Brücken über das Mittelmeer

Was können die deutschen politischen Stiftungen in Nordafrika und im Nahen Osten leisten?

Europa schaut gebannt auf die Entwicklungen in Nordafrika und versucht, die jungen Demokratiebewegungen vor Ort zu unterstützen. Eine besondere Rolle kommt dabei den deutschen politischen Stiftungen zu: Sie sollen ihre langjährigen Erfahrungen nutzen und den neuen Partnern in der Region Hilfe anbieten. Von dem mit rund 5 Millionen Euro ausgestatteten „Demokratiefonds Nordafrika“ können die Stiftungen gemeinsam mit den kirchlichen Hilfswerken den größten Teil von 3,25 Millionen Euro beanspruchen. Auf die Stiftungen wartet allerdings keine leichte Aufgabe, denn die arabischen Transformationsprozesse bilden eine besonders komplexe Herausforderung: Wie werden sich die neuen Zivilgesellschaften zusammensetzen? Wie gelingt es, nicht-organisierte Kräfte aus den sozialen Netzwerken einzubinden? Wie können auch die Protestierenden in Projekte involviert werden?

Auf all diese Fragen Antworten zu finden, erfordert viel Kreativität und Sachverstand. Außerdem ist zu klären, ob es Kontakte mit den islamistischen Kräften in der Region geben soll – und wenn ja, mit wem und in welcher Form. Folgt man dem Beispiel des National Endowment for Democracy – im Jahr 1983 in den USA nach dem Vorbild der deutschen politischen Stiftungen gegründet –, wird nur Geld für säkulare Gruppen zur Verfügung gestellt. Der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rabat sagte im März der Frankfurter Rundschau, bisher seien noch keine Partner unter den tunesischen Parteien ausgemacht worden. Bei einigen Kräften wäre man lieber vorsichtig, da derzeit nicht klar sei, was bloße Rhetorik und was ihr tatsächlicher politischer Wille sei. Eine „Einmischung ohne Einmischung“, wie es in der Frankfurter Rundschau heißt, reicht allerdings nicht aus. Bisher ist es nur vereinzelt gelungen, die komplizierten arabischen Gesellschaften tatsächlich zu verstehen.

Die Rahmenbedingungen für die deutschen politischen Stiftungen sind schwierig. Nicht nur haben die EU und ihre Mitgliedsländer, die sich lange als geduldige Partner der Willkürherrscher in der Region gezeigt hatten, in den Umbruchländern einen Vertrauensverlust erlitten. Auch pflegten die politischen Stiftungen selbst teilweise eine kritische Nähe zu den Regierungen der Mubaraks und Ben Alis. Dies ließ sich nicht immer vermeiden, um überhaupt Projektpartner finden und operativ arbeiten zu können. Beispielsweise hat die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) damit zu kämpfen, dass die regierende Partei des ehemaligen ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak Mitglied der Sozialistischen Internationalen war. Ihr vormaliger Startvorteil entpuppt sich nun als Bürde; der Eindruck der Nähe zum Mubarak-Regime könnte einen Neustart erschweren. Dabei besitzt gerade die FES lange Erfahrungen mit der Demokratieförderung in der Region.

Auch die zögerliche Haltung Deutschlands und der EU gegenüber den Veränderungen in Tunesien und Ägypten sowie die Enthaltung Deutschlands im Sicherheitsrat in der Libyenfrage werden in der arabischen Welt kritisch gesehen. Hier gilt es, Vertrauen aufzubauen und neue Wege der Kooperation zu entwickeln. Schließlich bieten sich für die politischen Stiftungen durch die Veränderungen in der Region nicht nur finanziell gute Chancen. Sie können sich in besonderer Weise empfehlen, wie sie dies in ihrer Geschichte bereits mehrfach getan haben.

Frühwarnsystem für politische Entscheidungen

Die Auslandstätigkeiten der politischen Stiftungen lassen sich in drei Entwicklungsphasen einteilen: In der ersten Phase, nach ihrer Gründung bis zur Wiedervereinigung, waren sie als europäischer Bündnispartner beim Aufbau demokratischer Strukturen aktiv und für ihre Unterstützung der Demokratiebewegungen in Südeuropa anerkannt. In der zweiten Phase von 1989 bis 2001 betätigten sie sich als Mittler im internationalen Dialog und konzentrierten sich darauf, Deutschland und den europäischen Einigungsprozess zu begleiten. Mit den Veränderungen in der Außen- und Sicherheitspolitik nach dem 11. September 2001 nahmen sie in der dritten Phase dann die Rolle des außenpolitischen Akteurs stärker wahr. Zwar betreiben die Stiftungen kein Agenda-Setting – dazu fehlt ihnen das Mandat. Aber sie können als Frühwarnsystem für politische Entscheidungen auftreten und relevante Kontakte für Entscheidungsträger erschließen. Pluralismus ist ein wichtiges Mittel ihres Erfolgs, die Präsenz unterschiedlicher Stiftungsvertretungen in einem Land ausdrücklich Teil des deutschen Ansatzes. Zudem wird dem Gastland damit demonstriert, dass unterschiedliche Positionen für die Entwicklung von demokratischen Gesellschaften wichtig und zulässig sind.

