Wie Pegida und AfD den Terroristen in die Hände spielen

Nichts macht Daesh so zu schaffen wie ein progressives, liberales Europa, in dem Muslime gleichberechtigt leben. Nur wenn wir ihre Logik der radikalen Unvereinbarkeit übernehmen, werden wir den Kampf gegen die Barbaren verlieren

Nach den Anschlägen von Paris bekannte sich, wenig überraschend, Daesh (der selbsternannte „Islamische Staat“) zu den Taten, die am 13. November 129 Menschen das Leben und viele weitere die Gesundheit gekostet haben. In der französischen Hauptstadt waren mindestens sechs einzelne Angriffe erfolgt, die meisten der Toten und Verletzten waren während eines Konzerts der Rockband Eagles of Death Metal in der Konzerthalle Club Bataclan zu beklagen.

Präsident François Hollande reagierte wutentbrannt, sprach von einem „Kriegsakt“ und stellte den Tätern gnadenlose Vergeltung in Aussicht. Daesh hingegen beschrieb das Konzert im Club Bataclan als ein Ereignis, bei dem „hunderte von Götzendienern eine Party der Perversität“ gefeiert hätten. Zugleich warnte die Terrorgruppe Frankreich und seine Verbündeten, sie stünden weiterhin „ganz oben auf der Liste der Ziele des Islamischen Staates“. Der „Geruch des Todes“ werde den Menschen in diesen Ländern nicht mehr aus der Nase weichen.

Die Selbstbezichtigung sowie ein an einem der Tatorte gefundener syrischer Pass heizen seitdem die Wir-gegen-sie-Stimmung an, an der den Daesh-Strategen besonders gelegen ist. Unterstellt man, dass jener Angreifer, der seinen Pass an den Tatort mitnahm und dort verlor, nicht gefasst werden wollte, würde es sich bei ihm um den dümmsten Terroristen aller Zeiten handeln. Aber das ist nicht der Fall. Tatsächlich war der Angriff auf Paris eine der am kompetentesten geplanten Terrorattacken in Europa seit den Madrider Bombenanschlägen im Jahr 2004. Was immer an den Tatorten der Anschläge gefunden wurde, befand sich aus einem ganz bestimmten Grund dort. Daesh will, dass die Welt den betreffenden Täter für einen syrischen Muslim hält, damit möglichst viele Menschen in Europa die Flüchtlingskrise und islamistischen Terrorismus als zwei Seiten derselben Medaille wahrnehmen – obwohl das glatte Gegenteil wahr ist. In ihrem Kampf gegen Extremismus und Daesh stehen Frankreich und Europa jetzt an einem Scheideweg. Angesichts des gegenwärtigen Aufschwungs harter Rechtsparteien und Anti-Einwanderungs-Bewegungen werden die europäischen Regierungen unter Druck geraten, ihre Flüchtlingspolitik und ihren Umgang mit der Syrienkrise neu zu bewerten. Viele Parteien in Europa lehnen die Einwanderungspolitik der Europäischen Union ab. Nach diesem jüngsten Angriff werden ihre Stimmen auf jeden Fall noch lauter werden – sehr zur Freude von Daesh.

»Die Grauzone beseitigen«

In den vergangenen Monaten haben viele Muslime Europas Bereitschaft gelobt, vor dem Krieg in ihrer Heimat fliehende Syrer aufzunehmen – eine Politik, zu welcher der von den Golfstaaten an den Tag gelegte Mangel an Nächstenliebe in krassem Kontrast steht. Doch eine Situation, in der der Westen als rettender Hafen wahrgenommen wird statt als Feind, ist für Daesh alles andere als wünschenswert. Deshalb legt es Daesh systematisch darauf an, sich einen einheitlichen, homogenen Feind zu schaffen, um so die Verbreitung der eigenen Botschaft zu erleichtern und klare Angriffsziele zu definieren.

