Wie viel Hass ist erlaubt?

"Hate Speech" im Internet hat massiv zugenommen. Doch die Möglichkeiten, rechtlich dagegen anzugehen, sind begrenzt. Die Demokratie muss manch üblen Kommentar aushalten. Aber wo verläuft die Grenze?

„Hate Speech“ – über dieses Thema wird in Deutschland seit der Flüchtlingskrise intensiver debattiert als je zuvor. Mit dem Begriff gemeint sind hasserfüllte Kommentare und Postings in den Online-Medien, die sich zum Beispiel gegen Flüchtlinge, Flüchtlingshelfer, Politiker oder auch Journalisten richten. Bundesjustizminister Heiko Maas richtete Ende 2015 sogar eine „Task Force“ ein, um gemeinsam mit Unternehmen und Nicht-Regierungsorganisationen nach Strategien gegen die Hassbotschaften zu suchen.

Das ist keine einfache Aufgabe, schließlich ist das Internet ein dezentrales, anonymes und zudem extrem dynamisches Medium. Wie lässt sich der Masse an Hasskommentaren Herr werden? Was tun, wenn die Verfasser nicht ausfindig zu machen sind? Und wie können andere Nutzer dazu animiert werden, sich zu wehren und Gegenreden (counterspeech) zu schreiben?

Von Tellerminen und Schießbefehlen

Eine weitere wichtige Frage lautet, in welchen Fällen Inhalte derart extrem sind, dass sie gelöscht werden sollten. Die radikale Art und Weise, in der die Diskussionen online geführt werden, ist längst zu einem eigenen Thema geworden. Es geht um die Frage, wie abweisend, wie rassistisch, wie hasserfüllt Bilder und Texte sein müssen, bevor man sie aus dem Netz entfernt.

Wie soll beispielsweise mit einem Kommentar umgegangen werden, dessen Verfasser sich Tellerminen an den Grenzen wünscht, der gerne den „Schießbefehl“ erteilen würde oder der vorschlägt, Grenzzäune nicht nur hochzuziehen, sondern auch noch unter Strom zu setzen? Und was ist mit dem Nutzer, der ein Brettspiel „Schiffe versenken mit Flüchtlingsbooten“ vorschlägt, versehen mit einem Smiley, und der dafür viel Zuspruch erntet?

Wer die Werteordnung unseres Grundgesetzes teilt, wird solche Aussagen verurteilen und sich darüber empören. Es macht fassungslos, welche Ignoranz, welcher Hass in den Internetforen und sozialen Medien zutage tritt. Aber welche Maßstäbe legen wir an, wenn es darum geht, Kommentare zu löschen oder gar strafrechtlich zu verfolgen?

Moral ist das eine, das Recht etwas anderes

Klar ist: Schwarz-Weiß-Denken dient der Sache nicht. Im Gegenteil, schert man alles Unerwünschte über einen Kamm, vermischt man Geschmackloses mit Verbotenem, macht man sich angreifbar, weil man ebenso pauschalisiert wie die Gegenseite. Schon sind Vorwürfe der Heuchelei zu hören. Vorwürfe gegen jene, die sich gegen den Hass stark machen: Man messe mit zweierlei Maß. Dieselben Mittel, die auf der Linken durch den Zweck geheiligt seien, würden sofort mit Forderungen nach Verboten und Strafen versehen werden, wenn das rechte Lager sie verwendet. Dieser Vorwurf der Bigotterie ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die eine Diktatur des politisch korrekten Mainstreams unterstellen.

Vonnöten ist deshalb zunächst die Trennung von Recht und Moral: Die Frage, wann durch eine Äußerung unser gesellschaftlich konsentiertes Wertesystem verlassen wird, ist wichtig und muss gestellt werden – sie ist aber zu unterscheiden von der Frage, was durch Recht verboten und was erlaubt ist. Soweit die Antworten auf diese beiden Fragen in einem krassen Gegensatz stehen, ist darüber zu diskutieren, ob die Gesetze ausreichen oder ob der Gesetzgeber eingreifen muss. Dieser hat dann sicherzustellen, dass sich der Wertekonsens in den gesetzlichen Regeln des Zusammenlebens zumindest auf zufriedenstellende Weise wiederfindet. Das Gesetz ist dann das Instrument, um ihn durchzusetzen. Ob ein solch evidenter Gegensatz zwischen Recht und Moral momentan wirklich besteht, ist noch offen.