Ursprünglich wurden die Stiftungen nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen des reeducation programme als Instrumente der demokratischen Bildung ins Leben gerufen oder – wie die bereits 1925 gegründete und von den Nationalsozialisten verbotene FES – in neuer Form weitergeführt. Die Stiftungen entwickelten sich zu Bildungs- und Forschungsinstituten, Parteiarchiven, Begegnungsstätten und zu Entwicklungsorganisationen mit weltweiter Präsenz. Sie unterstützten die sich entwickelnde Europäische Gemeinschaft, vergaben Stipendien, bauten unabhängige Medien auf, arbeiteten mit Gewerkschaften und Genossenschaften im Ausland zusammen und förderten Bildungsprojekte in Staaten der Dritten Welt.

Eine wechselvolle Geschichte

In Spanien und Portugal waren die politischen Stiftungen in den sechziger und siebziger Jahren maßgeblich an der Überwindung der diktatorischen Regime beteiligt. Innerhalb Europas und gegenüber den Vereinigten Staaten konzentrierten sich die Stiftungen auf den Zugang zu wirtschaftlichen, politischen und sozialen Eliten. Als in den siebziger Jahren vor allem in Rüstungsfragen zunehmend Spannungen zwischen Deutschland und dem Bündnispartner USA auftraten, agierten die Stiftungen zunächst als Schadensbegrenzer im transatlantischen Verhältnis. Auf diese Weise gelang es ihnen, den Dialog mit den Vereinigten Staaten weiterzuführen und amerikanische Partner in Projekte jenseits der politischen Tagesagenda einzubinden. In den achtziger Jahren konzentrierten sich die Stiftungen auf den Umgang mit der Sowjetunion und die Entwicklungen in Zentral- und Osteuropa. Ferner verstärkten sie Kooperationsprojekte mit amerikanischen Institutionen und legten damit den Grundstein für einen tieferen Zugang zu amerikanischen Gesellschafts-, Wirtschafts- und Politikkreisen.

In der zweiten Phase nach der Wiedervereinigung waren die Stiftungen Mittler ihrer jeweiligen politischen Zielgruppen in Deutschland, Europa und in den USA. In dieser Zeit gab es in vielen Ländern Befürchtungen, in Deutschland könnten nationalistische und militaristische Tendenzen, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit um sich greifen. Hier leisteten die Stiftungen wertvolle Aufklärungsarbeit und berieten politische Entscheidungsträger sowie Vertreter der Medien und Zivilgesellschaft.

Mit der Weigerung einiger europäischer Mitgliedsstaaten, den Irak-Krieg 2003 zu unterstützen, kam es zu einer bedeutsamen Veränderung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, die sich nach den Anschlägen des 11. September 2001 bereits abgezeichnet hatte. In dieser dritten Phase der zunehmenden Unabhängigkeit Deutschlands vom amerikanischen Bündnispartner nahmen auch die politischen Stiftungen eine neue Rolle ein. Sie mussten nicht allein deutsche, sondern auch die Positionen europäischer Partner darlegen. Die schwierigen Umstände machten es außerdem notwendig, das transatlantische Verhältnis neu zu beleben. Das Projekt „Globale Atlantiker“ der FES, das deutsche Abgeordnete und Außenpolitiker aller Parteien mit amerikanischen Partnern zusammenbringt, ist ein Beispiel für diese Art der erfolgreichen überparteilichen, transatlantischen Kooperation. Während ihrer Auslandstätigkeit entwerfen die Stiftungen ihre eigenen Programme und führen diese ohne inhaltlichen Einfluss durch. Das Auswärtige Amt oder das Entwicklungsministerium, die für die Vergabe der Finanzmittel an die Stiftungen zuständig sind, respektieren deren inhaltliche und organisatorische Unabhängigkeit.

Die Stiftungen verfügen über ein beeindruckendes Portfolio und eine wechselvolle Geschichte. Dabei haben sie sowohl ihre Wandelbarkeit unter Beweis gestellt, als auch praktische Erfahrungen als lernende Institutionen in Umbruchsituationen gesammelt und an der Weiterentwicklung ihrer eigenen Instrumente gearbeitet. Die Rahmenbedingungen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend gewandelt, argumentiert Ralf Hexel, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Israel. Der Charakter von Politik verändert sich in allen Gesellschaften. Verhandlungslösungen innerhalb breiter Politiknetzwerke lösen die hierarchische Steuerung ab, gesellschaftliche Diskussion tritt an die Stelle bürokratisch-autoritärer Entscheidungen. Welche Möglichkeiten ergeben sich daraus für die Unterstützung des friedlichen Wandels in der arabischen Welt?

