Attraktiv für Deutschland?

Rechtspopulistische Gruppierungen tun sich in Deutschland traditionell schwer - erst recht auf der Bundesebene. Wie steht es um die Chancen der »Alternative für Deutschland«, diese Geschichte der Erfolglosigkeit zu beenden?

Im Unterschied zu den meisten europäischen Ländern ist das Parteiensystem der Bundesrepublik von einer relevanten rechtspopulistischen und euroskeptischen Kraft bislang verschont geblieben. Versuche, solche Parteien zu etablieren, hat es seit den achtziger Jahren mehrfach gegeben. Beginnend mit den rechtsextremen Republikanern über die Hamburger Statt-Partei und den Bund Freier Bürger bis hin zur Schill-Partei sind diese aber alle mehr oder weniger kläglich gescheitert. Dasselbe gilt für die Absicht, eine bereits bestehende Partei auf rechtspopulistische Pfade zu führen, die man dem verstorbenen FDP-Politiker Jürgen Möllemann unterstellt hat. Für die Erfolglosigkeit des Rechtspopulismus ist bezeichnend, dass die besten Wahlergebnisse einer Rechtsaußenpartei hierzulande ausgerechnet von der neonationalsozialistischen NPD verbucht werden, deren Profil mit dem in Westeuropa dominierenden Rechtspopulismus wenig gemein hat. Gleichzeitig werden populistische Stimmungen von der Partei Die Linke absorbiert, die sich ebenfalls als Anti-Establishment-Partei versteht und obendrein noch ein regionalistisches Motiv – die Befindlichkeit der ostdeutschen Bundesländer – mitbedient.

Die Umfragen ergeben kein klares Bild

Mit der im April 2013 offiziell gegründeten „Alternative für Deutschland“ schickt sich jetzt eine neue Gruppierung an, die Geschichte der Erfolglosigkeit des Rechtspopulismus in Deutschland zu beenden. Welche Chancen sie tatsächlich hat, bei der Bundestagswahl über die Fünf-Prozent-Hürde zu springen oder zumindest in deren Nähe zu kommen, darüber rätseln die Beobachter. Auch die Politikwissenschaftler sind unsicher: Auf der einen Seite scheint die Partei über ein erhebliches Stimmenpotenzial zu verfügen; laut Umfragen kann sich etwa jeder Fünfte vorstellen, sie zu wählen. Auf der anderen Seite kommt die AfD bei der „Sonntagsfrage“ bisher über drei Prozent nicht hinaus. Beide Angaben sind freilich mit Vorsicht zu genießen. Während die potenzielle noch nichts über die wirkliche Wahlabsicht besagt, haben die Demoskopen bei früheren Wahlen wiederholt die Erfahrung gemacht, dass sie von den Wählern über deren Bereitschaft, für eine Außenseiterpartei zu stimmen, in Umfragen getäuscht wurden. Es könnte also durchaus sein, dass sich nicht alle, die die AfD wählen wollen, zu dieser Absicht ehrlich bekennen.

Für die Chancen der neuen Partei dürften vor allem zwei Dinge maßgeblich sein: die Resonanz des von ihr in den Mittelpunkt gerückten Euro-Themas und die Fähigkeit, mit den restriktiven Bedingungen umzugehen, die das Aufkommen und den Erfolg rechtspopulistischer Parteien in Deutschland in der Vergangenheit erschwert haben. Betrachten wir zunächst die thematische Ausrichtung. Die AfD wird als „single issue“-Partei apostrophiert – nicht zu Unrecht. Neben der Auflösung der Währungsunion vertritt sie zwar eine Reihe von anderen Forderungen, die an die programmatische Gewinnerformel des Rechtspopulismus in Westeuropa anknüpfen und zu einer breiteren Plattform ausgebaut werden könnten. Dazu zählen zum Beispiel die Einführung direktdemokratischer Elemente und veränderte Regeln für die Einwanderung. Diese Positionen werden aber nur schlagwortartig erwähnt und nicht weiter ausgeführt. Umso detailfreudiger ist das Programm bei der Kernforderung: der „geordneten Auflösung“ der Währungsunion. Der Euro soll entweder durch die alten nationalen Währungen oder die Schaffung kleiner Währungsverbünde (Nord- und Süd-Euro) ersetzt werden. Um dies zu erreichen, postuliert die Partei als ersten Schritt die Einführung nationaler Parallelwährungen zum Euro in den südeuropäischen Ländern, deren verbindlicher Anteil am bargeldlosen Zahlungsverkehr bei 50 Prozent liegen solle und danach sukzessive zu steigern sei. Mit der Rückkehr zu den nationalen Währungen sollen die Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit ausgeglichen werden, die ein Funktionieren der Währungsunion in der Vergangenheit unmöglich gemacht hätten. Damit ließe sich auch die Gefahr eines Auseinanderbrechens der gesamten Union bannen.

