"Investitionsbedarf im Bereich der Demokratie"

Aktionismus ist nicht die Antwort - die Bekämpfung des Rechtsextremismus erfordert Kontinuität und einem langen Atem auch von der Bundespolitik. Plädoyer für die Errichtung einer Bundesstiftung für demokratische Kultur

Plötzlich war das Thema da. Nach den Erfolgen der rechtsextremistischen Parteien DVU und NPD bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen stand das Thema Rechtsextremismus wieder einmal im Fokus des öffentlichen Interesses. Die Presse veröffentlichte ausgiebige Wahlanalysen, Hintergrundberichte über die Verankerung der NPD in der Sächsischen Schweiz, Interviews mit Politikern und Sozialwissenschaftlern. Unzählige Kommentare über die Gefährdung der Demokratie in Deutschland wurden verfasst. Der Nachrichtensender N24 und die Berliner Zeitung meinten sogar, dem Vorsitzenden der neonazistischen NPD, Udo Voigt, die Möglichkeit einräumen zu müssen, in ausgiebigen Interviews seine dumpfen Parolen „unters Volk“ zu bringen. Und auch in der Politik und den Institutionen der Gesellschaft herrschte große Betriebsamkeit: Die SPD-Bundestagsfraktion stockte die Bundesmittel zur Rechtsextremismusbekämpfung für 2005 um fünf Millionen Euro auf, die Grünen setzten eine Kommission ein, Paul Spiegel forderte einen Runden Tisch.

So war es in den ersten sechs Wochen nach den Wahlen. Mittlerweile ist das Interesse wieder zurückgegangen. Auf das „normale Maß“, möchte man sagen. Was nichts anderes bedeutet, als dass das Thema Rechtsextremismus erneut als Problem von nachgeordneter Bedeutung behandelt wird und dementsprechend auch nur in den Randspalten der großen Zeitungen Berücksichtigung findet. Rechtsextremismus ist und bleibt ein Konjunkturthema. Und dies, obgleich die Anzahl der Gewalt- und Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund seit Jahren konstant auf hohem Niveau liegt. Nach Angaben des Verfassungsschutzes waren 2003 volle 10.792 der insgesamt 13.724 extremistischen Straftaten dem Bereich Rechtsextremismus zuzuordnen. Für die vorausgegangen Jahre sehen die Relationen ähnlich aus. Und doch findet das Dauerproblem Rechtsextremismus nur sporadisch, meist in der Folge von spektakulären Ereignissen, öffentliche Aufmerksamkeit.

Im Sommer 2000 hatte es die letzte große Welle der Auseinandersetzung mit dem Thema gegeben. Auch damals berichteten die Medien von Bild bis taz ausführlich über rechtsextreme Übergriffe, Neonaziorganisationen wie die Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) oder die Zahl der Todesopfer rechtsextremer Gewalt seit der Deutschen Einigung. Nach einem Bombenanschlag auf jüdische Einwanderer am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn rief Bundeskanzler Schröder den Aufstand der Anständigen aus. Neben zahlreichen wichtigen symbolischen Aktionen, wie einer Großveranstaltung mit 200.000 Teilnehmern vor dem Brandenburger Tor, leitete die Regierungskoalition auch konkrete politische Maßnahmen ein und bewilligte nicht zuletzt eine beachtliche Summe Geld.

Schluss mit der „staatlichen Glatzenpflege“

Neben Maßnahmen der verstärkten Repression (Verbot rechtsextremer Vereinigungen; Antrag zum Verbot der NPD durch Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung; Sensibilisierung der Sicherheitsbehörden) ist die Einrichtung des Bundesprogramms Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt wohl die gewichtigste Folge des „Aufstands der Anständigen“. Für das Programm sind seit 2001 jährlich Mittel in Höhe von rund 20 Millionen Euro im Haushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bereitgestellt worden. Zudem wurde mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds das Programm XENOS – Leben und Arbeiten in Vielfalt ins Leben gerufen, das besonders auf Maßnahmen in der Arbeitswelt zielt.

Bemerkenswert bei dem neuen Aktionsprogramm der Regierungskoalition war aber nicht nur die relativ hohe finanzielle Ausstattung. Vollkommen neu war auch der Zuschnitt des Programms: An die Stelle der Arbeit mit gewaltbereiten und rechtsextrem orientierten Jugendlichen trat die Förderung zivilgesellschaftlicher Projekte und Initiativen gegen Rechtsextremismus. Mit diesem Paradigmenwechsel in der Förderpolitik wurde auf Fehlentwicklungen des Aktionsprogramms gegen Aggression und Gewalt der früheren Unionsregierung reagiert (das unter anderem zur Förderung rechter Jugendclubs und Infrastruktur geführt hatte) und zugleich Anschluss an die wissenschaftlichen Fachdiskussion gehalten. Denn Experten betonen seit Jahren, dass im Mittelpunkt der Prävention und Bekämpfung von Rechtsextremismus die Stärkung demokratischer und zivilgesellschaftlicher Potenziale stehen müsse, um so dem Rechtsextremismus langfristig das Wasser abzugraben. Deshalb machte das rot-grüne Programm Schluss mit der „Glatzenpflege auf Staatskosten“ und förderte statt dessen gezielt demokratische Initiativen und Projekte, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen oder den Opfern rechter Gewalt beistehen. Konstellationen, in denen Rechtsextremisten bereits „kulturelle Hegemonie“ ausübten und zum Teil das staatliche Gewaltmonopol außer Kraft setzten, sollten aufgebrochen werden; wo derartige Entwicklungen drohten, sollte der Rechtsextremismus zurückgedrängt werden.

