Allein unter Bauern - oder bietet das Land doch mehr?

zu Dieter Läpple und Hartmut Häußermann, Renaissance der Städte?, Berliner Republik 4/2008

In ihrem Essay zur „Renaissance der Städte“ zeigen Dieter Läpple und Hartmut Häußermann, dass die Urbanisierung der Republik fortschreitet, und dass das Umland darunter zu leiden haben wird. „Der wirtschaftliche Wandel wirkt wieder zugunsten der Städte, und das Umland verliert seine Attraktivität für die jungen Familien“, schreiben sie.

Diese Entwicklung sollte alle politisch Verantwortlichen, egal ob Stadträte, Gemeinderäte oder Bundestagsabgeordnete, in Alarmstimmung versetzen. Schnelle und unkontrollierte Bewegungen führen im Straßenverkehr oft zu Unfällen – und genau deshalb dürfen wir bei aller „Renaissance der Städte“ das Land nicht aus den Augen verlieren. Im Gegenteil müssen wir die dort vorhandenen Potenziale nutzen und eine positive Entwicklung einläuten.

Ballungsräume wie das Rhein-Main-Gebiet oder München wachsen, und Teile der Gesellschaft werden zur Landflucht regelrecht aufgefordert. Der Arbeitsmarkt zwingt vor allem junge und gut ausgebildete Menschen, sich am besten direkt in den großen Städten niederzulassen. Dies alles passiert, obwohl auch die ländlichen Regionen in Deutschland nicht unattraktiv sind und man auch vom Land aus eine Universität besuchen kann. Wenn Bund, Länder und Kommunen dem Abwanderungstrend nicht entgegenwirken, wird der demografische Wandel ganze Gemeinden von der Landkarte verschwinden lassen. Der letzte hängt das Schild ab und macht das Licht aus.

Die Zahl der Landbewohner nimmt stetig ab

Derzeit wohnt die Mehrheit der deutschen Bevölkerung auf dem Land. Vor der Industrialisierung waren Städter sogar die Ausnahme, fast alle Menschen lebten auf dem Land. Doch seither nimmt die Zahl der Landbewohner stetig ab. Zunächst waren es die besseren wirtschaftlichen Aussichten. Heute kommen soziale und kulturelle Aspekte hinzu. Die Urbanisierung führt in den ländlich geprägten Regionen zu völlig neuen Problemen. Kleine Städte und Gemeinden sterben aus. Bausubstanz zerfällt. Errichtete Infrastruktur wird nicht genutzt. Lebensqualität geht verloren. Gleichzeitig tragen die Städte mit immer neuen Baugebieten zum rasenden Ressourcenverbrauch bei.

Dabei haben die ländlichen Regionen in Deutschland nicht nur strukturelle Probleme, sondern auch reale Stärken. Nehmen wir zum Beispiel die ländlich geprägte Region zwischen Koblenz und Mainz in Rheinland-Pfalz. Links und rechts des Rheins liegen eine Vielzahl kleiner Gemeinden mit meist um die 500 Einwohner. Trotz seiner Abgelegenheit hat dieses Gebiet eine Vielzahl von Chancen.

Zunächst ist da die Nähe zur Region Koblenz, ebenso wie die unmittelbare Nähe zum pulsierenden Rhein-Main-Gebiet. Die Menschen können in den wirtschaftlich stärkeren Regionen arbeiten und auf dem Land leben. Hier sind die Preise für Bauland niedriger als in Stadtnähe. Jungen Familien fällt es leichter, die eigenen vier Wände zu errichten und somit für ihr Alter vorzusorgen. Kinder wachsen in einem natürlichen Umfeld auf, und die Dörfer bieten häufig eine sozial intakte Gemeinschaft. Ganztägige Kinderbetreuung in Kindertagesstätten und Schulen sind mittlerweile auch auf dem Land zu finden. Und gratis dazu gibt es ein riesiges Naherholungsgebiet, das vor der Haustür beginnt.

Regionen, die unmittelbar an Ballungsräume angrenzen, bieten auch ideale Standorte für kleinere Unternehmen und Handwerksbetriebe. Von bestimmten Orten aus können gleich mehrere Ballungsregionen bedient werden. So können die Unternehmen einen größeren Kundenkreis binden. Hinzu kommen die im Vergleich zu den Städten sehr günstigen Quadratmeterpreise für voll erschlossene Gewerbegebiete.

Schnellstraßen und Bahnangebote

Neben der Nähe zu wirtschaftlich starken Regionen kann auch die Landschaft vor Ort Entwicklungspotenzial bieten. Viele ländliche Gebiete sind für Touristen sehr attraktiv, weil hier naturnahe Erholung wie Wandern oder Radfahren möglich ist – alles, was sich der gestresste Bürger wünscht. So entstehen auch wohnortnahe Arbeitsplätze, etwa in Gaststätten und Hotels und den damit verbundenen Wirtschaftsbereichen wie Weinkellereien oder Bäckereien.

