"Soziale Brücken bauen"

Pär Nuder ist erst 44 Jahre alt, doch er war bereits Chef der schwedischen Staatskanzlei, Minister für Kultur und von 2004 bis 2006 Finanzminister - bis die sozialdemokratische Regierung nach 12 Jahren von einer bürgerlichen Allianz abgelöst wurde. Kürzlich hielt sich Pär Nuder während einer vom Stockholmer Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung organisierten Reise in Deutschland auf. Die "Berliner Republik" sprach mit ihm über die Gründe der Wahlniederlage, die Furcht der schwedischen Mittelschichten vor der Globalisierung und die Bedeutung stabiler Staatsfinanzen

BERLINER REPUBLIK: Das schwedische Modell gilt als Paradebeispiel erfolgreicher sozialdemokratischer Politik: Es verbindet wirtschaftliche Dynamik mit einem hohen Maß an sozialer Sicherheit. Deutschland ist zehnmal größer als Schweden. Taugt Ihr Land da überhaupt als Vorbild?

PÄR NUDER: Warum denn nicht? Warum sollte Deutschland beispielsweise nicht unsere Familienpolitik kopieren können? Diese Politik beschert uns eine der höchsten Frauenerwerbsquoten der Welt. Sicher, beide Länder haben unterschiedliche Voraussetzungen. Schweden ist ein kleines, exportabhängiges Land, muss sich seit jeher auf den Weltmärkten behaupten und ist in der globalisierten Weltwirtschaft daher sehr anpassungsfähig. Im Gegensatz dazu können sich große Länder wie Deutschland zwar mehr auf ihre riesigen Binnenmärkte verlassen, häufig stellen sie sich aber nicht schnell genug auf neue Bedingungen ein.

Ein Gemeinplatz lautet, dass hohe Abgaben die wirtschaftliche Aktivität hemmen. Schweden hat eine Steuer- und Sozialabgabenquote von rund 51 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, gleichzeitig ist seine Wirtschaft im vergangenen Jahr aber um 4,4 Prozent gewachsen. Ist das die Quadratur des Kreises?

NUDER: Es kommt doch darauf an, wie man die Steuern erhebt und was man damit anstellt. Unser Steuersystem ist so konzipiert, dass es die Wettbewerbsfähigkeit möglichst wenig beeinträchtigt. Außerdem fördern wir mit den Staatseinnahmen die soziale Sicherheit – und damit das Wirtschaftswachstum: Je sicherer sich die Menschen fühlen, desto eher sind sie in einer unsicheren Welt zu Veränderungen bereit. Und je mehr Menschen sich an die neuen Bedingungen anpassen, desto wettbewerbsfähiger wird das Land. Daraus resultieren mehr Wachstum und mehr Steuereinnahmen – die man übrigens wieder umverteilen kann.

Die SAP war die dominierende schwedische Partei des 20. Jahrhunderts. Auch deshalb sind sozialdemokratische Werte und Einstellungen – etwa ein positives Verhältnis zum Staat – in der Bevölkerung Ihres Landes heute fest verankert. Warum hat die SAP dann 2006 trotz boomender Wirtschaft die Wahlen gegen eine bürgerliche Allianz verloren?

NUDER: Die Konservativen haben aus ihrer Wahlniederlage im Jahr 2002 die richtigen Schlüsse gezogen. Damals hatten sie massive Steuersenkungen und einen radikalen Systemwechsel angekündigt; das Ergebnis war ein Stimmenanteil von nur 15 Prozent. Im Wahlkampf 2006 verkauften sie sich daraufhin als die neue Arbeitnehmerpartei und traten für eine sehr moderate Wirtschaftspolitik ein. Hinzu kommt, dass sich die sozialdemokratische Regierung während der Tsunami-Katastrophe ziemlich unglücklich verhalten hat. Und zu allem Überfluss hatte Premierminister Göran Persson angedeutet, nach der Wahl in jedem Fall abzutreten. So konnte die Opposition nach 12 Jahren sozialdemokratischer Regierung leicht behaupten, die Zeit sei reif für einen Wechsel.

Das sind externe Faktoren und kleinere Patzer. Hat die SAP im Wahlkampf auch strategische Fehler gemacht?