Bisher ist das Programm Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt eine Erfolgsgeschichte: Seit 2001 wurden 3.600 Projekte, Initiativen und Maßnahmen mit mehr als 154 Millionen Euro gefördert. Bis 2006 wird der Bund im Rahmen des Programms rund 187 Millionen Euro an Fördermitteln zur Verfügung gestellt haben. Entsprechend dem Format des Programms wurden Projekte von unterschiedlichstem Charakter gefördert: von spontanen und zeitlich begrenzten Klein- und Kleinstinitiativen bis zu so genannten Strukturprojekten mit mehrjähriger Laufzeit. Gerade die in den neuen Bundesländern geförderten Strukturprojekte mit den Bereichen Opferberatung, mobile Beratung und lokale Vernetzung sind hoch innovativ und mittlerweile das Rückgrat des zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rechtsextremismus im Osten Deutschlands. Mit der Einführung des Konzepts der Opferperspektive wurde ein oft vernachlässigter Ansatz der Bearbeitung von Gewalttaten und -erfahrungen gefördert, der für einen an den Menschenrechten orientierten Umgang mit Minderheiten unerlässlich ist. Durch die Einsätze der mobilen Beratungsteams, die dort aktiv werden, wo Vertreter der Schulen, Gemeinden und Behörden Hilfestellung im Umgang mit Rechtsextremisten benötigen, sowie durch Netzwerkstellen, die oft als erster Ansprechpartner für Personen dienen, die gegen Rechtsextremismus aktiv werden wollen, werden Bürgerinnen und Bürger zum Engagement gegen Rechtsextremismus ermutigt.

Die Union kämpft lieber gegen Linke

Das Bundesprogramm hatte von jeher aber auch mit Widerständen und Problemen zu kämpfen. So war es seit seiner Installierung teilweise massiven Angriffen der Union ausgesetzt. Anfangs lehnten die Unionsparteien das Bundesprogramm ab, da sie kein Vorhaben unterstützen wollten, das sich einseitig mit Rechtsextremismus beschäftige. Ein Bundespro-gramm müsse auch gegen Links- und Ausländerextremismus gerichtet sein. Im Herbst 2002 instrumentalisierte man eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, in der mehr Nachhaltigkeit in der Rechtsextremismusbekämpfung eingefordert wurde, um das Aktionsprogramm insgesamt anzugreifen.

In den Beratungen für den Bundeshaushalt 2003 wurde daher die Streichung der gesamten Programmmittel beantragt. Die Programme seien wirkungslos, so die Begründung. Um das Bundesprogramm zu diskreditieren, wurden immer wieder (nicht selten im Zusammenspiel mit der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit) geförderte Projekte als linksextremistisch diffamiert. So verwundert es nicht, dass sich unionsgeführte Landesregierungen einer Kofinanzierung der auf Drittmittel angewiesenen Projekte von längerer Laufzeit meist verweigern. Hätten CDU und CSU die parlamentarische Mehrheit – es wäre das Aus für sämtliche Maßnahmen.

Schwierigkeiten bei der Förderung von zivilgesellschaftlichen Projekten und Initiativen aus Bundesmitteln ergeben sich aber auch auf Grund der Bundeshaushaltsordnung. So kritisierte der Bundesrechnungshof im Januar 2003 in einem Bericht an den Innenausschuss des Deutschen Bundestages, dass es sich bei den aus den Mitteln des Aktionsprogramms geförderten Maßnahmen zum Teil um kommunale Aufgaben handele. Das Subsidiaritätsprinzip ermöglicht dem Bund nur die Förderung von Modellprojekten mit begrenzter Laufzeit. Das Programm ist deshalb so konzipiert, dass die Projekte mit mehrjähriger Laufzeit einen steigenden Anteil an Kofinanzierungsmitteln einwerben müssen und nach drei geförderten Jahren überhaupt keine Bundesförderung mehr beziehen. Jedoch ist es vielen Projekten aufgrund der politischen Ignoranz unionsgeführter Landesregierungen und der angespannten Haushaltslage der Länder und Kommunen objektiv nicht möglich, den wegfallenden Förderungsbetrag durch Kofinanzierung auszugleichen. Und dass beispielsweise die heute geförderten Strukturprojekte in absehbarer Zeit auf eigenen Beinen stehen können, ist gänzlich unwahrscheinlich. So droht im Rahmen der jetzigen Programmkonzeption die Gefahr, dass sich erfolgreiche Projekte, die nachgewiesen qualitativ hochwertige und notwendige Arbeit verrichten, in absehbarer Zeit in Förderruinen verwandeln.

