Wie hältst du’s mit dem Kapital?



Wieder einmal läuten missgünstige Zeitgenossen der Sozialdemokratie die Totenglocken. Vermeintliche Orientierungslosigkeit, die Auffächerung der Parteienlandschaft und mäßige Umfrageergebnisse lassen Schwarzmaler vom Niedergang der SPD fabulieren, politische Gegner ihr das Schicksal einer Splitterpartei voraussagen. Tatsächlich befindet sich die Partei nach rund zwei Jahren Großer Koalition im Widerstreit zwischen dem Bekenntnis zu den Reformen der Ära Schröder und dem Kampf gegen die PDS-Nachfolgepartei, die frei von Regierungsverantwortung ihren handgeschnitzten, am alten Nationalstaat ausgerichteten Keynesianismus pflegen kann. Die derzeitige, für deutsche Verhältnisse ausgesprochen lange wirtschaftliche Aufschwungphase ist zu einem guten Teil Ergebnis der Rosskur der Agenda 2010. Was die alte Koalition unter Führung der Sozialdemokratie gesät hat, trägt jetzt Früchte und kann geerntet werden – wenn sich die SPD zu ihrer Reformpolitik bekennt.

Trotz aller Schwierigkeiten bei der Verwirklichung der komplexen Sozialreformen, trotz Korrekturbedarf im Detail: Der unter der Formel „Fordern und Fördern“ verfolgte Kurs war richtig. Um Arbeitsanreize zu verstärken, den Arbeitsmarkt beweglicher zu machen und den Haushalt quantitativ wie qualitativ zu konsolidieren, wurden einige lieb gewonnene Grundsätze des statusbewahrenden Wohlfahrtsstaats Bismarckscher Prägung beseitigt. Grundlegend waren auch die Schritte, die Rot-Grün beim Umbau der Finanzierung der Sozialsysteme unternahm. Indem sie den Weg zum Mischsystem aus Abgaben- und Steuerfinanzierung einschlug, hat die Koalition die Finanzierung des Sozialstaats auf eine breitere und solidere Grundlage gestellt.

Die Lohnquote ist gesunken

Unberücksichtigt blieb dagegen eine wesentliche strukturelle Herausforderung: die Entwicklung der Lohn- und Kapitalquote und ihre verteilungspolitischen Auswirkungen. Dabei ist dies die Gretchenfrage für die Sozialdemokratie. Über weite Strecken des 20. Jahrhunderts war der Anteil konstant, den die Arbeitnehmer am volkswirtschaftlichen Einkommen erwirtschaften; seit rund 20 Jahren sinkt er. Das Kapital profitiert von der Globalisierung also überproportional, der relative Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen schrumpft. Der Anteil der Löhne ist in den Staaten der OECD seit Anfang der achtziger Jahre von rund 67 auf unter 60 Prozent gesunken.

In Deutschland fällt die Entwicklung sogar noch heftiger aus. Die Gründe liegen vor allem im starken Anwachsen des globalen Arbeitskräfteangebots, sinkenden Informations- und Transportkosten und der – teils dadurch – geschwächten Verhandlungsmacht der Gewerkschaften. Zudem hat sich die Lohnschere stark geöffnet. Zu konstatieren sind zurückgehende Arbeitsstandards, steigende Arbeitsplatzrisiken und zunehmend auch das Erfordernis, privat vorzusorgen.

Die derzeitige Debatte um „Aufschwunggerechtigkeit“ ist schön und gut und nach Jahren der Lohnzurückhaltung gerechtfertigt. Sie greift freilich nur konjunkturelle Aspekte auf. Mit dem Auseinanderdriften von Kapital- und Lohnquote vergrößert sich in der Gesellschaft jedoch die strukturelle „Gerechtigkeitslücke“. Auch darüber muss geredet werden.