Doch damit die Vorzüge der ländlichen Regionen auch genutzt werden können und sich mehr Menschen bewusst für ein Leben auf dem Land entscheiden, sind politische Maßnahmen notwendig. Dazu zählt zum einen eine gut ausgebaute Infrastruktur. Neben Autobahnen und Schnellstraßen sind mit Blick auf den Klimawandel attraktive Bahnangebote dringend geboten, die die ländlichen Regionen an die Städte anbinden. Attraktiv sind solche Bahnverbindungen aber nur, wenn sie eine echte Konkurrenz zum Individualverkehr sind. Solange man mit dem Auto noch wesentlich schneller und flexibler ist, wird es nicht gelingen, Pendlerströme auf die Schiene zu bringen. Deshalb muss die beschlossene Kürzung der Regionalisierungsmittel für die Bahn rückgängig gemacht werden. Stattdessen sollten weitere Mittel zum Ausbau und Erhalt von Bahnstrecken aus dem Land in die Stadt bereitgestellt werden.

Auch eine gute Infrastruktur vor Ort ist unabdingbar. Vor allem Breitband-Internetanschlüsse können helfen, Arbeitsplätze aus den Städten auf das Land zu verlagern. Heimarbeit und die Ansiedlung von Betrieben, die durch das Internet weitgehend standortunabhängig sind, sollten für ländliche Regionen ein zentrales Anliegen sein. Ganz nebenbei tragen wohnortnahe Arbeitsplätze dazu bei, dass junge Menschen Familie und Beruf besser vereinbaren können. Die Anbieter von Breitband-Internetanschlüssen müssen dazu bewegt werden, diese moderne Infrastruktur in jedes Dorf zu bringen. Wir brauchen DSL für alle! Kleine Städte und Gemeinden werden auf der Datenautobahn abgehängt und sind nicht mehr konkurrenzfähig. Bund und Länder müssen mit einer Breitbandoffensive dafür sorgen, dass jede Stadt und jedes Dorf in der Bundesrepublik einen erschwinglichen Anschluss erhält.

Darüber hinaus wäre die weitere Modernisierung der deutschen Bildungslandschaft auch für ländliche Gegenden von Vorteil. Familien siedeln sich dort an, wo es – neben attraktiven Arbeitsplätzen – eine gute Bildung für den Nachwuchs gibt. Es muss sichergestellt werden, dass ein komplettes Betreuungsangebot für jedes Alter existiert – und zwar möglichst wohnortnah. Ganz nach dem Motto der rheinland-pfälzischen Landesregierung: „Kurze Beine, kurze Wege!“

Der Landwirt wird zum Energiewirt

Infrastruktur und Bildung helfen, das Überleben der ländlichen Regionen zu sichern. Der dritte Baustein ist die wirtschaftliche Entwicklung. Hier ist zunächst die Landwirtschaft zu nennen. Der Landwirt wird mehr und mehr zum Energiewirt und erwirtschaftet sein Einkommen auf vielfältige Weise. Zugleich sorgt er dafür, dass ländliche Räume nicht verkommen und die großen, unbewohnten Flächen gepflegt werden. Gemeinsam mit den europäischen Partnern muss das Überleben der Bauern sichergestellt sein – nicht mittels unendlicher Subventionen im Gießkannenverfahren, sondern mit gezielten Hilfen für den landwirtschaftlichen Unternehmer.

Zudem müssen sich auf dem Land mehr Unternehmen ansiedeln. Großbetriebe wie Chemie- oder Autokonzerne kommen dafür nicht in Frage, dafür aber kleine, innovative Unternehmen, die bei der Standortwahl nicht zwingend an Ballungsräume gebunden sind. Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung sollten vermehrt ländliche Gewerbegebiete in den Blick nehmen. Dort gilt es, eine gesunde Mischung aus hoch qualifizierten und einfachen Arbeitsplätzen aufzubauen, damit junge Menschen aus allen Teilen der Bevölkerung Beschäftigungschancen erhalten.

Der demografische Wandel trifft alle Regionen

Diese drei Maßnahmen sind zentral, um die Abwanderung in Richtung Stadt einzudämmen. Zusätzlich hat jede Region ihre eigenen Stärken und Schwächen. Die Verantwortlichen in den Kommunen müssen ihren individuellen Beitrag leisten, damit ihre Regionen nicht sterben. Ideen und Initiativen können lokal entwickelt und anschließend mit Unterstützung von Ländern und Bund in die Tat umgesetzt werden. Bund und Länder sind gefordert, angepasste Strukturen und Mittel bereit zu stellen, damit ländliche Regionen schnell und unkompliziert Entwicklungen anstoßen können. Umwege über zahlreiche Verwaltungsebenen sind hier fehl am Platz.

Land ist mehr als nur Landwirtschaft. Aber die Verantwortlichen im Bund, in den Ländern und Kommunen müssen diese Chancen auch nutzen. Der demografische Wandel wird alle Regionen der Republik treffen. Wenn nicht rechtzeitig etwas geschieht, werden einige ländliche Regionen in den nächsten Jahren massiv darunter leiden. Gelingt es, die Chancen der ländlichen Regionen in Deutschland auch nur zum Teil auszuschöpfen, ist man dort nicht mehr länger allein unter Bauern.

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