Ganz leicht muss es nicht sein

zu Stefan Berger, Die SPD und die Erneuerung der sozialen Demokratie, Berliner Republik 2/2013

Es gibt Sätze, die erscheinen derart selbstverständlich, dass sie ihre politischen Konsequenzen hinter sich verbergen. Die zentrale These von Stefan Bergers Beitrag „Die SPD und die Erneuerung der sozialen Demokratie“ gehört dazu. Berger hat Recht: Die Sozialdemokraten müssen ein konstruktives Verhältnis zu sozialen Bewegungen herstellen, um in Zukunft als Motor des sozialen, ökologischen und demokratischen Fortschritts zu fungieren. Gelingen wird dies freilich nur, wenn sich die Vertreterinnen und Vertreter der Partei einige Punkte klar machen.

Soziale Bewegungen – insbesondere ihre wenig institutionalisierten Teile – werden stets auf ihre Unabhängigkeit und Überparteilichkeit achten. Der wichtigste Grund dafür ist nicht einmal, dass die Enttäuschung über die Agenda-Politik von Rot-Grün und die verpassten Chancen zu einer sozial-ökologischen Reformpolitik noch immer tief sitzt. Es ist auch nicht der verständliche Unwille, sich für den Wahlkampf einer Partei einspannen zu lassen. Entscheidend ist vielmehr die Erkenntnis vieler Aktivisten, dass sie nicht notwendig auf SPD und Grüne angewiesen sind, um politisch etwas zu erreichen.

Ob der Atomausstieg nach Fukushima, die Zurückhaltung beim Fracking oder die Einführung der Luftverkehrsabgabe – die gegenwärtige Legislaturperiode zeigt: In einem instabilen elektoralen Umfeld lassen sich progressive Forderungen auch unter einer schwarz-gelben Regierung durchsetzen. Wer es schafft, hör- und sichtbare Proteste zu Themen zu mobilisieren, die breite öffentliche Unterstützung genießen, kann selbst eine bürgerliche Regierung zu Kehrtwenden bewegen.

Für Sozialdemokraten ist es daher nicht bloß taktisch, sondern vor allem politisch sinnvoll, tragfähige Beziehungen zu sozialen Bewegungen aufzubauen und regelmäßig progressive Themenbündnisse einzugehen. Die tiefere Ursache dafür liegt in der ständig wachsenden Macht von Unternehmen und von ihnen finanzierter Think Tanks und Dachorganisationen. Wenn die SPD Politik gegen die Interessen dieser Konzerne und die mit ihnen verflochtenen Eliten durchsetzen will, braucht sie die Unterstützung sozialer Bewegungen bei der Mobilisierung der öffentlichen Meinung, um ihre Forderungen zu untermauern.

Nicht zuletzt diese Unterstützung fehlte 1998/99, als die Pläne des damaligen Finanzministers Oskar Lafontaine zur Regulierung der Finanzmärkte schon im Ansatz scheiterten. Die Folgen davon sehen wir heute. Als dann wenige Jahre später mit der globalisierungskritischen Bewegung endlich ein potenzieller Partner die Bühne betrat, war die SPD fest im Griff von Politikern, die lieber mit den ökonomischen Eliten paktierten als mit sozialen Bewegungen. Der Fairness halber sei erwähnt, dass es bei den Grünen damals nicht viel besser aussah.

Doch die vergangenen Jahre geben in dieser Hinsicht Anlass zur Hoffnung. In Fragen des Atomausstiegs haben sich SPD und Grüne zuletzt als Teil der Anti-Atom-Bewegung verstanden und an deren Protesten nicht nur teilgenommen, sondern aktiv für sie mobilisiert. Das gemeinsame – und erfolgreiche – Aufbegehren gegen das ungerechte Steuerabkommen mit der Schweiz bietet gar eine Blaupause dafür, wie der Widerstand inner- und außerhalb des Parlaments ineinandergreifen kann – selbst gegen die Partikularinteressen ökonomischer Eliten. Ähnliches könnte sich in den Debatten zur Begrenzung von Mietpreissteigerungen und der Einführung der Vermögenssteuer wiederholen. Dass die Parteien diese Themen nun jedenfalls auf die Wahlkampfagenda setzen, ist wohl weder der SPD abträglich, noch erzürnt es Aktivisten.

Für die nächsten Jahre scheinen mir vor allem aus zwei Themenfeldern anschlussfähige Zukunftsprojekte für Sozialdemokraten und sozialen Bewegungen zu erwachsen. Zum einen sind das all jene Maßnahmen, die die Macht der ökonomischen Eliten zugunsten der Bürger zurückdrängen: ein verpflichtendes Lobbyregister, das Verbot von Sponsoring und Firmenspenden für Parteien, die Schaffung einer Karenzzeit für den Wechsel von der Politik in einen Lobbyverband. Für manchen mag es heute weit entfernt erscheinen, dass die SPD solche Forderungen nicht nur als Opposition gutheißt, sondern als zukünftige Regierungspartei auch energisch in die Tat umsetzt. Dennoch liegt jede Initiative, die das Primat der Politik gegenüber der Macht der Wirtschaft zurückerobert, im ureigenen Interesse jeder sozial orientierten Partei.

Zum zweiten wird das Verhältnis zu vielen, bislang nur lose organisierten Aktiven vom Willen der Sozialdemokraten abhängen, sich für eine moderne Netzpolitik einzusetzen oder nicht. Selbst wenn die Piraten untergehen sollten, so haben ihre bisherigen Erfolge doch gezeigt, dass die Menschen ein realistisches Urheberrecht und den diskriminierungsfreien Transport von Inhalten im Netz als Fragen der Gerechtigkeit begreifen. Sicher, auch diese Themen werden in einer Volkspartei nicht unumstritten bleiben – und bisher scheinen die Skeptiker in der SPD noch die Oberhand zu haben. Doch wenn Stefan Berger eines in aller Deutlichkeit zeigt, dann dies: Ganz einfach war es für Sozialdemokraten nie, effektive Bündnisse mit progressiven sozialen Bewegungen einzugehen. Aber gelohnt hat es sich immer.

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