rechtseinräumung. Es kann nicht sein, dass sich Werkvermittler auf Basis des Urhebervertragsrechts umfassend und pauschal Exklusivrechte einräumen lassen. Die Urheber müssen – notfalls gestützt durch gesetzliche Regelungen – selbst entscheiden können, welche und wie viele ihrer Rechte sie Dritten einräumen.

Leonhard Dobusch führt an, dass die Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten in der digitalen Gesellschaft verschwinden. Grundsätzlich gilt, dass ein Urheber für seinen Beitrag am kulturellen Leben angemessen gewürdigt werden muss und dass er Anspruch auf ideelle und materielle Anerkennung hat. Gerade in einer Wissensgesellschaft ist das geistige Eigentum schützenswert. Allerdings orientieren sich die bestehenden Regelungen immer noch am Bild eines Schöpfers, der mit seiner Kunst vorrangig Geld verdient.

In der digitalen Gesellschaft entstehen Konstellationen, in denen die wirtschaftliche Verwertung für den Urheber keine Rolle spielt und der Nutzer mit dem Zugriff auf ein bestehendes Werk keine eigenen materiellen Ziele verfolgt oder die wirtschaftliche Auswertung des Ursprungswerkes nicht beeinträchtigt. Solche Sachverhalte finden oftmals keine unmittelbare Entsprechung im geltenden Recht. Das muss geändert werden. Viele Verwerter übertragen ihr herkömmliches Geschäftsgebaren – etwa die „Abmahnungskultur“ – eins zu eins auf das Netz. Dies kann nicht stilbildend sein für die Zukunft. Dass Hardware-Entwickler neue Wege der Vermarktung und des Verkaufs im Netz gefunden haben, zeigt, dass eine Lösung möglich ist.

Die Politik ist aufgefordert, das Urheberrecht zukunftsfest zu machen. Dazu gehören klare, für den durchschnittlichen Nutzer verständliche Regelungen. Urheber müssen auch ohne kostspieligen juristischen Rat erkennen können, welche Rechte ihnen zustehen und wo diese Rechte enden. Auf der Grundlage  dieser Informationen müssen sie dann entscheiden können, in welchem Umfang sie diese Rechte auch wahrnehmen – oder darauf verzichten. Nutzer müssen in der Lage sein zu erkennen, welche Nutzungen möglich sind, ohne fremde Rechte zu verletzen. Und die Werkverwerter müssen ihr Handeln daran ausrichten, welche Rechte sie ihren Vertragspartnern – Künstlern und Nutzern – einräumen und nutzen möchten. Eine bloße Erweiterung des Rechtekatalogs der Urheber ist ebenso verfehlt wie eine bloße Verlängerung der Liste der Ausnahmetatbestände zugunsten der Nutzer. Die Politik muss ebenso kreativ werden, wie es diejenigen sind, die das Urheberrecht schützen soll. «

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