Wir reden vom Wetter

EDITORIAL

Den Menschen in Deutschland fällt es auf überraschende Weise schwerer als vielen anderen, sich in der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts zurechtzufinden. Allemal gilt das für die Wohlstands- und Wohlfahrtsgenerationen der verblichenen Bonner Republik. So sehr ist dieses Land zurzeit damit beschäftigt, das bevorstehende Ende des Grundrechts auf Eigenheimzulage und Frührente zu beklagen, dass den allermeisten gar nicht mehr auffällt, dass out there, jenseits unserer Grenzen, noch ganz andere Dinge im Gange sind. So unendlich viel Zeit vertun wir mit unseren hermetischen Rückzugsdebatten darüber, ob ein alterndes Land wie Deutschland nicht irgendwie doch mit immer weniger Arbeit und ohne neue Ideen über die Runden kommen könnte, dass wir überhaupt nicht mehr merken, was noch so alles Einfluss darauf hat, wie wir in Zukunft leben werden.

Alle reden vom Umbau unserer Republik (oder davon, wie er doch noch schlau vereitelt werden könnte); wir hingegen nehmen uns zur Abwechslung die Freiheit, über die Zusammenhänge zwischen drohendem Klimawandel, rasch schwindenden Energiereserven und globalem Terrorismus nachzudenken. Sehr anregend ist der Disput zwischen Jürgen Krönig und Hans-Jochen Luhmann über Beweislast und Beweislage in der klimapolitischen Diskussion; überaus eindringlich fällt Georg Heils konzise Analyse über das unmittelbar bevorstehende Ende jener "Welt aus Erdöl" aus, die uns derzeit noch so selbstverständlich vorkommt. Deutlich wird vor allem eines: Es ist vorbei. Unsere Zukunft wird sehr anders sein - und ganz sicher nicht immer nur bequem.

Umso wichtiger ist es da, schon heute die Weichen dafür zu stellen, dass diese Gesellschaft den im Ernst ja überhaupt erst bevorstehenden Wandel bewältigen kann. Hier sind wir dann doch wieder mitten in den aktuellen Reformdebatten - aber vorwärts gewandt, gerade nicht sehnsuchtsvoll (und von vornherein vergeblich) das Alte oder gerade Vergehende verteidigend. Welche Erneuerung wir brauchen und wie sie sich mit Erfolg organisieren lassen könnte, davon handeln - neben weiteren - die Beiträge von Frank-Walter Steinmeier, Matthias Platzeck, Paavo Lipponen und Toralf Staud in diesem Heft; davon handelt im Übrigen auch Thomas Falkners höchst instruktiver Essay über die Perspektiven der Linken in Deutschland.

Den Wandel in die richtige Bahn lenken will diese Zeitschrift auch mit ihrer jüngst angelaufenen Veranstaltungsreihe Berliner Republik Innovationsdialoge. Am 30. Juni diskutierten in der Britischen Botschaft 180 Experten und Interessierte über die Aussichten und Risiken der Nanotechnologie. Weitere Gesprächsrunden zu den Themen E-Health, Mobilität und Telekommunikation werden nach der Sommerpause folgen. Vielleicht wird nicht gleich alles neu und gut. Aber spannend bleibt es allemal.

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