Armut und Weltbankpolitik

Die Weltbank sieht sich harter Kritik ausgesetzt - zwei deutsche Weltbank-Mitarbeiter reagieren darauf

Im letzten Jahr gab es Meldungen über soziale Unruhen in Bolivien. Was war passiert? Die Regierung hatte mit der Weltbank ein so genanntes Strukturanpassungsprogramm für den öffentlichen Sektor ausgehandelt. Teil des von der Weltbank bewilligten Kredits war die Vereinbarung, Subventionen für die staatlichen Wasserwerke des Landes abzubauen und die Einrichtung schrittweise zu privatisieren. Das hatte unmittelbar zur Folge, daß die Wasserwerke auf Grund der plötzlich ausbleibenden staatlichen Unterstützung den Wasserpreis - ohne Unterschiede zwischen verschiedenen betroffenen Gruppen zu machen - drastisch erhöhten.

Ebenfalls im vergangenen Jahr ging die Meldung durch die Presse, daß die Weltbank der chinesischen Regierung einen umfangreichen Kredit zur Umsiedlung armer chinesischer Bauern in den reicheren westlichen Teil des Landes gewähren will. Es gab einen Aufschrei von Nicht-Regierungsorganisationen. Was war passiert? Die Provinz, in welche die Bauern umgesiedelt werden sollten, ist laut Darstellung einflußreicher NGOs westlicher Länder ein Heiligtum für die Tibeter, die Umsiedlung würde mithin den Einfluß dieser Bevölkerungsgruppe innerhalb ihres ‚eigenen‘ Landes weiter schmälern.

Seit langem wird die Abholzung von tropischen Regenwäldern in Brasilien an den Pranger gestellt. Im Rahmen eines Programms zur Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen des Landes, welches von der Weltbank finanziell unterstützt wird, sollen in diesen Gebieten zu niedrigen Bodenpreisen Investitionsparks aufgebaut werden.

Wozu diese Beispiele? Sie werden oftmals von Kritikern der Weltbank in der einen oder anderen Variation herangezogen, um die wichtigste internationale Entwicklungshilfeagentur als Ursache der Armut in der Welt anzuprangern. Wahlweise wird die Weltbank von linker Seite als Sprachrohr großer multinationaler Konzerne in den westlichen Industrieländern oder als Einrichtung zum Aufzwang unsozialer neoliberaler Reformen in Entwicklungsländern und damit als Auslöser sozialer Krisen in diesen Ländern bezeichnet. Es ist Zeit, den auch unter manchen Sozialdemokraten in Deutschland verbreiteten Karikaturen über die Weltbank ein differenziertes Bild ihrer Arbeit, ihrer Möglichkeiten und Grenzen gegenüberzustellen.

Die Weltbank wurde 1944 zusammen mit ihrer Schwesterorganisation, dem Internationalen Währungsfonds (IWF), auf der Konferenz von Bretton Woods in den USA gegründet. Ursprüngliches Ziel war die Unterstützung des Wiederaufbauprozesses in den europäischen Staaten nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Diese Aufgabe konnte aber bald durch das Anlaufen und den Erfolg des Marshall-Planes ad acta gelegt werden. Zu Beginn der fünfziger Jahre wandte sich die Weltbank den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas zu, deren Entkolonialisierungsprozeß gerade begonnen hatte. Gemäß dem Paradigma der damaligen Zeit wurde der Schwerpunkt auf Investitionen in Infrastruktur und Schwerindustrie gelegt. Die Weltbank stellte den Regierungen dieser Länder langfristige Kredite, die weit unter den Zinsraten des privaten Kapitalmarktes liegen, zur Verfügung, um die Projekte finanzieren zu können.

Ein Richtungswechsel in der Kreditpolitik der Weltbank erfolgte Ende der siebziger Jahre, als man sah, daß die Förderung einzelner Projekte in den Entwicklungsländern nicht zum erhofften Entwicklungsdurchbruch in diesen Ländern führte. Neuer Schwerpunkt der Kredite wurden Strukturanpassungsprogramme (SAP), die darauf angelegt waren, die gesamte nationale Ökonomie "marktfähig" zu machen, das heißt den Einfluß des öffentlichen Sektors zurückzudrängen und der privaten Wirtschaft, auch und gerade aus dem Ausland, die bestmöglichen Voraussetzungen für Investitionen zu geben. Teil dieser SAP-Kredite der Weltbank waren Konditionen, die die Regierungen zwingen sollten, notwendige institutionelle Reformen, zum Beispiel Privatisierungen einzelner bislang vom Staat dominierter Industriesektoren oder strikte Ausgabendisziplin des nationalen Haushaltes, einzuleiten. Diese Konditionen bezogen sich primär auf den Bereich der nationalen Geld- und Steuerpolitik, was wiederum mit weitreichenden Folgen für die allgemeine Bevölkerung verbunden ist. Speziell die SAP und ihre in den Vordergrund gerückten negativen Konsequenzen, wie im Fall Bolivien, haben die linken Kritiker der Weltbank auf den Plan gerufen.

