Zuversicht und Aufbruch

Die SPD kann die Bundestagswahl gewinnen - wenn sie mit zukunftsgerichteten Themen die öffentliche Debatte im Land dominiert. Und der ewigen Versuchung widersteht, über längst vergangene Entscheidungen mit sich selbst zu hadern

Ein guter Start in das Superwahljahr sieht anders aus. Drei Landtagswahlen gingen für die SPD verloren. War die Niederlage im Saarland aufgrund der hohen Popularität von CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer noch erwartbar gewesen, traf dies für Schleswig-Holstein und vor allem in Nordrhein-Westfalen nicht zu. Dort war die SPD von einer klaren Bestätigung für Torsten Albig und Hannelore Kraft ausgegangen. Dass es am Ende deutlich anders kam, lag wohl vor allem an hausgemachten Fehlern – teils im Wahlkampf, teils an einer inhaltlichen Schwäche auf zentralen Feldern der Landespolitik, wie Bildung und innere Sicherheit.

Wenn Angst herrscht, profitiert die CDU

Zugleich gelang es der Merkel-Union, die nach dem Überraschungscoup von Sigmar Gabriel, dem starken Start von Martin Schulz und der Wahl von Frank-Walter Steinmeier zum Bundespräsidenten nahezu paralysiert gewesen war, strategisch erfolgreich zurückzuschlagen. Dabei setzte die CDU auf das Thema innere Sicherheit. Mit Beiträgen zu Leitkultur und Cyberkriminalität befeuerte Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Debatte und lenkte damit geschickt vom eigenen Versagen in den Fällen Anis Amri und Franco A. ab. Dabei setzte die Union weniger auf überzeugende Lösungen als auf Emotionen. Es wurde über innere Sicherheit gesprochen und damit innere Unsicherheit erzeugt. Bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen beherrschte das Thema über mehrere Wochen die Berichterstattung der Medien und die Talkshows. Damit setzte die CDU erfolgreich auf einen einfachen Mechanismus vergangener Wahlen: Debatten über Unsicherheit im Land erzeugen Angst – und wenn die Leute Angst haben, dann wählen sie die CDU. Der SPD gelang es in dieser Zeit nicht, der geschürten Angst mit eigenen Botschaften zu begegnen und diesem Klima Zukunftsoptimismus und Zuversicht entgegenzusetzen.

Will die Partei am 24. September noch eine Chance auf den Wahlsieg haben, wird aber genau das nötig sein. Die SPD und ihr Kanzlerkandidat Martin Schulz müssen die Vorherrschaft über Themen und Botschaften zurückgewinnen. Das kann nur gelingen, wenn wir Diskussionen stets zukunftsgerichtet führen, anstatt vergangene Debatten neu aufzuwärmen.

Das gilt besonders für Diskussionen über die Arbeitsmarktpolitik. Gewinnen können wir, indem wir zeigen, dass wir neue Antworten auf aktuelle Herausforderungen suchen. Dazu gehören veränderte Anforderungen durch die Arbeit 4.0, veränderte Rollenmodelle von Frauen und Männern, mehr Zeit für Familie und Privatleben für beide Elternteile, die Unterstützung junger Familien, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch flexiblere Arbeitszeiten sowie sichere und bezahlbare Renten auch für unsere Kinder und Enkel.

Verlieren werden wir hingegen, wenn die öffentliche Debatte auch in den kommenden Wochen durch Botschaften der inneren (Un-)Sicherheit dominiert ist oder wir auf unserem ureigenen Feld der sozialen Gerechtigkeit für neue Irritation sorgen, indem wir beispielsweise die Diskussionen um die Agenda 2010 wieder entfachen, wie das vor einigen Wochen der Fall war. Eine derart nach hinten gerichtete Debatte schadet uns, weil sie alte Wunden aufreißt und unsere potenzielle Wählerschaft spaltet. Sie verunsichert diejenigen, die die Agenda für richtig halten und nun Zweifel an der Stetigkeit der SPD haben. Sie sorgt aber auch bei denen für Unsicherheit, die vielleicht wieder SPD wählen wollen, aufgrund der Agenda jedoch an uns zweifeln.

Die Debatte um die Agenda 2010 ist deshalb für uns eine Falle. Unsicherheit und Angst treiben die Wählerschaft der Union und den Rechtspopulisten in die Arme. Gleiches gilt auch für Unsicherheit in Bezug auf den Arbeitsmarkt. Deswegen sollten wir Veränderungen der Arbeitsmarktpolitik immer nach vorne diskutieren und nicht rückwärtsgewandt als Korrekturen der Agenda oder gar als Fehler. Vor allem in der Arbeitsmarktpolitik stellen sich heute neue Herausforderungen: Zum einen aufgrund des demografischen Wandels, in dessen Folge die Erwerbsbevölkerung älter wird, und zum anderen aufgrund der Digitalisierung, die zu völlig neuen Arbeitsweisen führt und Arbeitsplätze sowie Anforderungen an die Qualifikationen der Beschäftigten radikal verändert. Darauf muss die Politik Antworten geben, denn Betriebe und Beschäftigte werden das nicht allein bewältigen.

