Wo Techno lebt

Tobias Rapp erkundet die Berliner Clubkultur und ihre kreativwirtschaftliche Basis

Schon vor geraumer Zeit verschwand der Rave aus der Wahrnehmung einer breiten Öffentlichkeit. Wenn man von der Techno-Bewegung spricht, dann in der Vergangenheitsform. Verblasst sind die Bilder der Love Parade, die die Einmündung einer karnevalesken Subkultur in den Mainstream der Spaßgesellschaft eindrucksvoll dokumentierten. Aus der großen Strömung der neunziger Jahre ist, so scheint es, ein Rinnsal geworden.

Gegen dieses Niedergangs-Szenario erhebt Tobias Rapp Einspruch. In seinem Buch Lost and Sound führt er den Nachweis, dass die Techno-Kultur in Berlin trotz geringer Oberflächensichtbarkeit sehr lebendig ist. Nach dem Ende des Hypes vor rund zehn Jahren, so eine seiner Kernthesen, habe sich die Szene aus dem Alltag in den Untergrund zurückgezogen und dort erneuert. Nun könnte man meinen, die Rede sei von einem Nischenphänomen, das allenfalls lokales Interesse beanspruchen kann. Doch der Autor, vor kurzem als Popredakteur von der Tageszeitung zum Spiegel gewechselt, belegt überzeugend, dass die Clubs der Hauptstadt durchaus im internationalen Maßstab die kulturelle Wahrnehmung Deutschlands mitbestimmen.

Jede Woche 10.000 Technotouristen in Berlin

Tobias Rapp verbindet subjektive Reportagen aus dem Nachtleben mit analytisch-nüchternen Kapiteln. Auf beiden Ebenen beschreibt er die erstaunliche Anziehungskraft, die Berlin auf DJs, Produzenten und "Easyjetraver" ausübt. Auf rund 10.000 schätzt Rapp " nicht unplausibel " die Zahl der Techno-Touristen, die jedes Wochenende einen der Berliner Flughäfen ansteuern. Als wesentliche Ursache des Booms identifiziert er neben dem Billigfliegertum das Überangebot an Immobilien in der Hauptstadt. Dank der niedrigen Mieten könne sich eine relative egalitäre Clubszene entfalten, die nicht " wie in anderen Metropolen " auf das Luxus- und Promi-Segment abziele.

Man kann Rapps Studie aus verschiedenen Blickwinkeln lesen. Als Berlin-Buch liefert sie zwar keine Anleitung zum Ausgehen, aber einen sehr fundierten Überblick über die Clubs entlang der Spree. Der Verfasser schreibt hier eingestandenermaßen mit der Empathie des Liebhabers, bewahrt sich aber dennoch über weite Strecken eine professionelle Distanz zum Gegenstand. Beobachtungen wie die einer Besucherin, wonach "Techno in Berlin" ja sei "wie Reggae in Kingston Town" zitiert er gleichwohl mit zustimmender Genugtuung.

Rapp geht es nicht um ein Musikbuch, das die Entwicklung von House, Techno und verwandten Genres der elektronischen Musik schildert (obwohl die im Anhang empfohlenen Platten einen vorzüglichen Einstieg bieten). Sein Interesse gilt eher kultursoziologischen Punkten: dem in der "Bar 25" praktizierten Kommunen-Modell ("Hippie de Luxe") oder der nur partiellen Sichtbarkeit der Clubs. Im "Berghain", dem Branchenführer, herrscht zum Beispiel absolutes Fotografierverbot, was neben dem Aspekt der Exklusion auch ein Moment der Gleichheit " die Feier des kollektiven Subjekts ohne Stars " enthält.

Dass es hier auch um allgemeine, nicht bloß Berlin-spezifische Gesichtspunkte geht, wird besonders in den Abschnitten über die Online-Communities deutlich. Rapp zeichnet nach, wie "eine authentische lokale Subkultur ... in globalen Netzwerken von sich reden" macht. Dabei ergibt sich ein guter Einblick in die Struktur einer popkulturellen Öffentlichkeit, die sich über das Internet mit nahezu globaler Reichweite herstellt. In den einschlägigen Foren trifft man beispielsweise den 17-Jährigen aus Toronto, der noch nie in Europa war, aber alles über die aktuellen Vorlieben der DJs in seinem Sehnsuchtsort "Berghain" weiß. Es zählt zu den interessanten Seiten des Buches, dass es den oft in genereller Form bemühten Begriff der Glokalisierung am Beispiel der Berliner Clubkultur fassbar macht.

Lost and Sound ist kein politisches Buch im engeren Sinne. Der Hinweis auf die asymmetrische Wahrnehmung der Techno-Kultur " in Deutschland kaum, im Ausland hohe Aufmerksamkeit " ist dennoch für Kulturpolitiker relevant. Rapp nimmt zudem die Kommunal- und Wirtschaftspolitik in den Blick und argumentiert, dass das gegenwärtige Florieren einer mittelständischen Clubkultur nur auf der Basis des Scheiterns von umfassenden Stadtentwicklungsplanungen der Neunziger möglich war. Er schildert durchaus differenziert, wie sich die Kritik der großen Entwürfe in einem Bürgerentscheid gegen den Bebauungsplan für das Spreeufer manifestierte. Dass sich der "MediaSpree"-Entscheid in gewisser Weise auf die Frage "Clubland oder Investorengebiet?" zuspitzte, mag den spezifischen Bedingungen in Berlin geschuldet sein. Gleichwohl lassen sich der Analyse dieses Falls auch jenseits der hauptstädtischen Befindlichkeiten einige Aufschlüsse zum Verhältnis von hedonistisch orientierter Off-Kultur und institutionalisierter Politik entnehmen.

Nicht zuletzt aus einem kreativwirtschaftlichen Blickwinkel lohnt sich die Lektüre. Rapp beschreibt den Wandel von Plattenlabels, die in Zeiten eines krisenhaften Tonträgermarktes Bestandteil einer Selbstvermarktungsstrategie von DJ- und Produzententeams werden. Er erklärt zudem, wie bestimmte Plattenläden trotz der Krise ihre kulturelle und ökonomische Funktion behalten, weil sie ein spezialisiertes Segment bedienen. Teil der Betrachtung sind auch die Verflechtungen zwischen Clubkultur, Mode, Tourismus und Technologie: Mit DJ-Software aus Berlin werden inzwischen auch Gottesdienste in den Vereinigten Staaten gestaltet.

Was die Clubs selbst angeht, zieht der Autor ein optimistisches Fazit: "Mit ein wenig Willen zur Idealisierung könnte man sagen: Die House- und Technoszene von Berlin hat die guten Seiten einer Independent-Kultur " ökonomische Unabhängigkeit, künstlerische Integrität, Kompromisslosigkeit " bewahrt und die schlechten, also verkürzte Kapitalismuskritik, Idealisierung der Selbstausbeutung und Unprofessionalität einfach weggelassen." In Zeiten der globalen Finanzkrise ist das kein schlechtes Resümee.

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