Während bis Ende der achtziger Jahre die Kredite der multilateralen und bilateralen Entwicklungshilfeagenturen den Hauptteil der Finanzierung von Investitionen in den Ländern der Dritten Welt ausmachten, änderte sich dieses Bild nach Ende des Kalten Krieges drastisch. Noch zu Beginn der neunziger Jahre betrugen die langfristigen privaten Finanzierungen der Entwicklungsländer insgesamt 45 Prozent verglichen mit 55 Prozent offizieller Entwicklungshilfe der OECD-Länder. Am Ende der neunziger Jahre ist diese Situation auf den Kopf gestellt.


Während die offizielle Entwicklungshilfe der OECD-Länder 1999 gerade noch 18 Prozent der gesamten Finanzströme betrug, übersteigen mittlerweile die privaten Kapitaltransfers in die Entwicklungsländer die öffentliche Entwicklungsfinanzierung um ein Mehrfaches. So betrugen 1999 allein die langfristigen privaten Finanzierungen der Entwicklungsländer insgesamt etwa 239 Milliarden Dollar, wovon allein 192 Milliarden Dollar auf Direktinvestitionen entfielen. Hauptmotor dieser drastisch gestiegenen Direktinvestitionen ist die Privatisierung öffentlicher Unternehmen in den Entwicklungsländern.
Allerdings ist einzuschränken, daß der Löwenanteil der privaten Direktinvestitionen in relativ entwickelte Regionen und Länder geht. Das subsaharische Afrika zum Beispiel verzeichnete 1999 Direktinvestitionszuflüsse von gerade einmal 5,1 Milliarden Dollar - verglichen mit 10,5 Milliarden Dollar offizieller Entwicklungshilfe. Ostasien dagegen empfing im gleichen Jahr Direktinvestitionen in Höhe von 55,4 Milliarden Dollar.

Globalisierung und die Aufgabe der Weltbank

Verglichen mit privaten Investoren spielt die Weltbank als Finanzier von Investitionsvorhaben in den meisten Entwicklungsländern, mit der wichtigen Ausnahme des subsaharischen Afrikas, nur noch eine marginale Rolle. Dies ist ein klares Indiz für die zunehmende Wichtigkeit von Globalisierungserscheinungen. Globalisierung bringt allerdings neben vielen Möglichkeiten auch immense Risiken für die Entwicklungsländer mit. Neben dem besseren Zugang zu privaten Finanzierungsquellen, der erneuerten Kommunikationstechnologie über Ländergrenzen hinweg und damit des einfacheren Austausches über ähnliche Erfahrungen, ist der Zwang zur Öffnung des politischen und wirtschaftliches Prozesses ein wichtiges positives Ergebnis zunehmender Globalisierung in den Entwicklungsländern. Auf der anderen Seite besteht allerdings die reale Gefahr, daß bei der notwendigen Attraktivität für private Direktinvestitionen soziale und ökologische Aspekte von Entwicklung auf der Strecke bleiben. Hier kann die Weltbank im 21. Jahrhundert eine wichtige, allerdings veränderte Rolle spielen.

Bereits in den neunziger Jahren setzte in der Weltbank ein schrittweiser Wandel von dem bisherigen Schwerpunkt auf Infrastrukturprojekte/ Strukturanpassungsprogramme hin zur Unterstützung sozialer Entwicklung, Bekämpfung der weitverbreiteten Korruption sowie Umweltschutz in den Entwicklungsländern ein. Nach ihrem letzten Jahresbericht haben Weltbank-Projekte im Infrastrukturbereich nur noch 15 Prozent aller Kreditzusagen ausgemacht. Dagegen lagen die Zusagen für Kredite im Bereich "menschliche Entwicklung", vor allem für Projekte in den Gebieten Bildung und Gesundheit, bei 22 Prozent.

