»Berlin erinnert mich an Kalifornien«

Simon Vaut trifft den amerikanischen Botschafter John Emerson auf einen Kaffee in der Botschaft der Vereinigten Staaten am Brandenburger Tor

Die Antwort der Botschaftsmitarbeiterin war freundlich aber bestimmt: „Gern möchte der Herr Botschafter Sie zu einem Gespräch für die Berliner Republik treffen – aber in seiner diplomatischen Funktion kann er keinerlei Werbung für ein bestimmtes Restaurant machen“. Was soll’s. Also wird es diesmal eine Lieblingslokal-Kolumne ohne Lieblingslokal. Die Einladung zum Kaffeetrinken in seinem Büro am Pariser Platz nehme ich jedenfalls mit Freude an. Dort erzählt mir John Emerson, seine Frau und er hätten so viele Lieblingslokale in Berlin, dass ihm die Wahl ohnehin sehr schwer gefallen wäre.

Mein Handy muss ich schon am Eingang abgeben. Ich werde am Innenhof vorbeigeführt, wo ein Totempfahl in der Tradition der Ojibwa-Indianer und ein Stück der Berliner Mauer stehen. Wir betreten den Sicherheitsbereich der Botschaft und nun muss auch die Pressereferentin ihr Smartphone in einem Schließfach verstauen.

Der Kalifornier Emerson begrüßt mich mit einem strahlenden Lächeln und führt mich zunächst auf die Dachterrasse. Hier oben finden sich die Botschaftsmitarbeiter gerne ein, wenn vor dem Brandenburger Tor Veranstaltungen stattfinden. Besonders beliebt war die WM-Feier für die Fußball-Nationalmannschaft. Das Berliner Wetter ist heute durchwachsen. „An das Klima hier mussten wir uns erst gewöhnen, aber trotzdem erinnert mich Berlin sehr an meine südkalifornische Heimat.“ Die Offenheit der kosmopoliten Stadt, die junge Kunst-, Musik- und Filmszene und die Start-Up-Kultur seien ähnlich. Familie Emerson hat fest vor, eine Wohnung zu kaufen, um auch nach seiner Amtszeit eine Anlaufstation in der Hauptstadt an der Spree zu haben.

Seine Zwillingstöchter Hayley und Taylor haben sich schnell eingelebt. Das liegt auch an ihrer Fußballbegeisterung: Seit sie vier Jahre alt sind, kicken beide leidenschaftlich, haben mit ihrer Schulmannschaft viele Trophäen gewonnen und bei Hertha 03 Zehlendorf trainiert. Die Familie ist regelmäßig zu Gast in deutschen Fußballstadien. Gerade haben die Töchter ein Praktikum in einem Start-up absolviert, erzählt mir Emerson.

Dann geht es in das Büro des Botschafters. Vom Fenster aus sieht man sowohl die Siegessäule, wo Senator Barack Obama 2008 eine begeisternde Rede hielt, als auch das Brandenburger Tor, wo Präsident Obama 2013 eine weit nüchternere Rede vortrug. Wahlkampf sei halt Poesie, Regieren jedoch Prosa, zitiert Emerson den ehemaligen New Yorker Gouverneur Mario Cuomo. Natürlich sei der harte Arbeitsalltag eines Präsidenten nicht so mitreißend wie der eines Wahlkämpfers, der die ganze Welt mit seinem „Yes we can“ elektrisierte.

Dennoch seien Obamas Erfolge in zwei Amtszeiten historisch, meint der Botschafter. Obama habe die Vereinigten Staaten aus der tiefsten Rezession seit den achtziger Jahren herausgeführt. Seine Gesundheitsreform habe praktisch allen Amerikanern endlich eine Krankversicherung verschafft. Und die Zeit der außenpolitischen Alleingänge sei vorbei. So bekämpfe man den „Islamischen Staat“ gemeinsam mit anderen Nationen. Auf der Habenseite stünden zudem der diplomatische Durchbruch in Bezug auf das iranische Atomprogramm sowie die erfolgreichen Verhandlungen auf der Klimakonferenz in Paris. Der amerikanische Botschafter hatte Obama 2003 vor dessen kometenhaften Aufstieg in Chicago bei einem Frühstück kennengelernt. Nach dem Treffen waren sich seine Frau Kimberly und er sicher, dass Obama das Zeug zum nächsten Bill Clinton habe: ein junger Mann aus bescheidenen Verhältnissen, der es bis ins Weiße Haus schaffen kann, um das Land zu verändern.