Es geht um Arbeit und Qualifizierung

Vor allem wird es darauf ankommen, die sich immer schneller wandelnden Anforderungen an Qualifizierung rechtzeitig zu erfassen, die Beschäftigten für Qualifizierung zu motivieren und diese handfest sicherzustellen. In diesem Sinne ist auch der Vorschlag von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles zu verstehen, die Bundesagentur für Arbeit zu einer Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung weiterzuentwickeln. Die Aufgaben der Agentur für Arbeit werden daher künftig vor allem im präventiven Bereich liegen: Sie soll Beschäftigte unterstützen sowie Qualifikationsverluste und Arbeitslosigkeit verhindern.

Zugleich betreuen heute nicht mehr die Agenturen für Arbeit, sondern die Jobcenter die Mehrzahl der Arbeitslosen, und genau dort sind die Herausforderungen am größten, die noch verbliebene Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Diese ergeben sich aus Langzeitarbeitslosigkeit und umfassenden Problemen, die weit über mangelhafte Qualifikationen hinausgehen und das gesamte persönliche und soziale Umfeld der Betroffenen, die familiäre Situation und vor allem gesundheitliche Aspekte betreffen. Hier bedarf es weiterer Kraftanstrengungen, um das Förderversprechen des SGB II einzulösen und den Arbeitslosen die umfassende individuelle Unterstützung zukommen zu lassen, die sie brauchen. Zudem gilt es, Teilhabe durch Arbeit auch für diejenigen sicherzustellen, die trotz bestmöglicher Förderung keine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt haben.

Der Wandel kommt – wir gestalten ihn

Der Anspruch sozialdemokratischer Politik muss es sein, die Zukunft besser zu machen als die Vergangenheit. Der Wille, die bereits begonnenen und noch vor uns liegenden gesellschaftlichen Veränderungen zu gestalten, ist in der sozialdemokratischen Politik vorhanden. Diesen positiven Gestaltungsanspruch müssen wir in unserem Wahlkampf verdeutlichen. Das sind dabei unsere Kernbotschaften:

 — Wir stellen heute die Weichen dafür, dass Wachstum und Beschäftigung auch morgen möglich sind, indem wir in die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft, in Infrastruktur und Köpfe investieren.

 — Wir machen die Rente auch für die kommenden Generationen sicher und bezahlbar und sorgen für einen neuen Generationenvertrag.

 — Wir sorgen für Zusammenhalt in der Gesellschaft, in dem wir Geringverdiener, mittlere Einkommen und vor allem Familien entlasten.

 — Wir wollen den Menschen nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben, sondern ermöglichen unterschiedliche Lebensentwürfe. Neben einer besseren finanziellen Unterstützung benötigen Familien mehr Zeit füreinander. Deshalb nutzen wir die Chancen der Digitalisierung, um den Beschäftigten mehr Selbstbestimmung bei der Arbeitszeit zu ermöglichen.

 — Wir wollen die Beschäftigten bei den Veränderungsprozessen in der Arbeitswelt unterstützen. Deshalb machen wir den Sozialstaat zu einem Partner der Beschäftigten, der sie auf bevorstehenden Wandel schon während der Beschäftigung vorbereitet. Dies gilt für Qualifizierung wie für Gesundheit.

 — Wir wollen Teilhabe auch für diejenigen sicherstellen, die aus dem Arbeitsleben herausgefallen sind. Deshalb wollen wir Langzeitarbeitslose individuell und passgenau unterstützen und für diejenigen, die trotzdem keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, Teilhabe durch einen sozialen Arbeitsmarkt sicherstellen.

 — Wir gestalten Globalisierung in einer starken, handlungsfähigen und sozialen Europäischen Union.

Mit Merkel ohne Plan ins Ungewisse?

Für die SPD sind Digitalisierung, Globalisierung und der demografische Wandel keine Schreckgespenster, die wir zu bekämpfen haben. Mit durchdachten Konzepten und dem nötigen Mut, diese auch zu verwirklichen, können wir ihre Chancen nutzen. Es geht darum, den Wandel im Interesse der Bürger in Deutschland und Europa zu gestalten.

Die SPD kann gewinnen, wenn klar wird, dass das Land einen Aufbruch braucht und dass es diesen nur mit ihr und mit Martin Schulz geben kann. Merkels CDU hat keinen Plan für die Zukunft unseres Landes. Sie hat keinen Plan für die Zukunft unseres Europas. Das ist eine große Chance für uns.

Wir müssen es schaffen, klare Botschaften zu setzen, die bei der potenziellen Wählerschaft der SPD positiv besetzt sind: Wir müssen über die Gestaltung der Zukunft reden, über die solidarische Gesellschaft von Morgen, über neue Impulse für unser Europa. Wenn wir es schaffen, dass in der Öffentlichkeit über diese Fragen diskutiert wird, kann 2017 doch noch das Jahr der SPD und ihres Kanzlerkandidaten werden.

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