Bernd Höcke soll die Klappe halten

Die Rechtspopulisten von der AfD setzen darauf, dass sich die Volksparteien im Bundestagswahlkampf möglichst viel über Flüchtlinge, Europa und »Identität« streiten. Bleibt obendrein die offen rechtsextremistische Parteiströmung um Bernd Höcke im Hintergrund, dürfte die AfD in den Bundestag einziehen

Die Ausgangslage für die Bundestagswahl hat sich für die AfD nach ihrem Parteitag in Köln Ende April deutlich verbessert. Dennoch hat die AfD zwei Achillesfersen, die sie Wählerstimmen kosten könnten: eine allzu offensichtliche Nähe zum Rechtsextremismus und mangelnde Medienaufmerksamkeit. Zudem hängt ihre Zukunft entscheidend davon ab, wie sich die etablierten Parteien in den verbleibenden Monaten bis zur Wahl positionieren.

Alle Anträge die Björn Höcke zum Thema hatten, wurden auf dem Parteitag in Köln abgelehnt. Damit hat sich die Partei eine gefährliche Extremismusdebatte erspart. Ein offener Konflikt über Höcke wäre für die AfD riskant, denn bei einem klaren Votum für Björn Höcke hätte sie sich mit der Frage ihrer etwaigen Verfassungsfeindlichkeit beschäftigen müssen. Im Falle eines Votums gegen ihn wären parteiinterne Konflikte zwischen dem Lager von Frauke Petry und Marcus Pretzell einerseits und dem Lager von Jörg Meuthen und Alexander Gauland andererseits wieder aufgelebt.

Die Nominierung von Alice Weidel und Alexander Gauland als Spitzenduo für die Bundestagswahl war so gesehen ein strategisch schlauer Schachzug. Die homosexuelle Ökonomin Weidel und der Ex-Christdemokrat Gauland dürften auf das Interesse der Medien stoßen. Wenn es die AfD schafft, einen offenen Konflikt über Björn Höcke zu vermeiden und ihre Spitzenkandidaten für die Medien interessant zu halten, sollte es ihr gelingen, ihre aktuellen Umfragewerte zwischen acht und zehn Prozent zu halten und in den Bundestag einzuziehen.

Dann wird entscheidend sein, wie sich die Volksparteien verhalten. Denn erst deren strategische Fehler hoben die AfD überhaupt auf Zustimmungswerte von über fünf Prozent. Der erste und grundlegende dieser Fehler bestand darin, dass sie aufgehört haben, über ökonomische Fragen zu streiten. Die fehlende Polarisierung der CDU/CSU und der SPD in ökonomischen Fragen (maßgeblich unterschiedliche Wirtschafts-, Steuer- und Sozialstaats-Modelle) ließen den Eindruck entstehen, dass die großen Parteien kaum noch voneinander abwichen. Das Schlagwort des Klüngels unter Eliten macht rasch die Runde, wenn sich jene in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen weitgehend einig sind. So entsteht nämlich beim Wähler schnell der Eindruck, „die da oben“ würden vor allem in die eigene Tasche wirtschaften.

In Wirtschaftsfragen gilt die AfD als inkompetent

Politischer Streit wurde hingegen fast ausschließlich um Themen geführt, die die deutsche Identität berühren: um die Eurozone und die Flüchtlingskrise. Hier gaben vor allem CDU und CSU Versprechen, die sie dann nicht halten konnten. Zentral waren dabei besonders die Ankündigungen, Griechenland keinen Cent zu überweisen (2011) und die deutschen Grenzen für Flüchtlinge abzuriegeln (2015). Da beides nicht realisiert werden konnte, haben die etablierten Parteien konservative Wählerschichten zuerst mobilisiert und später umso mehr enttäuscht. Auf diese Weise konnte die AfD mit ihrer Gewinnerformel „Für den Erhalt der deutschen Ordnung und Identität, gegen die abgehobenen Eliten in Berlin“ auftrumpfen und sich als pro-demokratische, anti-elitäre, neue konservative Kraft rechts der CDU/CSU darstellen.

