Das Internet ist kein Zauberstab

Weshalb die Versuche von Politik und Verwaltung, mit Bürgern in den »Online-Dialog« zu treten, bislang so kümmerliche Ergebnisse zeitigen

Unter dem Titel „Regierung scheitert am Bürgerdialog“ beschrieb Redakteur Sven Becker auf Spiegel-Online jüngst die geringe Resonanz auf die Diskussionsangebote der Bundesregierung im Internet. Ob Innenminister, Forschungsministerin, Familienministerin oder Bundeskanzlerin – sie alle fordern die Bürger zum Online-Dialog über Zukunftstechnologien, Netzpolitik und Nachhaltigkeit auf. Das ernüchternde Ergebnis: Kaum jemand beteiligt sich. Aber das Internet ist kein Zauberstab. Die Erwartungen an Online-Kommunikation sollten heruntergeschraubt und drei Aspekte besonders beachtet werden.

Erstens sollten die Dialoge erkennbar Relevanz haben. Die Ergebnisse müssen sich in der Verwaltungsarbeit niederschlagen und in politische Entscheidungsprozesse einfließen. Allzu oft gaukeln Online-Dialoge Partizipation nur vor, ohne dass sie wirklich etwas verändern. Bleibt die Frage: Warum geht die Regierung derart dilettantisch vor? Um Bürgernähe zu schaffen, suchen Politik und Behörden den Rat von Agenturen. Eigentlich ist das ein Fortschritt. Das Problem liegt darin, dass sich nur die Abteilungen für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit mit den externen Kommunikationsberatern an den Tisch setzen. Der primäre Arbeitsauftrag dieser Abteilungen lautet, die Öffentlichkeit über das Verwaltungshandeln zu informieren und für gute Schlagzeilen zu sorgen. Entscheidungsprozesse tatsächlich beeinflussen kann Bürgerbeteiligung jedoch nur, wenn auch die Mitarbeiter der Fachreferate eingebunden werden. Diese wiederum sind in der derzeitigen Verwaltungsstruktur aber keine Kommunikationsexperten, sondern ausschließlich für fachliche Lösungen zuständig. Nicht selten landen engagierte Empfehlungen von außen im digitalen Papierkorb, weil die Fachreferenten mit Bürgerbeteiligung nichts anfangen können.

Für eine effektive Bürgerbeteiligung müssten zusätzliche Abteilungen als Bindeglied zwischen Öffentlichkeit und Fachreferaten entstehen. Solche „Abteilungen für Bürgerdialoge“ sollten genauso sprechfähig sein wie jene für Öffentlichkeitsarbeit, die Hoheit über ihr eigenes Budget haben – und natürlich die Regeln der Kommunikation in den sozialen Medien beherrschen. Ohne diese Voraussetzungen bleibt es für jede externe Kommunikationsagentur eine ungeheure Sisyphusarbeit, die Kultur des Internets mit der Kultur von Ministerien zu synchronisieren.

Zweitens müssen sich die politischen Akteure über genau diesen clash of cultures im Klaren sein: Die Kultur des Internets entspricht nicht der eines Ministeriums. Im Gegenteil könnten die Unterschiede größer kaum sein. In der hierarchisch organisierten Verwaltung mahlen die Mühlen langsam wie in allen Großorganisationen. Nach Möglichkeit hat nur derjenige Einblick in Themen, der auch zuständig ist. Hingegen wird im Internet schnell kommuniziert. Seine Organisationsstrukturen sind dezentral und an Communities orientiert. Für viele Nutzer ist Transparenz ein wichtiger Wert – besonders, wenn es sich um politische Aktivisten handelt.

Bei der Erneuerung dürfen auch Fehler passieren

Bisher spiegeln die Online-Dialoge der Regierung den Wertekanon der Verwaltungsapparate wider. Oberstes Ziel ist größtmögliche Kontrolle, echter Dialog ist nicht erwünscht. „Ich Sender – Du Empfänger“ fasst Sven Becker seine Analyse treffend  zusammen. Dringend notwendig sind entsprechende Weiterbildungsangebote für Behördenmitarbeiter, wie sie etwa die Humboldt Viadrina School of Public Policy in Berlin künftig anbieten wird.

