Bürgerlobby oder Selbstregierung?

Ansgar Klein räumt auf im Durcheinander der Zivilgesellschaft

Der Begriff "Zivilgesellschaft" und Aufforderungen, das mit ihm bezeichnete politische Projekt zu aktivieren, zu fördern, aufzuwerten und in den Mittelpunkt politischer Reformpolitik zu stellen, sind seit einer Reihe von Jahren in aller Munde. Oft hat der Eifer, sich aus allen Ecken und Richtungen des politischen Spektrums heraus dieser Bewegung so rasch wie möglich anzuschließen, zur Unklarheit der Möglichkeiten und Grenzen zivilgesellschaftlichen Handelns eine Menge, zum Verständnis der Sache selbst dagegen kaum Weiterführendes beigetragen. So konnte es kaum Wunder nehmen, dass jüngst sogar von wissenschaftlicher Seite das Projekt "Zivilgesellschaft" mit der Bemerkung ironisiert wurde, bei dem Ganzen gehe es letztlich um nicht viel mehr als einen belanglosen "Lernzielkatalog für die politische Bildung".

Trotz der zahlreichen Monografien und Sammelbände, die zum Thema in den letzten Jahren erschienen sind, kommt dem Buch von Ansgar Klein eine zentrale Rolle für die Fundierung und Weiterführung eines handlungsorientierten politischen Diskurses über die Zivilgesellschaft zu. In übersichtlicher Form werden alle wichtigen Dimensionen und Facetten der zivilgesellschaftlichen Diskussion präsentiert, in sorgfältiger analytischer Differenzierung aufbereitet und auf die verschiedenen aktuellen Praxisfelder bezogen. In der Zuverlässigkeit seiner Darstellungen und Analysen, in der umfassenden Bewältigung des Themas und in der Vollständigkeit der verarbeiteten Literatur ist Ansgar Kleins Buch gleichzeitig ein Handbuch und eine Monografie zum Thema.

Große Linien und Praxisbezug

Das Buch beginnt mit einer kundigen und detailgenauen Beschreibung der unterschiedlichen Bäche und Ströme im zeitgenössischen Mäander der Diskurse und praktischen Projekte zur Zivilgesellschaft. Große Aufmerksamkeit widmet Klein den Ansätzen der Wiederentdeckung des Prinzips Zivilgesellschaft in den Reformbewegungen Osteuropas. Hier erwies sich das gegen den staatlichen Totalitarismus kritisch gewendete Prinzip Zivilgesellschaft als Energiequelle und Orientierung. In Kleins Arbeit wird aber auch deutlich, dass nicht nur die Theoriegeschichte der Zivilgesellschaft, sondern Zivilgesellschaft auch als praktisches demokratiepolitisches Reformprojekt in den westeuropäischen Gesellschaften eine viel längere und verzweigtere Vorgeschichte hat als diesen osteuropäischen Anlehnungspunkt.

Die Darstellung macht deutlich, wie sich "Zivilgesellschaft" aus einer anfänglich höchst ambivalenten Rolle im Denken der Neuen Linken allmählich zu einem eindeutigen und positiv akzentuierten Reformprojekt zur Erneuerung der Demokratie in den neuen sozialen Bewegungen entwickelte. Am Beispiel Gramscis, bei dem Zivilgesellschaft zwischen einer bloß instrumentellen Rolle im Revolutionskonzept und einer doch schon beginnenden eigenständigen politischen Bedeutung changiert, wird die ältere Ambivalenz exemplarisch deutlich. Die neuen sozialen Bewegungen hingegen setzen von Anbeginn auf "Zivilgesellschaft als politisches Ordnungsmodell".

Als sicherer Wegweiser durch die für den Unkundigen teils verwirrenden Feinheiten der Unterschiede zwischen den aktuellen Positionen in der zivilgesellschaftlichen Debatte, klärt Klein den Frontverlauf souverän und informativ. Die Erörterung der Unterschiede zwischen einem liberal-demokratischen und einem republikanischen Modell der Zivilgesellschaft und den verschiedenen Formen ihrer Vermittlung, ist keineswegs allein von theoretischem, sondern von direkt praktischem, reformpolitischem Interesse. Es bedeutet nicht nur im Selbstbewusstsein der Akteure, sondern auch für die Legitimation zivilgesellschaftlicher Handlungsformen und die ordnungspolitische Architektur der Gegenwartsdemokratie durchaus einen beträchtlichen Unterschied, ob Zivilgesellschaft wie im liberal-demokratischen Modell in erster Linie als Gegenöffentlichkeit und Bürgerlobby verstanden wird, oder wie im republikanischen Modell als eine Form der bürgerschaftlichen Selbstregierung. Diesen Klärungen und der kritischen Analyse der unterschiedlichen Positionen ist ein großer Teil des Mittelstücks von Kleins Buch gewidmet.

Es gibt dem Buch seinen besonderen Wert, dass in all diesen Verästelungen der Debatte die großen Linien und der Praxisbezug niemals verloren gehen. Genau das macht es zu einer Art Handbuch zum Thema. Alle relevanten Autoren und Texte werden in klarer und übersichtlicher Form in die Darstellung einbezogen. Die Aufbereitung des ideengeschichtlichen Hintergrunds im zweiten Hauptteil des Buches konzentriert sich nach einem großen historischen Rückgriff auf die Ursprünge des Konzepts, vor allem auf die Ursprünge und Konturen der Binnendifferenzierung im zivilgesellschaftlichen Diskurs der letzten Jahre.

An Ansgar Kleins Buch wird künftig niemand vorbeikommen, der sich mit theoretischem oder praktischem Interesse zum Thema "Zivilgesellschaft" kundig machen oder selbst einen Beitrag zur Debatte leisten will.

Ansgar Klein, Der Diskurs der Zivilgesellschaft: Politische Hintergründe und demokratische Forderungen, Opladen: Leske + Budrich, 2001, 460 Seiten, 34,90 Euro

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