"Das Wichtigste ist Selbstorganisation"

Bernd Wagner ist einer der führenden Experten für rechtsextreme Subkulturen in Ostdeutschland. Der Kriminaloberrat a. D. und ehemalige Leiter des Staatsschutzes beim Zentralen Kriminalamt der DDR und des Gemeinsamen Landeskriminalamtes der Neuen Länder beobachtete schon vor 1989 die rechte Szene in der DDR. Heute leitet er das Zentrum Demokratische Kultur (ZDK) in Berlin. Ein Schwerpunkt der Arbeit des ZDK ist das Aussteigerprogramm EXIT-Deutschland. Bernd Wagner wurde 1999 für seine Arbeit mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet. Die Berliner Republik hat mit ihm gesprochen.

BERLINER REPUBLIK: Die NPD und die DVU haben nach ihren Wahlerfolgen in Sachsen und Brandenburg beschlossen, bei der Bundestagswahl 2006 gemeinsam als „rechte Volksfront“ zu kandidieren. Organisatorisch könnten die beiden Parteien unterschiedlicher kaum sein – die NPD ist eine Kaderpartei mit gut funktionierender Parteistruktur, die DVU wird zentral von Gerhard Frey geführt. Kann diese Kooperation erfolgreich sein?
BERND WAGNER: Gemeinsame Wahlkämpfe gab es schon in der Vergangenheit. Letztlich sind die Koalitionen immer auseinander gebrochen, weil es organisatorische Probleme gab und die DVU unter dem Eindruck der Macht der NPD stand. Es gab zum Beispiel Streit darüber, wer sich öffentlich artikulieren dürfe. Dieser Neuansatz ist also mit Skepsis zu betrachten, obwohl beide Parteien ein historisches Zeitfenster erblicken und sich diesmal mehr Mühe geben werden. Zumal sie versuchen, auch die Republikaner teilweise zu absorbieren. Franz Schönhuber hat sich für die Koalition bereits als medienpolitischer Berater angeboten.

Früher ignorierten die demokratischen Parteien die rechtsradikalen Parteien. Jetzt haben sie ihre Strategie gegenüber DVU und NPD geändert: Die CDU will Themen wie Nation und Heimat besetzen, die SPD sich auch inhaltlich mit den Rechten auseinandersetzen. Ist das Erfolg versprechender?
WAGNER: Die Ignoranzstrategie kann als gescheitert gelten. Nicht von ungefähr hat die DVU in Brandenburg 13.000 Stimmen dazu gewonnen. Aber es ist auch problematisch, jetzt die Deutungshoheit über rechte Themen gewinnen zu wollen. Die Wähler rechtsradikaler Parteien wollen das Original, nicht die Kopie. Wenn die Union mit bestimmten Begrifflichkeiten hantiert, merkt der rechtsextrem geneigte Wähler sofort, was mit ihm passieren soll. Und die SPD-Strategie, inhaltlich zu streiten, kann auch ein Rückschlag werden. Gerade wenn man sich zur Thematik „Soziales“ artikuliert, kann man ganz schnell von den Rechtsextremen vor sich hergetrieben werden. Denn die SPD und die Grünen sind ja genau diejenigen Parteien, die vermeintlich eine Politik der sozialen Kälte verfolgen. Man muss sich also die Themen genau auswählen, mit denen man punkten kann. Das wichtigste ist demokratische Authentizität und Konsequenz in der eigenen Meinung, auch wenn man Unpopuläres verkünden muss.

Der Extremismusforscher Eckard Jesse glaubt, die Aussichten der NPD bei einer Bundestagswahl seien gleich null. Anderswo wird vorgerechnet, das rechtsextremistische Wählerpotential sei sehr hoch. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer schätzt es auf 25 Prozent ...
WAGNER: ... andere siedeln es bei 12 bis 15 Prozent an. Die Frage ist aber, unter welchen Rahmenbedingungen eine Wahl stattfindet. Wie nimmt das Wahlvolk die gesellschaftspolitischen Problemlagen wahr? Mit welchem Kraftpotential kann sich Rechtsextremismus parteipolitisch präsentieren? Die Leute wählen gern diejenigen, die Chancen auf tatsächlichen Einfluss haben. Also, null Chancen für die NPD, das halte ich für untertrieben.

