Wir rauchen uns zu Tode

zu Rolf Stöckel, Wir regulieren uns zu Tode, Berliner Republik 2/2007

Natürlich habe ich als Drogenbeauftragte der Bundesregierung eine andere Meinung zur Frage des Nichtraucherschutzes als mein Kollege Rolf Stöckel. Außerdem, nicht völlig überraschend, bin ich Nichtraucherin. Das soll nicht heißen, dass ich Genuss grundsätzlich ablehne. Ein gutes Glas Wein weiß ich sehr wohl zu schätzen. Doch wer mit dem Argument der Überregulierung gegen ein Rauchverbot kämpft, der setzt die falschen Prioritäten. Denn nicht Regulierung tötet, sondern Rauchen. Deshalb ist Regulierung sinnvoll, wenn wir durch sie Leben retten und die Gesundheit der Menschen schützen können.

Wo genau ist Regulierung nötig?

Prinzipiell hat Rolf Stöckel ja Recht: Wir normieren zu viel, wir normieren jeden Lebensbereich. Andererseits wird genau diese Normierung aber laufend gefordert. Kein Tag vergeht ohne Ruf nach einem Spezialgesetz, am besten für den Einzelfall. Deshalb wäre beim Nichtraucherschutz eine ganz einfache Lösung denkbar: Wir führen ein totales Rauchverbot ein, ohne Wenn und Aber. Niemand in Deutschland dürfte mehr rauchen, nirgendwo. Weil das allerdings so niemand will, kommen wir um eine differenzierte Regelung nicht umhin. Die Antwort auf zu viel Regulierung kann nicht heißen, dass überhaupt nicht mehr reguliert wird. Stattdessen sollten wir genau überlegen, wo Regulierung wirklich nötig ist.

Rolf Stöckels gute Beispiele für Vorschriftenwahn und übertriebene Eingriffe des Staates in die Freiheit des Einzelnen sollen provozieren. Eine amerikanische Arbeitsagentur untersagt den Arbeitsuchenden, am Arbeitsplatz Witze zu erzählen: auf diese Weise soll möglicher Diskriminierung von vornherein vorgebeugt werden. So weit darf und soll es in Deutschland tatsächlich nicht kommen. Rolf Stöckel spricht in diesem Kontext von „missionarischen Ideen“; ich möchte das Wort Ideologie verwenden. Ideologie verhindert, den Einzelfall zu sehen.

Nehmen wir Rolf Stöckels Beispiel der Kopftuchdebatte: Die ideologische Annahme, ein Kopftuch sei automatisch Ausdruck verfassungsfeindlicher Gesinnung oder Unterdrückung, hindert uns daran, den Unterschied zu erkennen zwischen einer frei bestimmenden, sich zu ihrer Religion bekennenden Muslima und einer Frau, die zum Tragen der Kopfbedeckung gezwungen wird.

Beim Nichtraucherschutz hingegen ist keineswegs Ideologie im Spiel. Vielmehr geht es hier um den Schutz derer, die ihn brauchen und sich nicht selbst schützen können. Raucher, die sich mit Kritik an mich wenden, tun oft so, als würden ihre Rechte zu Gunsten der Nichtraucher eingeschränkt, als würden sie benachteiligt und andere bevorzugt. Es fehlte nicht viel und sie beriefen sich auf den Gleichheitsgrundsatz: Wenn einer das Recht zum Nichtrauchen hat, dann doch wohl auch zum Rauchen!

Warum es den Jugendschutz gibt

In Wirklichkeit bewirkt der Nichtraucherschutz zugleich den Schutz der Raucher. Rolf Stöckel hat das Gegenargument vieler Raucher auf den Punkt gebracht: „Ich kann das selbst kontrollieren. Ob ich mich gefährde, entscheide nur ich selbst.“ Ein weiteres gebräuchliches Argument lautet: „Solange ich niemand anderen gefährde, kann ich tun und lassen was ich will.“ Doch wenn dieses Argument gelten soll, dann müssten wir viele Dinge gestatten, die bislang verboten sind. Wir müssten den Jugendschutz abschaffen. Wir müssten Deutschlands Fußgängern erlauben, bei Rot über die Straße zu gehen. Wir könnten uns den gesamten Verbraucherschutz schenken. Wozu den Bürger schützen? Er kann ja selbst entscheiden.

Warum schaffen wir die ganzen Schutzvorschriften also nicht einfach ab? Ganz einfach: weil der Einzelne manchmal auch vor sich selbst geschützt werden muss. Kinder unter 16 Jahren können eben oft nicht selbst beurteilen und selbst entscheiden, wie viel Alkohol sie vertragen. Täglich werden Menschen überfahren, die bei Rot über die Straße gehen, weil sie eine Situation im Straßenverkehr falsch einschätzen. Genau deshalb gibt es ein Jugendschutzgesetz und eine Straßenverkehrsordnung.

Die Raucher vor sich selbst schützen

Beim Rauchen ist es ähnlich. Jeder weiß: Rauchen ist schädlich. Selbst die Zigarettenindustrie räumt es ein. Doch Rauchen ist eine Sucht, und von einer Sucht kommt nicht jeder alleine los. Führt sich der durchschnittliche Raucher wirklich vor Augen, dass jede einzelne Zigarette sein Leben verkürzen kann? Ist es ihm tatsächlich vollkommen egal, ob er seine Umwelt und andere Menschen mit seinem Zigarettenrauch gesundheitlich schädigt? Oder sind nicht doch diejenigen Raucher in der Mehrzahl, die gerne aufhören würden, es aber einfach nicht schaffen; die wissen, dass jede Zigarette statistisch gesehen ihr Leben verkürzt, aber hoffen, es werde schon nicht sie treffen.

