Ach, Europa!



Wenn Politiker gegenüber der EU harte Positionen vertreten, kommt das beim heimischen Publikum oft gut an. Auch deshalb hat die Kanzlerin in der griechischen Defizitkrise die Hürden für eine europäische Lösung hoch gesetzt. Als Rechtfertigung dienten die Drohung konservativer Juristen und Ökonomen mit einer Verfassungsklage sowie das abschreckende Signal, das die Beteiligung des Internationalen Währungsfonds an die anderen südeuropäischen Kandidaten mit überbordenden Haushaltsdefiziten aussendet.

Während die deutsche öffentliche Meinung jubelt, sehen sich viele Beobachter in ihrer Einschätzung bestätigt, dass Deutschland seine angestammte Rolle als Europas Integrationsmotor zunehmend aufgibt. Großbritannien und Frankreich haben das europäische Projekt schon immer ihren nationalen Interessen untergeordnet. Die Deutschen – getrieben von ihrer Kriegsschuld und dem Misstrauen, das die Nachbarländer Deutschland entgegenbrachten – waren lange das ideelle und finanzielle Rückgrat der Union. Heute sieht das anders aus.  Schon Rot-Grün sah die EU nicht mehr überwiegend durch die historische Brille, sondern vertrat einen selbstbewussten Nationalstaat. Seitdem ist der Glaube an Europa nicht gerade gewachsen.

Diese Entwicklung lässt sich als Prozess der Normalisierung Deutschlands nach der deutschen Einheit interpretieren. Warum sollte sich Deutschland in der EU altruistisch verhalten, wenn auch andere Länder knallhart ihre Interessen verfolgen? Warum sollten wir nicht darauf bestehen, dass jeder seine eigenen Schulden bezahlen muss?

Nun, zum einen, weil die französische Finanzministerin Christine Lagarde und mittlerweile auch die EU-Kommission tatsächlich Recht haben, wenn sie den Grund für die europäischen Ungleichgewichte nicht nur bei den Griechen, sondern auch bei den Deutschen suchen. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie korrespondiert nicht mit der deutschen Kauflust. Eine europäische Wirtschaft kann nur ausgeglichen sein, wenn derjenige, der viel verkauft, auch viel nachfragt. Sonst kommt es zwischen den Handelspartnern zwangsläufig zu Schieflagen.

Zum anderen sind auch die Deutschen in der Haushaltspolitik nicht gerade Musterknaben. Noch im Oktober vergangenen Jahres plante die schwarz-gelbe Regierungskoalition einen Schattenhaushalt, um Schulden zu verstecken. Auch bei uns ticken Zeitbomben in den öffentlichen Haushalten, etwa die Versorgungsverpflichtungen für Beamtenpensionen bei Bund und Ländern. Wie die Bundesregierung in Brüssel mit der Schimäre durchkommen konnte, Deutschland betreibe eine solide Haushaltspolitik, ist absolut rätselhaft.

Europa braucht eine Verständigung über gemeinsame Prinzipien der Wirtschaftspolitik. Das wäre noch keine europäische Wirtschaftsregierung, aber mehr als die derzeitige Disziplinierungspolitik. Den Mechanismus dafür gibt es schon. Er nennt sich die Offene Methode der Koordinierung. Der Begriff ist umständlich, aber die Methode wurde explizit für Politikfelder entwickelt, die außerhalb des EG-Vertrags liegen. Es geht um Lernprozesse über Berichtspflichten und die Einigung auf gemeinsame Ziele und Empfehlungen. Dass die westlichen Industrieländer schmerzhafte Anpassungsprozesse zu lange in die Zukunft verschoben haben, ist eine gemeinsame Erfahrung. Wie man mit der Droge Verschuldung am besten umgeht, kann kollektiv ebenso eingeübt werden wie die Aktivierung von Langzeitarbeitslosen.

Kurzfristig müssen die EU-Mitgliedsländer der griechischen Regierung einen Weg weisen, an dessen Ende sie nicht vor der Wahl steht, Staatsbankrott anzumelden oder aus der Eurozone auszutreten. Deutschland kann dabei einen wichtigen Beitrag leisten, da es die Konditionen maßgeblich beeinflusst. Ein solidarischer Umgang mit den griechischen Problemen wäre ein wichtiger Schritt zur weiteren Vertiefung der Europäischen Union mit Deutschland als Integrationsmotor. Nicht aus Altruismus. Sondern weil es in unserem ureigenen Interesse liegt, dass die Eurozone als Währungsraum überlebt. 

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