Aber kommen die NPD und die DVU nicht zu unmodern daher, werden sie nicht zu sehr mit dem „Dritten Reich“ identifiziert?
WAGNER: Sie spielen auf die „modernen“ rechtsradikalen Parteien in Österreich, Frankreich oder Italien an. Wie stabil diese Parteien sind, ist historisch noch gar nicht entschieden. Die Hoch-Zeit der Haider-Partei in Österreich hält zumindest nicht mehr an, in Frankreich spalten sich die Rechtspopulisten. Teilweise haben diese westeuropäischen Parteien atavistische Elemente zu stark zurückgedrängt. In Deutschland ist eine solche moderne Partei nicht in Sicht, aber den rechtsextremen Parteien gelingt es immer besser, den monokausalen Bezug zum Dritten Reich zu reduzieren. Gleichwohl brauchen sie eine historisch-völkisch-ideelle Kontinuität. Das hat mit der deutschen Geschichte zu tun und damit, dass die Demokratie dem deutschen Volk in den Augen dieser Parteivertreter aufgezwungen worden ist. Man braucht eine historische Legitimationsbasis für Zukunftsmodelle jenseits der Demokratie, neben den aktuellen Fragen, die sich aus Globalisierung oder sozial-ökonomischen Problemlagen ergeben.

In Ihrer Schrift „Rechtsextremismus und kulturelle Subversion in den neuen Bundesländern“ beschreiben Sie den Rechtsextremismus als „soziale Bewegung“, deren Ziel nicht die kurzfristige Übernahme der Macht, sondern die Durchsetzung einer „völkischen Alltagskultur“ in allen Sphären des Lebens sei. Was bedeutet völkische Alltagskultur?
WAGNER: Der wesentlicher Träger völkischer Alltagskultur ist eine Ideologie: Ultranationalismus verbunden mit einer gesellschaftspolitischen Deutung jenseits der Menschenrechte und einer Kritik an der demokratischen Gesellschaftsordnung. Wichtig ist dabei der Volksbegriff, definiert als kulturalistische und als rassistisch-biologistische Konstruktion. Ein schwarzer Mensch mit deutschem Pass findet in der „Volksgemeinschaft“ zum Beispiel nicht statt. Diese Ideologie wird nun auch als Lebensweise zelebriert und fließt in alle Bestandteile des Alltags ein. Zum Beispiel in die Sexualität und Partnerwahl: Wenn in einer Jugendgruppe die jungen Männer sagen, dass dunkelfarbige Mädchen für sie nicht gelten. Oder in die Essgewohnheiten: Bestimmte Speisen von anderen Völkern werden verweigert – wir haben Strafaktionen erlebt in rechtsextrem orientierten Jugendgruppen, weil Gruppenmitglieder am Dönerstand gesichtet wurden. Musik ist ein ganz wesentlicher Punkt. Bekleidung spielt eine eminente Rolle. Die Ikonografie – was für Abzeichen finde ich toll, welche Bilder hänge ich mir an die Wand? Der ganze Symbolismus, mit dem ich mich umgebe, mit dem ich mich identifiziere und aus dem ich selbst Identität schöpfe, das gehört alles dazu.

Sie behaupten ja, die völkische Alltagskultur breite sich aus. Auf der anderen Seite ist die Zahl der organisierten und nichtorganisierten Rechtsextremen laut Bundesverfassungsschutz seit 2000 stetig gesunken, genauso wie die Mitgliederzahlen rechtsextremer Parteien. Sogar die Zahl der rechtsextremen Straftaten stagniert. Ist das nicht ein Widerspruch?
WAGNER: Nein. Man darf das nicht wie den Urknall begreifen, der das völkische Syndrom in rasender Geschwindigkeit vergrößert. Der Trend kann in bestimmten Landschaften unterschiedlich strukturiert sein. In ostdeutschen ländlichen Gegenden und in kleinstädtischen Milieus geht das schneller, in Großstädten ist die völkische Alltagskultur möglicherweise auch wieder rückläufig. Es kann auch andere Erscheinungsformen von rechtsextremen Syndromen geben. Wenn ich mir in Berlin einen Teil der solariumgebräunten Muckibudentypen oder das Türstehermilieu anschaue: Leuchtet man da per Kommunikation in den Kopf hinein, wird es einem Himmelangst. Was die an völkischen Ideologien produzieren! Da geht kein Verfassungsschutz hin, die gehen auch nicht los und schlagen Vietnamesen auf. Trotzdem ist das Syndrom dort vorhanden und kann abgerufen werden. Politik ist gut beraten, auch qualitativ sozialforscherisch auf den Rechtsextremismus zu schauen und sich nicht nur auf angeblich harte Zahlen zu verlassen.