Für die politischen Stiftungen sind die unerwarteten Zuschüsse aus dem Nordafrika-Fonds Segen und Fluch zugleich. Auf der einen Seite beschert er ihnen positive Aufmerksamkeit und zusätzliche finanzielle Handlungsmöglichkeiten. Auf der anderen Seite muss das Geld auch sinnvoll angelegt werden. Dies braucht Zeit, wenn die Projekte die Wünsche und Prioritäten der Menschen in der Region berücksichtigen sollen. Und es erfordert neue Strategien:

  1. Bisher sind die Stiftungen nicht ausreichend in die Gesellschaften vorgedrungen. Dies wird umso wichtiger, je mehr Gruppierungen an der politischen Willensbildung teilnehmen. Die neue Situation erfordert eine Neuorganisation der Arbeit der Büros vor Ort: mehr Sachverstand, die Intensivierung von Sprach-und Regionalkenntnissen, Interesse, die Gesellschaften tatsächlich von innen kennenzulernen sowie eine enge Abstimmung mit lokalen Akteuren. Dafür braucht es neue Mitarbeiter, die vor Ort bereits Netzwerke haben und neue Kenntnisse mitbringen.

  2. Die Stiftungen müssen genau überlegen, wo sie komplementär zu bereits bestehenden Projekten ansetzen können und wie sich Doppelungen mit anderen Organisationen vermeiden lassen. Dazu braucht es Einfühlungsvermögen, Respekt vor den Entwicklungen dieser Gesellschaften und eine genaue Abstimmung mit den ägyptischen, tunesischen und anderen Partnern der Region.

  3. Es könnte von Vorteil sein, dass die Stiftungen in der arabischen Welt teilweise schon seit Jahrzehnten präsent sind. Allerdings müssen sie die Auswahl ihrer Kooperationspartner überdenken, ebenso wie die Regierungen in Europa. Die Mitgliedschaft in der Sozialistischen Internationalen ist kein Garant dafür, dass ein Kooperationspartner bereit ist, demokratische Freiheiten zuzulassen. Auch schließt die strikte Weigerung, mit bestimmten Gruppen zu sprechen oder sie in Maßnahmen einzubinden, wichtige Vertreter dieser neuen Zivilgesellschaften von vornherein aus. Hier müssen die Stiftungen eine Entscheidung treffen, ob etwa bei einem von ihnen angebotenen Medientraining Vertreter nicht-säkularer Gruppen wie die Muslimbruderschaft zugelassen werden.

  4. So wichtig Wahlbeobachtung, der Staats- und Gesellschaftsaufbau und die Förderung der Partizipation von Frauen auch sind – es gilt, über die Notwendigkeit solcher Projekte nachdenken und streng nach Land und Bedarf zu unterscheiden. Ein gezielter Wissensaustausch sollte angeboten werden, zum Beispiel mittels der Entsendung von Experten zum Regierungsaufbau oder Hilfen für eine funktionierende Wirtschaft. Es müssen Strukturen für ein wirtschaftliches System geschaffen werden, das es der Bevölkerung ermöglicht, von den vorhandenen Ressourcen zu profitieren und ein Leben in Würde zu führen. Die Partnerschaft mit der EU sollte weiter unterstützt werden und die Stiftungen sollten dabei helfen, für die Transformationsländer neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit und der wirtschaftlichen Kooperation auszuloten. Auch können die Stiftungen viel zu den Themen Weiterbildung und Qualifizierung beitragen. Darüber hinaus sollten sich die Stiftungen des Problems der Migration annehmen, das nachhaltiges und überparteiliches Engagement verlangt.

Die Organisationen sollten bereit sein, sich auf Felder zu begeben, für die sie bisher weniger bekannt waren und selbst noch Expertise aufbauen müssen. Sie sollten sich nicht unter Druck setzen lassen, schnell Projekte zu entwerfen, die sich gut vermarkten lassen, aber an den Bedürfnissen der Partner vor Ort vorbeigehen. Und sie sollten sich selbst gegenüber kritisch sein, ihre Strategien und ihre Personalpolitik überprüfen und – wo nötig – Reformen herbeiführen. Dass die Stiftungen dies können, haben sie in der Vergangenheit oft genug unter Beweis gestellt. Denn während sie im nationalen politischen Umfeld nur ein Akteur unter vielen sind, zeigt sich ihre Handlungs- und Anpassungsfähigkeit besonders in ihrer internationalen Tätigkeit. Ihr Engagement in der arabischen Welt könnte eine Art Meisterprüfung werden – und sich dann als Glücksfall für die Länder der arabischen Welt erweisen. «

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