Diese Umstrukturierung der Weltbankpolitik geht den Kritikern auf der linken Seite nicht weit genug und findet andererseits heftigen Widerspruch von konservativen Kritikern der Weltbank. Ironischerweise scheinen sich beide Gruppen trotz unterschiedlicher ideologischer Ansichten in der Überzeugung einig, daß die Weltbank baldmöglichst abgeschafft werden sollte. Die in den letzten Jahren stärker gewordene Anti-Globalisierungsbewegung hat kürzlich einige schlagzeilenträchtige Protestaktionen gegen die beiden internationalen Finanzinstitutionen, IWF und Weltbank, durchgeführt. Sie sieht diese Institutionen und ihre Aktivitäten als unsozial an, nur auf den Vorteil und die Interessen privater Akteure bedacht. Genau umgekehrt argumentieren die konservativen Gegner der Weltbank. In dem vor ungefähr einem Jahr veröffentlichen Bericht einer Kommission des US-amerikanischen Senats zur Untersuchung der Aktivitäten von IWF und Weltbank wird die Weltbank als überflüssig, um nicht zu sagen schädlich, bezeichnet, da die bereitgestellten Kredite, angeblich dazu führen, daß Investitionen des privaten Sektors in den Entwicklungsländern verdrängt werden.

Was würde also passieren, wenn die beiden antagonistischen Gruppen ihr gemeinsames Ziel erreichen würden, die Weltbank also verschwände? Wie oben geschildert, würden dann mehr oder weniger alle Investitionszuflüsse in die Entwicklungsländer privater Natur sein. Diejenigen Länder, die auf Grund ihrer inneren Verhältnisse für das Privatkapital nicht attraktiv sind und auf absehbare Zeit auch nicht werden (vor allem das subsaharische Afrika), wären auf mittel- bis langfristige Sicht der völligen Isolation vom Finanzmarkt geweiht.

In den Entwicklungsländern, die weiterhin für privates Kapital interessant sind, bedeutete die Abschaffung der Weltbank mit ziemlicher Sicherheit eine Verminderung der Berücksichtigung sozialer und ökologischer Aspekte von Entwicklung. Privates Kapital wird sich an solche Projekte nur heranwagen, wenn sie in irgendeiner Weise profitabel erscheinen. Sollte dies nicht der Fall sein, steht den Ländern keine nennenswerte Unterstützung zur Verfügung, um solche Projekte trotzdem zu realisieren. Damit ist neben den finanziellen Hilfen auch die beratende Unterstützung der Weltbank gerade bei Projekten im sozialen Bereich gemeint. Die technische Zusammenarbeit sowie der Wissenstransfer bleiben von Bedeutung, da die Entwicklungsländer meist über keine hochentwickelten und langjährig gewachsenen sozialen Sicherungssysteme verfügen.


Umfassende Entwicklung bedeutet nicht allein Steigerung des Bruttosozialproduktes. Der einige Jahre nach Ende des Kalten Krieges vielbeschworene und auf neoliberale Reformen in Entwicklungsländern verpflichtende Washington Consensus hat sich inzwischen überholt. Auch aus den Reihen der Weltbank selbst gibt es inzwischen immer mehr Stimmen, die die nicht-materielle, das heißt nicht nur auf ökonomisches Wachstum ausgerichtete Seite von Entwicklung betonen. Der im September letzten Jahres veröffentliche Weltentwicklungsbericht 2000/2001 der Weltbank mit dem Titel Attacking Poverty identifizierte die drei Säulen Opportunity, Security und Empowerment als die notwendigen Bestandteile erfolgreicher Programme zur Armutsbekämpfung. Die Herausforderung für die Weltbank im 21. Jahrhundert wird es sein, mit allen Partnern, nationalen Regierungen, lokalen und transnationalen Nicht-Regierungsorganisationen, dem privaten Sektor, und an erster Stelle den von Armut direkt betroffenen Menschen in den Entwicklungsländern selbst, zusammenzuarbeiten, gemeinsam nach Lösungen für Probleme zu suchen und dafür Sorge zu tragen, daß alle drei genannten Aspekte von Entwicklung angemessen berücksichtigt und umgesetzt werden. Ohne die Weltbank würde dafür eine der wichtigsten Triebkräfte fehlen.

Dieser Artikel gibt ausschließlich die Meinung der beiden Autoren wider und stellt in keiner Weise die Auffassung der Weltbankgruppe, einer ihrer Unterorganisationen oder ihres Aufsichtsrates dar.

zurück zur Ausgabe