Wollen wir die bestehenden Gesetze verschärfen, um die, die sich hasserfüllt äußern, härter bestrafen zu können? Das geltende Recht bietet bereits eine Reihe von Verboten, etwa das der Volksverhetzung, um bestimmte Äußerungen abzustrafen und so zu unterbinden. Bereits die Auslegung dieser Vorschrift bereitet aber Schwierigkeiten. Die Meinungen dazu, wann ein Online-Kommentar den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt, gehen auseinander – von den Schwierigkeiten der Rechtsdurchsetzung im teils anonymen Netz ganz zu schweigen.

Unsere Empörung darf nicht dazu führen, dass bestehende Gesetze – und deren Durchsetzung – in der laufenden Debatte keine Rolle mehr spielen. Bei der Frage, was zu löschen ist, und was nicht, müssen sie sogar die Hauptrolle spielen. Manchmal werden bestimmte Kommentare und Postings zähneknirschend hinzunehmen sein – eine gewachsene Demokratie muss dies aushalten, sonst schwächt sie sich selbst schneller, als jeder Hasskommentar dies jemals tun könnte.

Neben der grundsätzlichen Differenzierung zwischen Recht und Moral auf der Ebene der übergeordneten Debatte um Hate Speech bedarf es also der bewussten und konsequenten Anwendung und Auslegung gesetzlich vorgegebener Grenzen. Dabei muss klar sein: Die Werteordnung des Grundgesetzes gilt für jeden gleichermaßen. Paragraf 130 des Strafgesetzbuchs, der die Volksverhetzung normiert, unterscheidet in den allgemeinen Tatbeständen des Absatzes 1 und 2 nicht nach Ideologie. Wenn man nicht aufzeigen kann, dass insofern eine Gleichbehandlung stattfindet, macht man sich angreifbar.

Bei der Frage, was man sagen darf und was nicht, geht es auf beiden Seiten um grundgesetzlich geschützte Güter. Auf der einen Seite steht die Menschenwürde, das Recht auf körperliche Unversehrtheit auch durch die Eindämmung von Hass. Auf der anderen Seite steht die Freiheit der Meinungsäußerung, die ferner dazu dient, Mindermeinungen in der Gesellschaft zu schützen. Dass auf beiden Seiten so viel auf dem Spiel steht, macht eine klare Grenzziehung notwendig. Und nicht nur das: Es schränkt auch die Handlungsmöglichkeiten gegen Hate Speech ein. Wenn Plattformen zur Meinungsbildung genutzt werden, darf sich niemand die Entscheidung, ob etwas zu entfernen ist, leicht machen. In vielen Fällen wird man schnell und eindeutig zur Rechtswidrigkeit kommen – in vielen anderen Fällen aber nicht.

Hass ist immer ein schlechter Berater

In der Argumentation kann ein Verweis auf gesetzliche Grenzen helfen. Sich gegenseitig vorzuwerfen, die Äußerungen des jeweils anderen seien inakzeptabel, populistisch oder heuchlerisch, ist als Statement notwendig, um Position zu beziehen – sie helfen jedoch nur wenig hinsichtlich der Entscheidung, ob etwas verboten ist oder hingenommen werden muss. Wir müssen uns klar sein, worüber wir reden. Geht es darum, eine bestimmte Äußerung moralisch zu verurteilen, sie geschmacklos oder verwerflich zu finden? Oder geht es darum, dass jemand sich auf eine Art und Weise geäußert hat, dass geltendes Recht verletzt wird? Beides ist wichtig, und über beides muss geredet werden.

Hass ist ein schlechter Ratgeber – sei es Fremdenhass, Hass gegen das System, Hass gegen Rechtsextreme oder Hass gegen Pegida. Verboten aber ist er nur dort, wo er einen Straftatbestand erfüllt.

Das lässt eine Bestrafung der Täter zu, so schwierig sie im Internet auch sein mag. In den meisten anderen Fällen wird man sich darauf beschränken müssen, moralisch zu urteilen – nicht mehr und nicht weniger.

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