In Deutschland wird der Niedergang des Faktors Arbeit abgaben- und steuerpolitisch verschärft: Seit 1965 ist der Anteil der Steuern am Bruttoinlandsprodukt relativ konstant geblieben, während sich der Anteil der Sozialabgaben nahezu verdoppelt hat. Der Anstieg der Staatsausgaben seit Mitte der sechziger Jahre wurde also ganz überwiegend durch die Erhöhung der Lohnnebenkosten finanziert. Aber auch innerhalb des Steuersystems ist der Faktor Arbeit unter Druck geraten. Bekanntermaßen ist das international mobile Kapital strukturell im Vorteil: Es kann im Zweifel auch anders – und anderswo. In der Steuerpolitik ging dadurch nationalstaatliche Souveränität verloren, Unternehmens- und Kapitaleinkommen wurden im Vergleich zu Arbeitseinkommen und Konsum entlastet. Aber auch Vermögen wird in Deutschland im internationalen Vergleich ausgesprochen gering belastet. Durch den Wegfall der Vermögenssteuer im Jahr 1997 sank sein Anteil am Gesamtsteueraufkommen weiter. Damit hat sich die relative Besteuerung von Vermögen zwischen 1965 und 2004 halbiert, während sie in den meisten anderen industrialisierten Ländern konstant geblieben ist oder zugenommen hat.

Bildung, Bildung und nochmals Bildung

Was tun? Erstens Bildung, Bildung und nochmals Bildung. Hier sind die Schlagworte frühkindliche Erziehung, steigende Akademikerquote und lebenslange Qualifizierung zu nennen. Soziale Auslese ist sozial- und wirtschaftspolitisch kontraproduktiv und daher nicht hinnehmbar. Zweitens die Arbeitnehmer konsequent bei den Sozialabgaben entlasten. Dazu eignet sich in besonderem Maße das Freibetragsmodell, das zugleich die Inlandsnachfrage stärkt, Beschäftigungseffekte entfaltet und unteren Lohngruppen zugute kommt.

Drittens große Vermögen im Gegenzug stärker besteuern. Aktuelle Vorschläge aus Union und FDP, die Erbschaftssteuer abzuschaffen, sind klar abzulehnen. Eine höhere Besteuerung großer Erbschaften ist sinnvoll, da sich die Frage sozialer Symmetrie durch die bevorstehende Erbenwelle noch schärfer stellen wird. Viertens Kapitalbildung in Arbeitnehmerhand fördern. Der „Deutschlandfonds“ ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wichtig ist, dass er privat gemanagt wird; ebenso, dass Zielvermengungen vermieden werden. Modelle zur Vermögensbildung dürfen freilich kein trojanisches Pferd zulasten der Tarifpolitik sein. Fünftens die Transparenz bei den Unternehmen fördern und so Markenwerte gesellschaftspolitisch nutzbar machen. Die Verbraucher sind dann in der Lage, eine werteorientierte Unternehmensführung zu honorieren und unsolidarisches Verhalten abzustrafen. Sechstens vor allem nationale Steuerregelungen europäisch und international stärker koordinieren. Ziel muss eine Mindestbesteuerung des Kapitaleinkommens sein, wie es auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium empfiehlt.

Ein fairer Anteil für die Arbeitnehmer

Jede Zeit braucht ihre Antworten. Will die Sozialdemokratie auf der Höhe der Zeit sein, muss sie die Frage beantworten, wie sie den Arbeitnehmern einen fairen Anteil am volkswirtschaftlichen Einkommen sichert. Wer mit den Hartz-Reformen fördert, aber eben auch fordert, steht in der Bringschuld: Er muss mit den Mitteln der Steuer- und Bildungspolitik dafür sorgen, dass soziale Integration möglich bleibt. Dabei geht es nicht nur darum, gesellschaftliche Fliehkräfte im Zaum zu halten, sondern auch darum, das ursozialdemokratische Versprechen des individuellen Aufstiegs durch Leistung einzulösen.
Es ist offensichtlich: Debatten um Ungleichheit und Verteilung werden weiter aufkeimen. Die SPD muss Lösungswege aufzeigen, mögen sie auch steinig und beschwerlich sein. Entscheidend ist dabei ein Bündel an Maßnahmen: der Zugang zu guter Arbeit und gerechten Löhnen, die Teilhabe an Kapitalgewinnen, die Entlastung von Arbeitseinkommen bei der Finanzierung der sozialen Sicherung. Und eine gerechte Verteilung der Steuerlast.

zurück zur Ausgabe