Es ist ein erklärtes strategisches Ziel der Rechtsextremen, so genannte „national befreite Zonen“ zu schaffen, also Territorien, in denen Rechtsextreme gesellschaftliche Hegemonie erreicht haben und die sie kontrollieren – ohne Linke und Ausländer. Gibt es solche Zonen tatsächlich?
WAGNER: In der klassischen Form, wie es im rechtsextremen Schriftgut aus den USA und auch Deutschland beschrieben wird, existiert das nicht. Aber es gibt Territorien rechter Hegemonie, auch „Angstzonen“ genannt. Ich kenne Orte, an denen sogar die Polizeiwachen von Rechten observiert wurden ...

... und wo dann die Rechtsextremen das Ortsbild dominieren.
WAGNER: Das muss nicht so sein. Der Raumordnungskampf kann auch schon beendet sein, und die Feinde sind rar. Dann bedarf es nur eines Winks um klar zu machen, wer der Herr im Hause ist. Im Übrigen erscheint dieses Terrain als Idylle. Die Bevölkerung schweigt, ein Teil sympathisiert mit den Rechten, ein anderer Teil lehnt sie ab und fürchtet die Auseinandersetzung. Touristen merken die rechtsextreme Dominanz gar nicht. Die Leute sehen gar nicht so schlimm aus, sind sogar hilfsbereit.

Gibt es solche Angstzonen nur in Ostdeutschland?
WAGNER: Zumindest sind sie dort am stärksten ausgeprägt. Über Westdeutschland haben wir da zu wenige Erkenntnisse. Aber auch dort breitet sich die völkische Alltagskultur aus, das kann man zum Beispiel für Hessen empirisch nachweisen. Unser Aussteigerprojekt EXIT wird auch in Westdeutschland zunehmend angefordert.

Warum sind die rechtsextremen Einstellungen im Osten weiter verbreitet als im Westen?
WAGNER: Rechtsextremismus ist kein Westimport. Ursprungsorte rechtsextremen Denkens liegen kurioserweise auch in der DDR. Das hat etwas mit der Konservierung von Mentalitätsstrukturen durch den Realsozialismus und mit einem Mangel an offener gesellschaftlicher Auseinandersetzung über das Dritte Reich zu tun. Die sozialistische Denkweise war: Weil der Nationalsozialismus dem Kapitalismus entsprang, ist mit der Abschaffung des Kapitalismus auch das Faschismusproblem gelöst. Hinzu kommt, dass die Mauer als Wirkungszusammenhang bei großen Teilen der Bevölkerung in Richtung Ultranationalismus gewirkt hat. Keiner durfte raus, nur wenige Fremde durften rein. Auch bestand bei vielen ein grundsätzliches Misstrauen gegen die bestehende Gesellschaftsordnung und ein Ohnmachtgefühl des kleinen Mannes gegenüber den etablierten Mächten. Schließlich kommt ein starker Mangel an demokratischen Werten hinzu. Das demokratische System ist eben übergestülpt worden und nicht induktiv entstanden. Was meist nicht bekannt ist: In der DDR gab es schon einschlägige vernetzte Gruppenstrukturen, die teils bis heute fortleben und 1989/90 das Herz westdeutscher Nazis höher schlagen ließen. Der westdeutsche Sicherheitsapparat hat das ziemlich ignoriert. Es gab etwa 1.000 superharte sicherheitsnotorische militante Personen mit einer militant-kulturellen Aura von etwa 15.000 Personen als sozialem System.

Aber kann das erklären, warum die ostdeutschen Bevölkerung gleich 1990 nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik so rigide auf die Zuweisung von Asylbewerbern reagiert hat?
WAGNER: Die Ostdeutschen waren der Meinung, dass die Westdeutschen ihrem volksgemeinschaftlichen Auftrag der Bemutterung auf gleicher Augenhöhe nicht nachkamen, indem sie ihnen die ungeliebten Ausländer zuschoben. Dazu kam, dass Jobs in Mengen verloren gingen. Jahrelang haben sich die Ostdeutschen schließlich mit dem Spruch „Haste noch ’ne Arbeit?“ gegrüßt. Das Gefühl ist zentral, in Bezug auf die historischen Chancenstrukturen zu kurz zu kommen und keinen Einfluss zu haben. Das treibt Leute entweder in die PDS oder nach rechts außen.