NUDER: Ja, wir sind nicht genug auf die Ängste der Mittelschichten vor der Globalisierung eingegangen. Dies führte zu dem paradoxen Ergebnis, dass wir in der städtischen Region um Stockholm die meisten Stimmen verloren haben, obwohl die Arbeitslosigkeit dort am geringsten ist. Recht erfolgreich waren wir hingegen in Nordschweden, wo viele Arbeitslose leben. Dort gibt es nämlich große Minen und Hütten, die derzeit sehr viel Stahl nach China liefern. Die Nordschweden sind angesichts der zusammenwachsenden Weltwirtschaft sehr optimistisch, während die städtischen Mittelschichten Angst haben, ihren Kindern könne es aufgrund der Globalisierung einmal schlechter gehen.

Jetzt regiert eine „Allianz für Schweden“ aus vier bürgerlichen Parteien. Welche Politik haben die sozialdemokratisch gewendeten Konservativen nach der Wahl betrieben?

NUDER: Sie haben ihr wahres Gesicht gezeigt und massiv zugunsten der Wohlhabenden umverteilt. Die Leistungen der Arbeitslosenversicherung wurden reduziert und die Steuern für die Reichsten gesenkt – obwohl wir einen Haushaltsüberschuss hatten. Darüber hinaus wollen die Konservativen jetzt einen größeren Niedriglohnsektor schaffen, unter anderem durch die Subvention haushaltsnaher Dienstleistungen. Als dann noch zwei Minister in Skandale verwickelt waren und zurücktreten mussten, war plötzlich die alte, bürgerliche Partei wieder da. Noch nie hat eine Partei in Umfragen nach einer Regierungsübernahme so schnell an Zustimmung verloren wie die Konservativen.

Das ergibt doch keinen Sinn: Die konservative Partei wurde für sozialdemokratische Versprechen gewählt, betreibt nun aber eine traditionelle Politik?

NUDER: Ich glaube, sie wollen ihre Klientel so früh wie möglich bedienen und die guten Nachrichten später produzieren. Ihre Stammwähler erwarten von ihnen, dass sie die Steuern senken. Andererseits könnte sogar mehr Kalkül dahinter stecken: Der schwedische Wohlfahrtsstaat beruht bekanntlich auf dem Prinzip der Universalität. Die Wohlhabenden unterstützen ihn, weil auch sie von qualitativ hochwertigen sozialen Dienstleistungen und dem Sicherungssystem profitieren. Diese Unterstützung könnte nachlassen, wenn nun Löcher in das Sozialsystem gerissen werden. Wer will schon die höchsten Steuern der Welt für einen qualitativ nur noch durchschnittlichen öffentlichen Sektor zahlen? So könnte sich die Einstellung in der Bevölkerung zum Vorteil der Konservativen wandeln.

Gibt es für diesen Mechanismus ein Beispiel?

NUDER: Nehmen wir das Schulsystem. Früher besuchten in Schweden Kinder unterschiedlicher Herkunft dieselbe Schule. Das war gut für den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft. In den neunziger Jahren haben wir das Schulsystem verändert, so dass die Zahl der Privatschulen zugenommen hat. Heute gehen immer mehr Kinder der Mittel- und Oberschicht auf Privatschulen. Das führt zu einer Verschlechterung der Qualität und des Ansehens der öffentlichen Schulen.

Wie sollten Sozialdemokraten auf die Ängste der Menschen vor der Globalisierung eingehen?

NUDER: Jede politische Kommunikation muss fünf Dimensionen umfassen. Erstens: Ich weiß, wie du dich fühlst! Zweitens: Ich weiß auch, warum du dich so fühlst! Drittens: Ich will nicht, dass es dir so geht! Viertens: Lass uns versuchen, es anders zu machen! Und fünftens: Lass es uns doch so machen. Es geht also – in dieser Reihenfolge – um Einfühlungsvermögen, um Analyse, um Werte, um Visionen und um Maßnahmen. Politiker sind üblicherweise gut darin, die aktuelle Situation zu analysieren und Maßnahmen zu erläutern. Wir sind weniger gut, wenn es um Einfühlungsvermögen, Werte und Visionen geht. Im schwedischen Wahlkampf 2006 hätte die SAP mit mehr Einfühlung aufgreifen müssen, worüber die Menschen am Küchentisch miteinander sprechen.

Die Kommunikation und das Einfühlungsvermögen sind das eine. Welche politischen Maßnahmen schlagen Sie den Bürgerinnen und Bürgern vor?