Nicht bloß ein Thema für ein einziges Ressort

Zudem kritisierte der Bundesrechnungshof, dass sich eine Vielzahl der geförderten Maßnahmen an eine „breite generationsübergreifende Zielgruppe“ richte und nicht an Jugendliche als eigentliche Zielgruppe. Auch mit dieser Kritik hatte der Bundesrechnungshof nicht ganz Unrecht. Ohne Frage umfasst die Arbeit vieler Projekte ein breites Zielgruppenspektrum, das von engagierten Initiativen über Opfergruppen, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der Jugend- und Bildungsarbeit über Verantwortungsträger aus Politik und Verwaltung bis zur Polizei und Justiz reicht. Die Konsequenz aus der Kritik des Bundesrechnungshofs kann aber nicht lauten, den Programmzuschnitt wieder auf Kinder und Jugendliche einzuengen und die notwendige bisher geleistete Arbeit nicht mehr zu fördern. Rechtsextremismus ist kein bloßes Jugendproblem. Rechtsextremistische Einstellungen finden sich in allen gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen. Genauso sind Prävention und Bekämpfung von Rechtsextremismus Aufgaben der gesamten Gesellschaft. Die Bewältigung eines Problems sollte sich daran orientieren, welche Mittel angemessen sind, nicht an den Zuständigkeiten des zugewiesenen Ressorts. Es ist somit nicht konsistent, dass die gesamtgesellschaftliche Querschnittsaufgabe der Rechtsextremismusbekämpfung allein mit Mitteln aus dem Kinder und Jugendplan des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bestritten wird.

In der neueren deutschen Geschichte hat es Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus immer wieder gegeben. In bestimmten historischen Phasen waren diese menschenverachtenden Einstellungen in der Bevölkerung weniger ausgeprägt, in den dreißiger Jahren des vergangen Jahrhunderts führten sie in die Katastrophe. Es bedarf keiner seherischen Fähigkeiten, um festzustellen, dass die Bekämpfung und Prävention von Rechtsextremismus auch in den nächsten Jahren eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft wie auch für die Bundespolitik bleiben wird. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat Recht: „Es gibt Investitionsbedarf nicht nur im Bereich der Wirtschaft, sondern auch Investitionsbedarf im Bereich der Demokratie. Den Aufstand der Anständigen braucht man immer und immer wieder“ (Süddeutsche Zeitung vom 2.10.2004).

Immer und immer wieder Aufstand

Vor dem Hintergrund der oben skizzierten Probleme, mit denen ressortgebundene Bundesprogramme konfrontiert sind, muss darüber nachgedacht werden, wie die auf einer Stärkung der Zivilgesellschaft basierende Bekämpfung des Rechtsextremismus langfristig gesichert werden kann. Ein gegenwärtig diskutiertes Modell ist die Schaffung einer Bundesstiftung. Mit der Einrichtung einer gemeinnützigen Stiftung bürgerlichen Rechts könnte in einer alternativen Förderstruktur mittelfristig das geleistet werden, was gegenwärtig mittels des Bundesprogramms finanziert wird. Durch die Organisationsform der Stiftung können jedoch die geschilderten Probleme vermieden werden: Einmal ins Leben gerufen, ist eine Stiftung bürgerlichen Rechts weitgehend unabhängig, sowohl von den politischen Mehrheitsverhältnissen im Parlament als auch von der Bundeshaushaltsordnung. Um jährlich rund 10 Millionen Euro Fördermittel ausschütten zu können, müsste eine Stiftung zur Prävention und Bekämpfung von Rechtsextremismus über einen Kapitalstock von rund 200 Millionen Euro verfügen. Ein solcher Kapitalstock könnte durch Zustiftungen aus Bundes- und privaten Mitteln geschaffen werden.

Wie sprach der Kanzler? Eben!

Viel Geld – nicht nur in Zeiten der leeren öffentlichen Kassen. So müsste kurzfristig im Bereich der Rechtsextremismusbekämpfung wesentlich mehr gestemmt werden, als dies zurzeit der Fall ist. Mittel- und langfristig würden die Haushalte aber entlastet sowie Nachhaltigkeit und Kontinuität in der Rechtsextremismusbekämpfung gewährleistet. Die Errichtung einer Stiftung wäre zudem ein starkes öffentliches Signal dafür, dass der vom Bundeskanzler im Jahr 2000 ausgerufene „Aufstand der Anständigen“ in Form einer nachhaltig angelegten Konzeption zur dauerhaften Unterstützung des zivilgesellschaftlichen Engage-ments gegen Rechtsextremismus seine Fortsetzung findet. Die Stiftung wäre Ausdruck der Tatsache, dass die rot-grüne Koalition ein anderes Gesellschaftsbild vertritt als der konservative Teil der Opposition. Wie sprach der Kanzler? „Es gibt Investitionsbedarf nicht nur im Bereich der Wirtschaft, sondern auch Investi-tionsbedarf im Bereich der Demokratie.“ Eben!

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