Ein im englischsprachigen Daesh-Magazin Dabiq erschienener Artikel unter der Überschrift „Die Grauzone beseitigen“ belegt diese Strategie. Darin fordert die Gruppe die Einteilung der Welt in zwei Teile: das Lager des Islam (vertreten durch Daesh) und das Lager des Westens. Damit diese Trennung geschehen kann, ruft der Autor dazu auf, die „Grauzone“ zu beseitigen, in der Muslime und der Westen gegenwärtig koexistieren. Er stellt die Muslime vor die Wahl, entweder in Richtung der „Ungläubigenversion des Islam im Westen“ von ihrer Religion abzufallen – oder in den „Islamischen Staat“ auszuwandern. Das Ziel von Daesh bestehe darin, „die Teilung der Welt voranzutreiben und überall die Grauzone zu zerstören“.

Zweck der Anschläge in Paris war es deshalb nicht allein, die Franzosen in Angst und Schrecken zu versetzen. Vielmehr geht es Daesh ganz gezielt auch darum, im Westen möglichst großen Hass auf den Islam schlechthin und auf alle Muslime zu entfachen, um auf diese Weise dem Ziel, die „Grauzone“ zu beseitigen, näherzukommen. Daesh wünscht sich, dass die wegen ihrer antimuslimischen Agenda berüchtigten rechtsextremen Parteien überall in Europa erfolgreich sind und letztlich die europäische Außenpolitik bestimmen.

Ein Beispiel ist der für seine antimuslimische Ausrichtung bekannte Front National in Frankreich. Erst im vergangenen Monat musste sich Parteichefin Marine Le Pen vor Gericht verantworten, nachdem sie auf der Straße betende Muslime polemisch mit einer Nazi-Invasion gleichgesetzt hatte. In ihren Erklärungen zu den Pariser Anschlägen bezog sich Le Pen denn auch eher auf den Islam als auf Daesh. In einer scharf formulierten Rede behauptete sie, dass Frankreich im Krieg mit dem islamischen Extremismus stehe, dass es seine Grenzen kontrollieren müsse und islamische Länder Frankreichs Feinde seien. Le Pen forderte auch, dass radikale Moscheen geschlossen und radikale Imame aus dem Land geworfen werden müssten.

Das ist genau die Art von Mentalität, die Daesh in Europa an der Macht sehen will. Die Terrororganisation wünscht sich nichts so wenig wie ein progressives, liberales Europa, das Muslimen gegenüber Toleranz an den Tag legt. Das ist der Grund, weshalb Daesh das Zentrum von Paris angegriffen hat, einen der buntesten und liberalsten Orte Frankreichs. Das ist der Grund, weshalb Daesh ganz gezielt ein Rockkonzert und ein Fußballspiel ins Visier nahm, also Veranstaltungen mit überwiegend jungem Publikum.

Daesh braucht die Anti-Islamisten

Daesh will kein Europa, in dem auf Straßen und Plätzen das Banner „Refugees Welcome“ weht. Daesh braucht ein Europa, in dem antimuslimischer Protest den öffentlichen Raum erfüllt. Daesh wünscht sich nichts so sehnlich wie ein Europa, in dem „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ Woche für Woche Hunderttausende von Demonstranten auf die Straße bringen.

Europa darf nicht zulassen, dass dies geschieht. Es darf den Ehrgeiz der Terrororganisation nicht noch weiter anstacheln, indem es Rassisten und Fanatikern das Feld überlässt, die in einem entscheidenden Punkt völlig mit Daesh übereinstimmen: dass die Muslime und der Islam einerseits und Europa andererseits nichts miteinander zu tun haben dürften und je für sich in verschiedenen Teilen der Welt existieren sollten.

Sollten die Muslime in Europa tatsächlich zu Ausgestoßenen und Marginalisierten werden, wäre Daesh der erste Schritt auf dem Weg zur Errichtung seines Kalifats gelungen. Dann hätten die Terroristen ein Europa erschaffen, das bereit ist, in den Krieg zu ziehen.

Aus dem Englischen von Tobias Dürr

Wir bedanken uns bei egyptianstreets.com für die freundliche Genehmigung zum Abdruck dieses Textes.

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