Wo also liegt die Grenze? Wo müssen wir schützen und wo können wir die Bürger frei entscheiden lassen, sich selbst zu schädigen? Und wie viele Raucher gibt es, die sich zunächst für das Rauchen entscheiden, und die Folgen bewusst in Kauf nehmen – sich später jedoch wünschen, sie hätten rechtzeitig aufgehört oder man hätte sie vor sich selbst geschützt?

Nun fordert Rolf Stöckel ja gar nicht, das Rauchen überall freizugeben. Im Gegenteil, er befürwortet ausdrücklich ein Rauchverbot in öffentlichen Räumen und den Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz. Die privatwirtschaftlichen Betreiber von Restaurants und Kneipen hingegen sollen, so Stöckel, „selbst entscheiden, wie sie Nichtraucher schützen und Rauchern den Tabakgenuss gewähren“. Schließlich stehe es jedem Gast und jedem Arbeitnehmer frei, zu rauchen oder sich Rauch auszusetzen. Ein Rauchverbot in Gaststätten, Kneipen und Restaurants gehöre daher in die Abteilung „Regulierungswahn von Gutmenschen“.

Ich frage mich, wo Rolf Stöckel den Unterschied zieht zwischen dem Arbeitnehmer im Büro (für den er einen rauchfreien Arbeitsplatz befürwortet) und dem Arbeitnehmer in der Gastronomie. Soll der Kellner nur noch in den rauchfreien Räumen arbeiten und sich weigern, den Raucherraum aufzusuchen? Dieses Verhalten wird wohl weniger mit einem tief durchatmenden Kellner, sondern mit der Kündigung enden. Nein, auch die Arbeitnehmer in den Gaststätten müssen wir schützen.

Das Hinterzimmer als Nichtraucherraum

Und dann sind da ja auch noch die anderen Gäste. Die sollen eben, so könnte man argumentieren, rauchfreie Restaurants besuchen und sich in rauchfreien Räumen aufhalten. In großen Städten wie Berlin, München oder Hamburg mag das sogar funktionieren – der Markt ermittelt den Bedarf. Leider sagt mir meine Erfahrung, dass rauchfreie Kneipen und Nichtraucher nicht immer zusammen kommen. Der Bedarf an rauchfreien Cafés ist selbst in Großstädten höher als das Angebot. Ganz zu schweigen von Kleinstädten und Dörfern: Wie soll eine solche Regelung funktionieren, wenn es in einem Ort nur zwei Gaststätten gibt? Hier lässt sich ein Argument vieler Raucher wunderbar gegen sie selbst wenden: Demnach würden überwiegend Raucher viel ausgehen. Nicht von ungefähr haben mir schon zahlreiche Wirte bestätigt, dass sie ihr Restaurant nicht als „Nichtraucherrestaurant“ deklarieren würden, weil sie um ihre Kundschaft fürchten – sogar die Wirte, die selbst unter dem Rauch leiden. Sie haben pure wirtschaftliche Existenzangst. Sind diese Menschen nicht schutzwürdig?

Natürlich, da wäre noch die Idee von dem abgetrennten und „luftdicht verschlossenen“ Hinterzimmer, das es in vielen Gaststätten bereits gibt. Ich darf polemisch werden: Im Zweifelsfall wird der hintere Raum das Nichtraucherzimmer werden. Selbst wenn die Belüftung funktioniert, habe ich mich dann nach viermaligem Passieren des Raucherzimmers so viel Rauch ausgesetzt, dass der Rauch in meiner Kleidung noch bis zum nächsten Morgen zu riechen ist. Und davon abgesehen: Wie soll überhaupt in Einraumkneipen ein Raucherzimmer eingerichtet werden?

Nichtraucher beeinträchtigen Raucher nicht

Um Missverständnissen vorzubeugen: Gäbe es eine Regelung, die den Schutz aller genannten Gruppen verspricht, könnte es in der Gastronomie meinetwegen eine Ausnahmeregelung für Raucherräume geben. Die Bundesländer versuchen sich ja derzeit daran, derartige gesetzliche Formen zu finden. Doch dürfen die Regelungen nicht dazu führen, dass faktisch alles beim Alten bleibt. Die Erfahrungen aus dem Ausland zeigen: Je weniger Ausnahmen und je klarer der Nichtraucherschutz, desto weniger Wettbewerbsverzerrungen und damit Umsatzrückgänge erleidet die Gastronomie und desto größer ist die Akzeptanz – und zwar auf Seiten der Nichtraucher und der Raucher. Übrigens ist jede Ausnahmevorschrift eine Regulierungsvorschrift mehr.

Minderheitenschutz, wie ihn Rolf Stöckel fordert, muss auch der Schutz von nicht rauchenden Minderheiten sein. Auch sie müssen die Freiheit haben, sich überall zu bewegen und überall hin auszugehen. Der Schutz des Einzelnen und seiner Freiheiten endet dort, wo die Freiheiten anderer durch eigenes Handeln beeinträchtigt werden. Ein Nichtraucher, der ausgeht, beeinträchtigt nicht den Raucher – der Raucher jedoch den Nichtraucher am Nebentisch sehr wohl. Auf diesen Unterschied kommt es an.

zurück zur Ausgabe