Dann müsste sich das Problem ja lösen, wenn es den Menschen wieder besser geht. Brauchen wir also nicht einfach wirtschaftlichen Aufschwung und mehr Arbeitsplätze?
WAGNER: Ein rechtsextremes Wertesystem ist nur schwer zu deprogrammieren. Selbst wenn ein wirtschaftlicher Aufschwung kommt, was ich für die nächste Zeit sehr stark bezweifle, dann wird es eben ein rechtsextremes Wertesystem auf ökonomisch hohem Niveau geben. Rechtsextremismus koppelt sich nicht an das Elend an. Andererseits ist diese These nicht völlig falsch. Aus massenpsychologischer Sicht verringern sich mentale Probleme, je weniger sozialökonomische Probleme existieren. Dieser Gedanke darf aber nicht dazu führen, dass wir uns bei einer Strategie gegen Rechts auf die Schaffung von Arbeitsplätzen beschränken.

Rechtsextremismus ist auch ein Jugendphänomen. Wie groß ist der Anteil der Jugendlichen, die mit der rechtsextremen Szene sympathisieren?
WAGNER: Wir haben für diese Fragestellung den Begriff „rechtsextrem orientiert“ gewählt. Das sind Personen, Gruppierungen oder Milieus, die bestimmte Ideologiewerte internalisiert haben: Gewaltakzeptanz, das Theorem der Ungleichheit von Menschen, Demokratiefeindlichkeit, Antisemitismus, sozialdarwinistische Grundvorstellungen. All diese Elemente sind bei „rechtsextrem orientierten“ Jugendlichen in irgendeiner Form miteinander vergesellschaftet. Für Ostdeutschland liegen da die Messwerte bei den 15- bis 21-Jährigen zwischen 25 und 45 Prozent.

Sie haben einmal gesagt, der Rechtsextremismus breite sich unter Jugendlichen als Lifestyle-Strömung aus. Heißt das: Nicht mehr alle jugendlichen Nazis laufen mit Glatze herum?
WAGNER: Das Glatzentum ist seit Jahren rückläufig. Die Hammerskinheads oder die untergründigen Blood &Honour-Typen gibt es natürlich nach wie vor. Aber die rechtsextreme Ideologie ist stärker in die Gothic- und Heavy-Metal-Szenen eingeflossen. In ihrem Lifestyle gibt es dann jeweils eine Subidentität. Ein Jugendlicher ist zum Beispiel Hammerskin und gleichzeitig in einer arischen Bruderklicke mit Langhaarigen. Und die finden alle möglicherweise NPD-Softies doof, die eher wie Chorknaben aussehen oder wie Pickeljünglinge, die ein bisschen Clerasil brauchen.

Auch die Generation der Achtundsechziger war ja ideologisiert. Obwohl der Vergleich hinkt: Die Achtundsechziger sind trotzdem gute Demokraten geworden. Wächst sich das Problem nicht teilweise mit dem Alter raus?
WAGNER: Jetzt warten wir schon 15 Jahre darauf, dass es sich rauswächst. Man muss sich von der Vorstellung lösen, dass rechtsextreme Ideologie Nazismus bedeutet. Deshalb habe ich ja versucht, Kategorien wie „völkisches Bewusstsein“ stärker in den Mittelpunkt zu rücken: um den Rechtsextremismus-Begriff von seiner politischen Formierung zu lösen. Die rechtsextrem orientierten Jugendlichen müssen später keine Hakenkreuzfahne in ihrer Stube haben. Das können ganz biedere Leute sein, die bei der Möbeloase schlecht geschnitzte Spanplattenware einkaufen. Im Gegensatz zu den Achtundsechzigern, die sich im Kern mit Menschenrechten und Emanzipation beschäftigt haben, ist der Rechtsextremismus nichts Emanzipatorisches. Deshalb glaube ich nicht daran, dass sich diese Ideologiewerte in Richtung demokratische Grundwerte und Menschenrechtlichkeit transformieren. Da bedarf es schon eines Anlasses für einen Menschen, um in ein anderes Denksystem überzugehen.