Nur die Grünen-Wähler scheinen immun

Dass diese Thesen durchaus verfangen und von relevanten Bevölkerungsgruppen unterstützt werden, kann man exemplarisch auf den Leserbriefseiten der Qualitätszeitungen studieren. Aufschlussreich ist ein Vergleich zur Sarrazin-Debatte vor drei Jahren, wo wir es mit einem – auf den ersten Blick – ähnlichen Phänomen zu tun hatten. Im Gegensatz zur heutigen Euro-Debatte ist Sarrazins Abrechnung mit der bundesdeutschen Zuwanderungspolitik aber merkwürdig verpufft und parteipolitisch folgenlos geblieben. Warum? Eine mögliche Antwort könnte die unterschiedliche ideologische Gefechtslage liefern. Multikulturalismuskritik ist, obwohl sie in diesem Fall von einem früheren SPD-Politiker artikuliert wurde, überwiegend im konservativen und rechten Spektrum beheimatet. Dass sie auch in Teilen der linken Wählerschaft auf Zustimmung trifft, steht dem nicht entgegen – es entspricht vielmehr dem kulturellen Traditionalismus der Arbeiterklasse, den der amerikanische Soziologe Seymour Martin Lipset schon vor über fünfzig Jahren diagnostiziert hat.

Die Forderung nach Auflösung der Währungsunion ist demgegenüber nicht zwangsläufig eine konservative oder rechte Position. Sie wird von sozialdemokratischen Vordenkern wie Fritz W. Scharpf in Heft 4/2011 der Berliner Republik oder Wolfgang Streeck in seinem neuen Buch Gekaufte Zeit geteilt und findet, angestoßen durch öffentliche Äußerungen Oskar Lafontaines, inzwischen auch in der Linkspartei Widerhall. So gesehen ist es bemerkenswert, dass das Führungspersonal der AfD fast ausschließlich aus dem liberal-konservativen Lager stammt. Blickt man auf die Mitglieder und möglichen Wähler, geht die Unterstützung dagegen quer durch alle Parteien und Schichten. Einzig die Anhänger der Grünen scheinen gegen die euroskeptische Stimmung weitgehend immun.

Es bleiben allerdings Zweifel, ob die Kritik am Euro in der Bevölkerung tatsächlich so stark zündet, wie es sich die Partei erhofft. Die gemeinsame Währung ist bei den Bürgern ja durchaus geschätzt; dasselbe gilt für die Betriebe, die durch die Vermeidung von Kursschwankungen Planungssicherheit haben. Was die Menschen vor allem umtreibt, ist die Stabilität der Währung und die Sorge, dass Deutschland für die Schulden anderer Mitglieder der Eurozone aufkommen muss. Wie die hohen Zustimmungsraten zum Krisenmanagement der Regierung und speziell der Bundeskanzlerin zeigen, fühlen sie sich aber in dieser Frage von der Politik keineswegs schlecht vertreten. Dies gilt auch für die rot-grüne Opposition, die alle Rettungspakete für die in Schieflage geratenen Länder im Bundestag mitgetragen hat. Dass sich die Bundesrepublik durch die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank de facto bereits in einer Haftungsunion befindet, mag die Regierung verständlicherweise nicht offen zugeben. Auch die Opposition hält sich an dieser Stelle lieber bedeckt, um dem Verdacht vorzubeugen, sie würde eine noch stärkere Vergemeinschaftung der Schulden anstreben, etwa durch die Ausgabe von „Eurobonds“.

Blicken wir auf die Partei selbst: Ist sie in der Lage, die sich ihr bietenden Gelegenheiten zu nutzen? Das größte Hindernis für den Erfolg rechtspopulistischer Gruppierungen in der Bundesrepublik liegt in der drohenden Stigmatisierung, die zugleich ihren Zugang zu den meinungsbildenden Medien erschwert. Auch bei der AfD waren die Kritiker mit dem Vorwurf des Rechtspopulismus schnell bei der Hand. Bisher hat sich die Partei dagegen relativ glaubhaft verwahren können. Seriöses Auftreten ist ihr wichtiger als Agitation. Eine Schlüsselrolle spielt dabei der Vorsitzende Bernd Lucke. Was dem jugendlich wirkenden Volkswirtschaftsprofessor aus Hamburg an charismatischer Ausstrahlung fehlt, macht er durch Eloquenz und Fachkompetenz wett. So lässt er nicht nur seine Vorstandskollegen alt aussehen; auch in den Talkshow-Debatten mit den Vertretern der anderen Parteien schlägt sich Lucke meistens gut.