NUDER: Hier kommt das Konzept der sozialen Brücken ins Spiel. In einer offenen Welt können wir nicht bestimmte bestehende Arbeitsplätze schützen, sehr wohl aber die Menschen selbst. Die Bürger wissen, dass es keine Garantie mehr auf einen Job bis ans Lebensende gibt und dass sie sich häufiger und radikaler verändern müssen als früher. Doch dabei müssen sie sich sicher fühlen. Wenn über einen Fluss eine instabile Brücke führt, wird sie niemand betreten. Die Qualität des Sozialsystems hat daher einen direkten Einfluss auf die Veränderungsbereitschaft der Menschen und auf die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes.

Welche Brücken meinen Sie genau?

NUDER: In Schweden sind das erstens die Sozialversicherungen. Zum Beispiel ist die Arbeitslosenversicherung wichtig, um die Zeit zwischen einer nicht mehr konkurrenzfähigen Arbeitsstelle und einem neuen, wettbewerbsfähigen Arbeitsplatz zu überbrücken. Zweitens müssen alle Menschen mittels aktiver Arbeitsmarktpolitik eine zweite berufliche Chance erhalten. Auf diesem Gebiet brauchen wir in Schweden eine komplett neue Politik: Derzeit kann nur derjenige die betreffenden Maßnahmen in Anspruch nehmen, der bereits arbeitslos geworden ist. Wir sollten den Beschäftigten aber bereits helfen, bevor sie arbeitslos werden. Drittens müssen auch diejenigen in das Erwerbsleben eingegliedert werden, die längere Zeit arbeitslos oder krank waren oder nicht mehr so leistungsfähig sind. In Schweden sollte es beispielsweise einfacher werden, vom staatlich subventionierten Arbeitsmarkt in den regulären Arbeitsmarkt überzuwechseln.

Noch immer gibt es in Deutschland fast vier Millionen Arbeitslose. Eine Gruppe der „Insider“ hat sichere, unbefristete Arbeitsplätze, während viele „Outsider“ prekär beschäftigt oder ohne Arbeit sind. Hielten Sie in dieser Situation eine Lockerung des Kündigungsschutzes für sinnvoll?

NUDER: Ich bin kein Deutschland-Experte, aber der schwedische Arbeitsmarkt jedenfalls ist viel flexibler, als oft behauptet wird. Ich habe noch keinen Kleinunternehmer getroffen, der Probleme hatte, Mitarbeiter zu entlassen. Auch Unternehmensschließungen sind bei uns relativ unproblematisch. Als die Firma Electrolux ihre Werke in Schweden und Bayern schließen wollte, kostete sie das in Bayern viel mehr Geld als in Schweden. Das liegt eben daran, dass wir Menschen schützen und keine Arbeitsplätze, die nicht mehr wettbewerbsfähig sind.

Die Idee der „Flexicurity“ hat in Deutschland bislang nur wenige Anhänger gefunden. Ihre Verwirklichung wird sogar immer unwahrscheinlicher, seitdem die Linkspartei/PDS jegliche Erneuerungspolitik als Verrat an der angeblich guten alten Zeit brandmarkt.

NUDER: Vielleicht sollte man auch in Deutschland versuchen, proaktiv an die Sache heranzugehen. Nehmen Sie sich einen Sektor heraus, der künftig nicht mehr wettbewerbsfähig sein wird, irgendeinen Industriezweig. Sorgen Sie dafür, dass die betreffenden Unternehmen ihren Angestellten Qualifikations- und Weiterbildungsprogramme anbieten, bevor sie arbeitslos werden. Das wäre ein Anfang.

Auch die schwedischen Sozialdemokraten haben Konkurrenz von links. Doch die schwedische Linkspartei ist in den vergangenen Jahren deutlich geschwächt worden: Bei den Reichtstagswahlen 1998 erhielt sie noch 12 Prozent der Wählerstimmen, im Jahr 2002 waren es 8,3 Prozent, 2006 nur noch 5,9 Prozent. Wie lautet das Erfolgsrezept?