Drittens muss die Online- mit der Offline-Kommunikation verknüpft werden. Dabei sind auch Top-down-Strukturen notwendig. Eigentlich ist ein typisches Kennzeichen für politische Beteiligung im Internet die Bottom-up-Struktur. So erzielte die grasswurzelartig organisierte Initiative von Doktoranden, die einen offenen Brief zur „Causa Guttenberg“ an die Bundeskanzlerin richteten, in der Öffentlichkeit eine enorme Wirkung. Einige Kommunikationswissenschaftler vertreten deshalb die These, das Top-down-Prinzip sei für Bürgerbeteiligungen ungeeignet. Vielmehr seien im Internet nur Kampagnen erfolgreich, die „von unten“ kommen.

Doch ein Blick zurück auf die amerikanische Präsidentschaftswahl 2008 zeigt:  Barack Obamas legendäre Form der Bürgerbeteiligung – gelegentlich als Grassrootskampagne bezeichnet – folgte in Wahrheit einer Top-down-Struktur. Auf der Website mybarackobama.com konnten sich die Sympathisanten online vernetzen. Jeder war eingeladen mitzumachen, konnte zum Beispiel eine Hausparty mit Nachbarn und Freunden für den Kandidaten organisieren. Dabei blieb es den Freiwilligen selbst überlassen, auf welche Weise sie diese Treffen ausrichteten. Das Erfolgsrezept: Das Obama-Team machte die Homepage nicht zu einer Online-Quasselbude, sondern zu einem Ort der Begegnungen. Der Impuls und das Angebot zur Vernetzung gingen von der Obama-Kampagne aus. Diese stellte eine Struktur zur Verfügung, die alle Formate des Mitmachens erlaubte, von der kleinsten möglichen Einstiegsschwelle bis zum zeitlich aufwändigen Engagement. Trotz dieser Top-down-Steuerung blieb genügend individueller Spielraum für jeden einzelnen Unterstützer. 

Grundsätzlich gilt: Aus demokratietheoretischer Sicht ist die Kommunikation zwischen Bürgern und Verwaltung via Internet alternativlos. Wohin man blickt, zersplittert das politische Interesse in partikulare Themen. Folglich haben Politik und Verwaltung künftig nur dann eine Chance, die Bürger anzusprechen, wenn sie Angebote zu themenspezifischer Partizipation machen – online und offline gleichermaßen. Allerdings: Eine wirkliche Entsprechung der digitalen Dialoge gibt es offline überhaupt nicht. Welcher Bürger hat schon die Möglichkeit, persönlich eine Handlungsempfehlung an ein Ministerium zu richten, verbunden mit der Garantie, dass sein Vorschlag tatsächlich auf dem Tisch des zuständigen Fachreferenten landet? Übrigens sind Bürgerhaushalte ein hervorragendes Beispiel für digitale Beteiligung: Dabei stellen Kommunen online zur Abstimmung, ob Haushaltsmittel besser für den Bau eines Fußballplatzes oder die Erneuerung einer Straße eingesetzt werden sollen. Erstaunlicherweise geben die Bürger oft der Haushaltskonsolidierung den Vorzug vor neuen Ausgaben.

Was die Architektur von Bürgerbeteiligungen betrifft, stecken wir noch in den Kinderschuhen. Klar ist aber, dass sich die Menschen künftig verstärkt jenseits von Parteien und Institutionen organisieren und eher themenorientiert und temporär engagieren werden. Jetzt müssen Verwaltungen, aber auch Parteien und andere Organisationen mit den neuen Formaten fortlaufend experimentieren und vermeintlich verrückte Ideen wie das „Liquid Feedback“ der Piraten weiterentwickeln. Dabei dürfen ruhig auch Fehler passieren. Am Ende lohnen sich derartige Erneuerungsprozesse in jedem Fall. Das Internet verändert unsere Gesellschaften grundlegend wie einst die Dampfmaschine. Im übertragenen Sinne geht es derzeit darum, die feudalen gesellschaftlichen Verhältnisse zu überwinden. «

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