Kitt und Kandidatur
EDITORIAL
Ein Mitherausgeber der Berliner Republik wird im bevorstehenden Bundestagswahlkampf Kanzlerkandidat der SPD sein. Damit haben sich die deutschen Sozialdemokraten in ihrer keineswegs unkomplizierten Lage zweifellos für die beste aller denkbaren Varianten entschieden. Gefragt wird da und dort, ob Frank-Walter Steinmeier die nötige „Volkstümlichkeit“ besitze, um seine neue Rolle glaubwürdig auszufüllen. Wir zweifeln daran kein bisschen. Andererseits erscheint aus der Sicht einer Zeitschrift, deren Daseinszweck die Suche nach aufgeklärten Ideen und innovativen Konzepten für unsere Zeit ist, beispielsweise die Frage nicht vorrangig, ob Steinmeier textsicher „Der Steiger kommt“ singen kann. Er wird das, wenn es denn sein muss, schon hinbekommen. Viel wichtiger ist aber, dass mit Frank-Walter Steinmeier ein ernsthafter Progressiver zur Wahl antreten wird, der die Komplexität und Dynamik der gesellschaftspolitischen, internationalen und globalen Herausforderungen des frühen 21. Jahrhunderts intellektuell zu verarbeiten vermag. Ob sich mit dieser Fähigkeit Wahlen gewinnen lassen, muss sich zeigen. Völlig klar ist aber, dass ohne die Kapazität zur scharfsinnigen Zeitdiagnose und die Bereitschaft zu neuen Lösungen keine einzige moderne Gesellschaft mehr vernünftig organisiert werden kann. Nicht nur für die Sozialdemokratie, auch für unser Land insgesamt ist Frank-Walter Steinmeiers Kandidatur deshalb eine wirkliche Chance. Wir sollten sie ergreifen.