Wir kommen zum umstrittenen Thema TTIP. Emerson war als hochrangiger Mitarbeiter im Stab der Regierung Bill Clinton für Handelspolitik zuständig gewesen. Dass es in Deutschland eine Debatte um das transatlantische Handelsabkommen TTIP geben würde, überraschte ihn deshalb nicht – wohl aber deren Intensität in der Exportnation Deutschland. Zudem ist dem Amerikaner eine leichte Verärgerung über die europäische Arroganz anzumerken: „Auf beiden Seiten des Atlantiks haben wir hohe Umwelt- und Verbraucherschutzstandards. Und bei Volkswagen und der FIFA waren es amerikanische, nicht europäische Behörden, die diese auch zur Geltung gebracht haben.“ Er räumt ein, dass es richtig war, die Transparenz der Verhandlungen zu erhöhen. Die Hannover Messe im April sei ein gutes Forum, um die Vorteile für beide Seiten deutlich zu machen. Die Vereinigten Staaten sind das Partnerland; Präsident Obama wird aus diesem Anlass zum letzten Mal in seiner Amtszeit Deutschland besuchen. „TTIP ist eine Chance für die EU und die Vereinigten Staaten, um die globalisierte Wirtschaft besser zu regeln“, sagt Emerson.

Als Emerson im Sommer 2013 seinen Dienst in Berlin antrat, waren die deutsch-amerikanischen Beziehungen von den Veröffentlichungen des Whistleblowers Edward Snowden überschattet. In diesem Zusammenhang kommen wir auf die jüngste Staffel der Geheimdienst-Serie Homeland zu sprechen, die in Berlin spielt. Dass darin die NSA-Aktivitäten reflektiert werden, lag auf der Hand. Emerson, der enge Kontakte zur Filmindustrie in Hollywood hat, war häufig mit seiner Familie am Set. In der Serie geht es auch um unterschiedliche Einstellungen von Deutschen und Amerikanern beim Schutz der Privatsphäre. Emerson erzählt dazu eine Anekdote: Google Street View wurde in Deutschland kritisch gesehen. Viele Deutsche meldeten sich bei Google, um durchzusetzen, dass ihr Haus verpixelt wird. Als in den Vereinigten Staaten die Autos mit den Kameras durch die Straßen fuhren, meldeten sich ebenfalls viele Menschen bei Google – um zu fragen, wann genau das Auto vorbeifährt. Sie wollten nämlich auf dem Bild sein und winken.

In Emersons Büro hängt eine mit kleinen Fähnchen übersäte Deutschlandkarte. „Zwei Tage pro Woche arbeite ich außerhalb von Berlin. Ich war in mehr als 100 Orten in Deutschland: in Unternehmen, Kulturinstitutionen, Schulen und in letzter Zeit auch immer öfter in Flüchtlingsheimen. Es sei wichtig, dass die Flüchtlinge so schnell wie möglich die Landessprache lernen, Kinder besonders gefördert werden und die Integration in den Arbeitsmarkt schnell gelingt. „Wenn junge Männer nichts zu tun haben, kommt dabei selten etwas Gutes raus.“ Aber wenn die Integration gelingt, könne Deutschland nur gewinnen.

Die Haltung von Angela Merkel in der Flüchtlingskrise bewundert der Botschafter, „und damit bin ich als amerikanischer Bürger nicht allein.“ In den Vereinigten Staaten ist kein anderer internationaler Politiker beliebter als die deutsche Bundeskanzlerin.

Wir haben unseren Kaffee ausgetrunken. Anschließend bekomme ich noch eine Führung durch die Kunstsammlung der Botschaft: Christo-Bilder vom verhüllten Reichstag, Pop Art von Andy Warhol, Collagen von Robert Rauschenberg. Sol LeWitts Wandgemälde mit farbigen fünfzackigen Sternen ist sogar von der Straße aus sichtbar.

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