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Wahlkampf im Container und Stimmen im Netz

Sommerreisen sind nichts Ungewöhnliches, Bildungsreisen auch nicht. Doch dass die Bundesgeschäftsführer der großen deutschen Parteien die Schulbank drücken, ist schon überraschend. Dennoch waren Matthias Machnig (SPD), Ruprecht Polenz (CDU) und Reinhard Bütikofer (GRÜNE) diesen Sommer alle in den USA, um zu lernen. Es ist Wahlkampf auf der anderen Seite des Atlantiks, und die Bundesgeschäftsführer begaben sich zum Anschauungsunterricht mitten hinein in den Trubel der amerikanischen Parteitage.

Al Gore und George W. Bush jr. liefern sich eine Materialschlacht sondergleichen. Alles muss neuer, schneller, größer, besser sein, die Kandidaten sind omnipräsent. Dies betrifft selbstverständlich auch das Internet. Waren die Internetauftritte der deutschen Parteien im letzten Bundestagswahlkampf noch ein neues Thema, sind sie in den USA schon ein etablierter Teil der Wahlkampfmaschinerie. Über das Internet bauen die Kandidaten einen Teil ihrer lokalen Unterstützergruppen auf, sammeln Spenden und Ideen, stellen Soundbites und Texte zur Verfügung, verkaufen Merchandisingartikel, lassen diskutieren und fragen.

Infotainment ist Trumpf. Vom Gewinnspiel bis zur leicht verdaulichen politischen Information ist alles dabei. George Bush bietet ein "Daily Trivia" und das "GWB-TV", Al Gore kontert mit dem Kampagnenkindergarten "Just for Kids" und der Internetkamera, Big Brother-artig, direkt in die Wahlkampfzentrale.

Was können, was wollen wir davon lernen? Klar ist, dass auch das Internet eine Fülle an Möglichkeiten bietet Politik zu vermarkten. Wird die Kampa2002Internet-WG mehr "Clicks" haben, als es Bestellungen für das Wahlprogramm der SPD geben wird? Das Informationsmedium Internet wird zum Konsummedium, Politik wird zur Show. Das ist bemerkenswert und bedauerlich, riefen doch viele optimistische Zeitgenossen schon das Zeitalter einer neuen direktdemokratischen Internetgesellschaft aus, als sich die weltweite Verbreitung des Mediums andeutete. Zu früh gefreut?

Es kommt wie immer auch auf die Politik an. Diesmal geht es nicht darum was sie regelt, verbietet und erlaubt, sondern darum, was sie anbietet. Man kann per Internet die Bürgerbeteiligung erhöhen, ohne gleich die repräsentative Demokratie über den Haufen zu werfen. Man kann den Informationszugang für Bürger und Politiker verbessern, ohne den gläsernen Menschen zu schaffen. Man kann neue Öffentlichkeiten schaffen und alte reaktivieren. Die Möglichkeiten scheinen unendlich.

Insbesondere die Parteien sind gefragt, wenn sie mehr als Wahlkampfapparate sein wollen. Ihre Fähigkeit, politische Entscheidungen immer wieder zum Gegenstand gesellschaftlicher Debatten zu machen, ist Voraussetzung der Zivilgesellschaft, in Europa noch mehr als in den USA. Diese Funktion kann dann durch das Internet gestärkt werden, wenn es zur dialogischen Kommunikation genutzt wird. So können neue Partizipationsmöglichkeiten geschaffen werden, indem man Dialoge besser organisiert als nur mit Foren und Chats. Beispiele, was möglich ist, zeigen Communities wie www.dol2day.de oder das elektronische Interview bei www.vorwaerts.de.
Doch das Misstrauen ist groß - und zu recht. Die amerikanischen Wahlkämpfe zeigen, wo der Weg hingehen kann, wenn Vermarktung zum obersten Prinzip von Politik wird. Wenn sich der Stimmenanteil der Parteien anhand der verkauften Tassen des Spitzenkandidaten voraussagen lässt, Schröder und Scharping statt durch die Lande in eine Online-WG ziehen, und sich der Soundtrack zum Wahlkampf an die Spitze der Hitparaden setzt, ist marketingtechnisch alles erreicht.