Wie stellen sich die jungen Rechten denn Deutschlands Zukunft konkret vor? Können die das artikulieren?
WAGNER: Es gibt auch pfiffige Leute dabei. Ihre Vision ist ein ausländerfreies Deutschland im Sinne des Ethnopluralismus: Alle Menschen gehen in das spezifische historisch-biologisch-kulturell angelegte Biotop zurück, aus dem sie kommen. Ausländer sind als Gäste in Deutschland willkommen, dürfen hier aber nicht leben. Die historische Aufgabe besteht in der Rückführung von Ausländern aus Deutschland. Wie das genau vonstatten gehen soll, ist offen, man will sich ja nicht mit Massenmord in Verbindung bringen. Im Übrigen ist die soziale Gerechtigkeit herzustellen und Klassenausgleich zu betreiben durch Verschlechterung der Lage der Oberschichten und Anhebung des Wohlstands des Volkes. Es geht um Brechung der Zinsknechtschaft, die Ent-Internationalisierung der deutschen Volkswirtschaft, die Nationalisierung des Bankwesens. Bei der Frage, wie das genau gehen solle, haben die meisten aber Erklärungsprobleme.

Welche Strategie gegen den Rechtsextremismus schlagen Sie vor? Welche Kritik richten Sie an herkömmliche Politikansätze?
WAGNER: In den neunziger Jahren bewegte sich die normale politische Debatte um drei Kernpunkte: Erstens förderte man soziale Arbeit, zweitens ging man mittels starker Polizeieinsätze repressiv vor, drittens strengte man Verbote von Demos, Vereinen und Organisationen an. All das ist wichtig. Für mich ist aber die zentrale Strategie, in zivile Demokratieentwicklung zu investieren. Wir brauchen Projekte, die demokratische Werthaltungen permanent induktiv generieren sowie die Solidarstruktur und die individuellen Fähigkeiten zur Selbstorganisation verbessern. Da können vielfältige und sinnvolle Koalitionen entstehen, wir arbeiten zum Beispiel auch mit Wirtschaftsstrukturen – so der Verbundnetz Gas AG – zusammen. Die Politik hat eigentlich erst nach dem so genannten „Aufstand der Anständigen“ im Jahr 2000 richtig begonnen, zivile Demokratieentwicklung zu fördern. Das darf jetzt nicht zusammenbrechen. Das wäre ein historischer Verlust.

Viele antifaschistisch engagierte Menschen fühlen sich allein gelassen bei ihrer Arbeit. Wie kann man mehr Leute für antifaschistische Arbeit motivieren?
WAGNER: Aus antifaschistischen Kreisen heraus wird immer die Klage gegen den bösen Staat geführt, der angeblich nicht hilft. Doch die strukturellen Möglichkeiten des Staates sind nicht endlos, wenn er kein Unrechtsstaat werden will. Ich möchte gar nicht, dass der Staat überrepressiv wird. Wir sind da schon hart an der Grenze. Deshalb ist Selbstorganisation das Wichtigste. Auf einer Nazi-Homepage las ich vor kurzem: „Wenn man den linken Antifa-Strukturen die fetten Bundesprogramme wegnimmt, dann weinen die alle und können nicht mehr. Wir machen alles aus uns heraus.“ Und da steckt eine Wahrheit drin. Die rechtsextremen Organisationen stellen alles selber auf die Beine und handeln aus ihrem Ideologievorrat heraus idealistisch. Das heißt aber nicht, dass der demokratische Staat sich aus seiner basalen Verantwortung nehmen dürfte. Ziviles demokratisches Handeln zu fördern ist eine staatliche Pflichtaufgabe, die noch nicht begriffen und rechtlich ausreichend normiert ist.

Eines Ihrer Projekte ist das Aussteigerprogramm EXIT. Wie bekommt man Rechtsextreme dazu auszusteigen?
WAGNER: Rechtsradikale können zum Aussteigen bewegt werden, wenn man hinsieht, anspricht, diskutiert, sich verbindet, annimmt, einbindet ... Das lohnt sich: EXIT-orientiertes Handeln dient der Kriminalprävention und der Diskussion um die Werte von Freiheit und Demokratie. Ein Königsweg ist das nicht, weil die individuellen Umstände sehr unterschiedlich sind. Aber der Ausstieg muss Teil der Gesamtstrategie bleiben.

Herr Wagner, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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