Ein Wahlerfolg der AfD ist somit davon abhängig, ob sie dieses vermeintliche programmatische Alleinstellungsmerkmal auch weiterhin im Bewusstsein deutscher Wähler verankern kann. Zwei strategische Erwägungen spielen dabei für die AfD eine zentrale Rolle. So würde es der Partei nutzen, wenn sich die öffentliche Debatte im Land auch zukünftig um Migrations- und Europathemen dreht. Denn immer dann, wenn sich etablierte Parteien nicht dezidiert auf wirtschafts- und sozialpolitische Themen fokussieren, öffnet sich ein strategisches Fenster für Rechtspopulisten. Wenn die etablierten Parteien hingegen über Wirtschafts- und Finanzfragen streiten, kann die AfD bei den deutschen Wählern kaum einen Stich machen. Denn in ökonomischen Fragen schreiben die Wähler der AfD so gut wie keine Kompetenz zu.

Neuer Streit über die Asylpolitik und über die Politik in der Eurozone indessen würde der AfD nutzen. Hier spielt es dann auch keine Rolle, ob linke Politiker der SPD eine Liberalisierung der Asylpolitik fordern oder Konservative in der CDU eine härtere Gangart gegenüber Griechenland verlangen. Beide Gruppen würden damit ihr eigenes Regierungshandeln karikieren. Das wiederum würde es der AfD erlauben, das „Scheitern“ von CDU/CSU und SPD aber auch ihre eigene „Kompetenz“ in Migrations- und Europathemen zu betonen. In der Diskussion von Migrations- und Europathemen können die großen Parteien nur punkten, wenn sie neue Akzente setzen. So können CDU und CSU im Kontext ihrer Forderung, die doppelte Staatsbürgerschaft abzuschaffen, zu Recht darauf verweisen, dass dieses Thema bislang kaum diskutiert wurde. Wenn CDU und CSU diese Position als Gesamtpartei bis zur Wahl glaubhaft vertreten, könnte dies für die AfD ein Problem werden.

Auch die Regierungsbildungen nach den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein werden für die AfD bedeutsam sein, denn das Gefühl fehlender Unterschiede zwischen den großen Parteien rührt auch daher, dass es keine Lagerwahlkämpfe mehr gibt. Seit (fast) jeder mit jedem koaliert, drängt sich Wählern der Verdacht auf, dass die großen Parteien keine Themen mehr besetzen, die sie klar vom politischen Gegner abgrenzen. Weitere große Koalitionen wären das Beste, was der AfD passieren könnte. Aber auch von einer Koalition aus CDU und Grünen, oder SPD und FDP würde die AfD profitieren. In Schleswig-Holstein deuten die Umfragen derzeit auf eine Fortsetzung der Koalition aus SPD, Grünen und SSW (Südschleswigscher Wählerverband) hin, das würde der AfD nichts nützen. In NRW hingegen scheinen wahlweise eine große Koalition, ein Bündnis aus SPD und FDP sowie eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und den Grünen möglich.

Weidel soll die Partei harmlos wirken lassen

Derartige Regierungsformationen würden der AfD in die Karten spielen. Hier könnte sie überzeugend aufzeigen, dass sich die etablierten Parteien inhaltlich kaum noch unterscheiden, da ja (fast) jeder mit jedem koalieren könne. Problematisch wäre für die AfD dagegen, wenn in NRW ab Mai eine rot-grüne, eine rot-rot-grüne oder schwarz-gelbe Koalition regieren würde. In diesem Fall gäbe es eine klare Opposition – entweder eine klar linke, oder eine klar bürgerliche.

Im Mai dieses Wahljahres befindet sich die AfD in einer guten Ausgangsposition, bei der Bundestagswahl die Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen. Der Erfolg der Rechtspopulisten wird aber auch entscheidend von den etablierten Parteien und deren Umgang mit Themen wie der Migrations- und Europapolitik abhängen. Sollten die Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen nicht in einer eindeutig linken oder bürgerlichen Regierung münden, könnte sich die AfD als „einzige wahre Oppositionspartei“ darstellen. Wenn es ihr zudem gelänge, die Debatte um Björn Höcke zu unterdrücken und stattdessen Alice Weidel und Alexander Gauland in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken, könnte sie den Eindruck stärken, eine demokratische Protestpartei zu sein. Die Wahrscheinlichkeit eines Einzugs von Rechtspopulisten in den Bundestag war niemals größer.

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