Warum in der CDU die Angst umgeht

Unterm Strich profitiert die Partei davon, dass sie eher ein liberal-bürgerliches als ein populistisches Profil pflegt. Zwar verzeichnet sie bis jetzt noch keine prominenten Überläufer aus dem Lager von Union und FDP. Allerdings macht sich gerade in der Union die Sorge breit, dass von der AfD eine Attraktion auf konservativ eingestellte Teile der Wählerschaft ausgeht, die mit dem unter Merkel eingeschlagenen Modernisierungskurs hadern – von der Schulpolitik über den Atomausstieg bis hin zu Homoehe und Frauenquote. Obwohl diese Themen in der Programmatik der neuen Partei nachrangig sind, könnten sie im Hinterkopf der Wähler eine wichtige Rolle spielen.

Gefahren drohen der AfD vor allem von innen. An der Frage, wie man mit unerwünschten Unterstützern von rechtsaußen umgeht, sind in Deutschland bisher noch alle Etablierungsversuche einer rechtspopulistischen oder -konservativen Kraft gescheitert. Gerade gemäßigt auftretende Gruppierungen werden von solchen Unterstützern gerne als Trittbrett genutzt, um der Stigmatisierung als rechtsextrem oder -populistisch zu entgehen. Bestrebungen, die Programmatik der AfD für eine breitere populistische Plattform zu öffnen, sind in einigen Landesverbänden bereits erkennbar und haben zu ersten Absetzbewegungen geführt, beispielsweise in Hamburg oder Berlin. Die Parteispitze versucht dem durch eine möglichst straffe, zentralistische Führung entgegenzutreten, der allerdings durch die rechtlichen Regelungen des Parteiengesetzes enge Grenzen gesetzt sind und die zugleich an der Parteibasis auf Widerspruch trifft. Ob der AfD ein kontrollierter Aufbau der Organisation gelingt, ohne dass ihr öffentliches Bild und die notwendige Geschlossenheit im Auftreten nach außen Schaden nimmt, bleibt vor diesem Hintergrund eine offene Frage. Auch ein Erfolg bei der Bundestagswahl würde der Partei nicht zwangsläufig nutzen, sondern die Gefahr der Destabilisierung eher noch erhöhen.

Immerhin: Das Risiko, das Abschneiden bei der Bundestagswahl und der am selben Tag stattfindenden Landtagswahl in Hessen durch ein schwaches Landtagswahlergebnis in Bayern zu gefährden (wo eine Woche früher gewählt wird), konnte die AfD umgehen, indem sie auf die Kandidatur in Bayern nach heftiger interner Debatte verzichtet hat. Die politische Konkurrenz muss sich insofern zumindest auf einen Achtungserfolg der neuen Partei einstellen. Was das für die Auseinandersetzung im heraufziehenden Wahlkampf bedeutet, daran scheiden sich die Geister.

In einem Beitrag für die Blätter für deutsche und internationale Politik (Heft 5/2013) hat Jürgen Habermas der AfD ausdrücklich Erfolg gewünscht. Seine Hoffnung, der Newcomer zwinge die anderen Parteien dazu, die europapolitischen Tarnkappen abzustreifen und in Sachen EU endlich Farbe zu bekennen, dürfte allerdings trügerisch sein. Eigentlich wäre es an der linken Opposition, an SPD und Grünen, Merkels Austeritätspolitik und der sie begleitenden Renationalisierung eine kraftvolle, nach vorne gerichtete Alternative entgegenzusetzen. Ein integrationspolitischer Aufbruch zu „Mehr Europa“, der die von Habermas zu Recht angeprangerte Umfälschung sozialer in nationale Fragen beenden könnte, scheint den Deutschen im Moment jedoch kaum vermittelbar. Rot-Grün muss also nolens volens auf das von der Kanzlerin betriebene Spiel der Dethematisierung eingehen, wenn es sich nicht selbst in eine europapolitische Außenseiterrolle manövrieren und der AfD die Wähler zutreiben will – eine für die Bundestagswahl zugebenermaßen nicht gerade verheißungsvolle Perspektive.

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