NUDER: Als uns die Linkspartei Ende der Neunziger viele Wählerstimmen wegnahm, haben wir noch mehr in den öffentlichen Sektor investiert, um den populistischen Forderungen der Linkspartei Rechnung zu tragen. Das hat zweifellos Wirkung gezeigt. Bei der Wahl 2002 haben wir die verlorenen Stimmen wieder zurückgewonnen. Heute machen wir uns Sorgen, die Linkspartei könnte unter die 4-Prozent Hürde fallen. Die Partei ist nämlich keineswegs mehr so sozialdemokratisch und konstruktiv ausgerichtet wie früher, sondern primär an radikaler Rhetorik interessiert. Manchmal frage ich mich, ob die Linken reale Veränderungen anstreben oder lieber in Cafés sitzen und intellektuelle Diskussionen führen wollen. Wenn die Linkspartei auseinanderbricht, haben wir jede Menge Probleme.

Um das richtig zu verstehen: Sie haben den Forderungen der Linkspartei nach neuen öffentlichen Investitionen nachgegeben?

NUDER: Ja, aber wir haben nicht verantwortungslos Geld verteilt, sondern sehr gezielt investiert. Beispielsweise haben wir den kommunalen Schulen ihre Mittel direkt zugewiesen. So konnten die Menschen mit eigenen Augen sehen, wie sich mit dem Geld die Qualität der Schulen verbesserte.

Anfang der neunziger Jahre rutschten die schwedische Wirtschaft und Gesellschaft in die schwerste Krise seit den dreißiger Jahren. Staatsverschuldung und Arbeitslosigkeit stiegen rasant. Wie kam es dazu?

NUDER: Die Reichsbank hatte die Zinsen erhöht, um die Krone zu sichern. Daraufhin begann die Bevölkerung zu sparen, anstatt zu konsumieren. Zuvor hatte die sozialdemokratische Regierung versucht, durch die Abwertung der Krone schwedische Produkte zu verbilligen, wodurch dann aber notwendige strukturelle Veränderungen in der Wirtschaft herausgezögert wurden. Die konservative Regierung machte zwischen 1991 und 1994 dann einen großen Fehler: Sie erhöhte die Staatsausgaben weiter. Als wir 1994 wieder an die Macht kamen, mussten wir harte Maßnahmen ergreifen, um den Haushalt zu konsolidieren. Die schwedische Sozialdemokratie ist damals durch eine harte Schule gegangen. Wir haben gelernt, dass ein großes Haushaltsdefizit und hohe Inflationsraten zu einer Umverteilung von unten nach oben führen. Sie sind tödlich für die soziale Gerechtigkeit und die Wettbewerbsfähigkeit zugleich. Seitdem predige ich, dass stabile öffentliche Finanzen ursozialdemokratische Politik sind.

Das Gegenargument lautet: Der Staat darf sich verschulden, solange er das Geld in die Zukunft investiert, etwa in das Schulsystem oder in die Infrastruktur.

NUDER: Deshalb sollte man sowohl sparen als auch investieren. Diese Investitionen müssen aber deutlich sichtbar sein. Gerade jetzt, wo Deutschland wieder mehr Steuern einnimmt, müssen die Menschen merken, dass sie nach den harten Jahren etwas zurückbekommen. In Schweden haben wir während der Haushaltskonsolidierung überdies eine Solidaritätssteuer für die höchsten Einkommensstufen eingeführt. Obwohl diese Maßnahme nicht viel zur Konsolidierung beitrug, war sie wichtig: Die Bevölkerung hatte das Gefühl, dass die Lasten gerecht verteilt waren.

Niedrige Inflationsraten werden in Deutschland fast als selbstverständlich angesehen. Warum glauben Sie, dass besonders Sozialdemokraten die Inflation bekämpfen müssen?

NUDER: Es sind immer die kleinen Leute, die bei Inflation den höchsten wirtschaftlichen und politischen Preis zahlen. Daher ist es falsch, dass niedrige Inflationsraten zu einem Projekt der konservativen Parteien geworden sind. In Schweden stehen selbst die Gewerkschaften hinter dem Inflationsziel, denn sie haben erlebt, dass dadurch in den letzten zehn Jahren die Kaufkraft stark angestiegen ist. Der Anstieg des Realeinkommens ist für das Alltagsleben der Menschen sehr wichtig.

Der konstante Lohnanstieg könnte auch erklären, warum die schwedischen Gewerkschaften ein positiveres Verhältnis zur Globalisierung und zu strukturellen Veränderungen der Wirtschaft haben als die deutsche Arbeitnehmervertretung.