Trotzdem ist nicht alles schlecht, was die Amerikaner machen. Sie sind im Bereich der Kampagnenorganisation, der Bürgerbeteiligung und Vernetzung von Interessen viel weiter als wir. Denn in Deutschland gibt es erst wenige, die wirklich Ahnung in diesem Bereich haben.

Juri Maier, Geschäftsführer der wegewerk Medienlabor GmbH, einer neugegründeten Politikberatung, die sich auf diesen Bereich spezialisiert hat, ist einer der ersten. "Wir können nicht alles eins zu eins aus den USA übernehmen. Es gibt aber viele Ideen, die wir für den deutschen Markt übernehmen oder weiterentwickeln können. Entscheidend ist, dass man anerkennt, dass unser Politik- und Parteiensystem anders ist als das amerikanische, und wir deshalb andere Wege suchen müssen und wollen."

Tatsächlich gibt es noch ungenutzte Chancen. Das Angebot des Deutschen Bundestages böte zahlreiche Verbesserungsmöglichkeiten. Warum gibt es hier keine Teilnahmemöglichkeiten für politikinteressierte Schülerinnen und Schüler? Vom Computerraum der Schule direkt ins Reichstagsgebäude. Als Schülerzeitungsjournalist Fragen stellen, Politiker begleiten, dabei sein. Viel mehr wäre möglich.

Gleiches gilt für die Parteien. Pressekonferenzen mit von den Bürgern ausgewählten Fragen sind denkbar, genau wie das blitzschnelle Einholen von Meinungsbildern. Und wenn das Angebot richtig überzeugt, müssen auch Spenden nicht mehr in Koffern übergeben, sondern können bequem und gesetzestreu via Internet gesammelt werden. Je mehr Möglichkeiten interessierte Menschen haben Informationen zu bekommen, mitzumachen und zu gestalten, desto wahrscheinlicher, dass sie sich auch im nicht-virtuellen Leben dazu ermutigen lassen - so die Hoffnung.

Die meisten Politiker haben inzwischen begriffen, was der Informationswissenschaftler Rainer Kuhlen von der Universität Konstanz bereits direkt nach dem letzten Wahlkampf feststellte: "Wir haben einigen Grund zur Annahme, dass Wahlen wie das politische Geschehen überhaupt schon sehr bald von denen bestimmt werden, die in der Lage sind, sich der Potentiale des neuen elektronischen Mediums zu bedienen." Seitdem sind zwei Jahre vergangen, Franz Müntefering spricht von der "Online-Partei" und die CDU ernannte einen "Internetsprecher". Die Parteien bahnen sich ihren Weg ins Netz. Wie sie dort ankommen und was die Bürgerinnen und Bürger davon haben, ist längst nicht entschieden.

Wenn jetzt aber "Schulen ans Netz" gehen, und sich immer mehr Menschen am Arbeitsplatz und zu Hause einloggen, sollte man die Möglichkeit nicht verstreichen lassen, Partizipation zu ermöglichen, wirkliche Dialogmöglichkeiten anzubieten und Politikinhalte interessant zu machen. Die "Generation@" kann eine politische Generation werden. Sie muss die richtigen Angebote finden. Dreiwortrhetorik finden wir weiterhin im Fernsehen, Kommentare in der Zeitung. Inhalte und Antworten, nach denen wir individuell suchen, könnten wir im Internet finden.

Die Frage was Machnig, Polenz und Bütikofer aus den USA mitgebracht haben, werden wir spätestens 2002 beantwortet sehen. Bleibt zu hoffen, dass auch sie finden, dass Politik im Internet mehr bedeutet, als wer die meisten Webcams installiert, die meisten Tassen verkauft, oder ob Schröder, Merkel, Fischer oder Möllemann zuerst aus dem Container fliegen.

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