NUDER: Mag sein. Hinzu kommt, dass unsere Gewerkschaften mehr gesamtgesellschaftliche Verantwortung übernehmen müssen, weil 80 Prozent aller Beschäftigten Gewerkschaftsmitglieder sind. Das Interesse der Gewerkschaftsmitglieder ist identisch mit dem Interesse der Gesellschaft insgesamt. Die stolzen Mitgliedszahlen gehen wiederum darauf zurück, dass unser System der Arbeitslosenversicherung gewerkschaftlich organisiert wird. Außerdem tragen die sozialen Brücken in Schweden zur Veränderungsbereitschaft der Gewerkschaften bei: Die Gewerkschafter wissen, dass Arbeitslose gut versorgt werden und dass die Arbeitsvermittlung ihnen hilft, schnell neue Arbeit zu finden. Ich bin überzeugt: Schweden steht auch deshalb im Vergleich zum europäischen Durchschnitt besser da, weil unsere Gewerkschaften den Strukturwandel aktiv mittragen.

Von außen betrachtet scheint Schweden ein Paradies auf Erden zu sein. Welche Probleme bedrücken die schwedischen Bürger?

NUDER: Ein großes Thema ist die Integration von Einwanderern. In den neunziger Jahren sind viele Menschen vom Balkan zu uns gekommen, die immer noch nicht richtig integriert sind. Großen Kummer bereiten mir auch die Menschen aus dem Irak, die derzeit nach Schweden fliehen. Zum ersten Mal in der politischen Geschichte Schwedens existiert jetzt mit den „Schwedendemokraten“ eine rechtsextreme Partei. Sie ist im südlichen Schweden besonders erfolgreich, wo viele Arbeiter leben. Das bereitet uns viel Kopfzerbrechen, weil diese Wählerschichten anders angesprochen werden müssen als die verunsicherte Mittelschicht. Einerseits müssen wir ihnen klar machen, dass Sicherheit der Markenkern der SAP und nicht der „Schwedendemokraten“ ist. Andererseits müssen wir deutlich machen, dass Schweden schon immer für Solidarität und Offenheit stand.

Schweden hat wie Irland und Großbritannien seinen Arbeitsmarkt für die Bürger der neuen EU-Mtgliedsstaaten bereits geöffnet. Hat der Ansturm auf den schwedischen Arbeitsmarkt die Überfremdungsgefühle verstärkt?

NUDER: Es gab gar keinen Ansturm, da wurde maßlos übertrieben. In der schwedischen Integrationspolitik geht es um den irakischen Flüchtling, nicht um den polnischen Klempner. Aber wir brauchen zusätzliche qualifizierte Arbeitskräfte. Deshalb diskutieren wir gerade darüber, unseren Arbeitsmarkt für Einwanderer aus Drittstaaten zu öffnen. Wenn man sich auf bestimmte Berufe konzentriert, halte ich das nicht nur aus ökonomischen, sondern auch aus sozialpolitischen Gründen für sinnvoll. Denn gut qualifizierte, berufstätige Migranten können die Akzeptanz von Einwanderern ganz allgemein befördern.

Im Jahr 2001 hat die SAP ein neues Parteiprogramm verabschiedet. Dort werden moderne politische Instrumente beschrieben, aber auch traditionelle Ziele wie der „demokratische Sozialismus“ formuliert. Noch immer gebe es den gesellschaftlichen Klassenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit; die SAP sei eine „antikapitalistische Partei“. Widerspricht nicht diese Rhetorik dem politischen Handeln?

NUDER: Das Programm ist für die interne Verwendung bestimmt und weniger an die Wähler gerichtet. Dennoch sind die Ziele keine reine Rhetorik. Ja, wir sind eine antikapitalistische Partei: Wir setzen uns für die freie Marktwirtschaft ein, wollen aber nicht, dass sich allein die Interessen des Kapitals durchsetzen. Denn wir vertreten die Interessen der Gesamtgesellschaft. Sozialdemokraten sollten auf der einen Seite für Entwicklung, Wachstum und Fortschritt eintreten und auf der anderen Seite für soziale Sicherheit, Fairness und Gleichheit. Die Konservativen denken nur an die Wirtschaft, die Linken nur an das Soziale. Doch beide Seiten bedingen sich gegenseitig. Wir Sozialdemokraten sind die einzige Kraft, die diesen zentralen Zusammenhang richtig begreift.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

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