Wider den rot-rot-grünen Einheitsbrei

Nur wenn die Oppositionsparteien ihr jeweiliges Profil schärfen, steigen die Chancen auf ein Ende von Schwarz-Gelb. Der Markenkern der Grünen heißt eindeutig: ökologisch-soziale emanzipative Politik. Über Koalitionsoptionen wird später entschieden, meint Kerstin Andreae

Schwarz-Gelb. So haben die Wählerinnen und Wähler auf Bundesebene entschieden. Aber: Gibt es nicht jenseits dieser parlamentarischen Mehrheit in vielen gesellschaftspolitischen wie auch ökonomischen und ökologischen Fragen eine andere Mehrheit? Weite Teile der Bevölkerung sind für Mindestlöhne, für eine gerechtere Verteilung, für ehrgeizigen Klimaschutz und gegen Atomkraft, gegen ungeregelte und exzessive Finanzmärkte und gegen die Privatisierung von Bildung und Gesundheit. Die Mehrheit im Land will keine neoliberale Wende. Es wird unser Job in der Opposition sein, diesen Wählerwillen zu repräsentieren und soweit möglich zu verwirklichen. Eine gute Opposition regiert immer mit, wenn auch indirekt!

Die Grünen haben bei dieser Bundestagswahl ihr bestes Ergebnis aller Zeiten auf Bundesebene erzielt. 4,6 Millionen Bürgerinnen und Bürger haben sich von der Verbindung von Wirtschaft, Umwelt und Gerechtigkeit angesprochen gefühlt und mit uns gemeinsam darin die große Chance gesehen, die Wirtschafts- und Finanzkrise zu überwinden und gleichzeitig einen sozial gerechten und ökologischen aber auch wirtschaftlich vernünftigen Zukunftspfad zu begehen. Allerdings ist es auch uns Grünen nicht gelungen, Schwarz-Gelb zu verhindern. Die schwierige Aufgabe der kommenden Jahre wird es deshalb sein, den bedrohlichen Klimawandel so ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen, dass dies eine Änderung der gesamten Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik ermöglicht. Denn nicht die Politik allein ist der entscheidende Akteur für den Weg aus der Krise. Entscheidend ist die gesamte Gesellschaft, sind die Menschen dieses Landes.

Eine ökologische Revolution, nicht weniger

Wir müssen Wohlstand und neue Arbeitsplätze schaffen mit einer dritten industriellen Revolution, einer ökologischen Revolution. Umweltpolitik muss als Wirtschaftspolitik verstanden werden und umgekehrt. Klimaschutz, konsequent und forciert verwirklicht, ist ökologisch nötig und ökonomisch vernünftig. Das ist die Botschaft der Grünen. Und diese Botschaft vom notwendigen ökologischen Umbau wird mittlerweile auch bis in konservative Kreise hinein gehört. Das schmälert aber mitnichten die Rolle der Grünen – im Gegenteil. So formuliert zwar der christdemokratische Umweltminister Norbert Röttgen ein solches Verständnis von Wirtschaftspolitik (entgegen dem liberalen Wirtschaftsminister Rainer Brüderle). Es reicht aber keineswegs aus, sich ein paar grüne Bausteine in sein konventionelles Denken einzubauen. Sondern es geht darum, Wirtschaft und Gesellschaft ökologisch zu durchdenken.

Die Grünen wollen die gesellschaftliche Mitte für einen neuen ökologisch-sozialen Gesellschaftsvertrag gewinnen. Notwendig ist eine gigantische und langfristige Umwälzung, die viele gesellschaftliche Ressourcen binden wird und uns zwingt, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Denn das bedeutet: Keine Steuersenkung auf Pump. Das bedeutet: Ausgaben begrenzen und die Haushalte konsolidieren, damit der Staat auch in zehn Jahren noch handlungsfähig ist. Das bedeutet: Den Fokus auf Investitionen in den künftigen Wohlstand zu legen, auf Investitionen, die eine Zukunftsrendite versprechen für Klimaschutz, Bildung und soziale Gerechtigkeit.

Mehrheiten für diesen grundlegenden Wandel zu bilden, das fordert schon per se lagerübergreifende Allianzen. Die Gewerkschaften müssen ihn genauso mittragen wie die Unternehmerinnen und Unternehmer, die Verbraucherschützer und die Umwelt- und Sozialverbände. Die Grünen haben diese breite gesellschaftliche Integrationskraft. Das ergibt sich schon aus ihrem politischen Spektrum. Wir verstehen uns als Partei mit einem starken ökologisch-bürgerrechtlichen Kern. Bei vielen unserer politischen Vorhaben – beispielsweise eine nachhaltige Finanzpolitik zu betreiben, die den kommenden Generationen keinen Schuldenberg aufbürdet, den Zugang zu Bildung zu ermöglichen und damit Chancengerechtigkeit zu buchstabieren, soziale Grundsicherung mit Eigenverantwortung zu verbinden oder auch der Selbstverwaltung immer Vorrang zu geben – werden liberale und wertkonservative Zutaten in das ökologisch-soziale Selbstverständnis der Grünen gemischt.

Hart in der Sache und klar in der Kritik

Die selbsternannte Bürgerrechtspartei FDP hat sich in den Koalitionsverhandlungen der sicherheitspolitischen Doktrin ihres Koalitionspartners nahezu widerstandslos untergeordnet. Von ihren vollmundigen Wahlkampfversprechen ist nichts übrig geblieben. Bundeswehreinsätze im Innern, heimliche Online-Durchsuchungen oder die Vorratsdatenspeicherung werden bei den Grünen auf harten Widerstand stoßen. Wir sehen uns in der Verantwortung, der Regierung eine kritische und konstruktive Oppositionsarbeit in der Innen- und Netzpolitik entgegenzusetzen. Wir kämpfen für digitalen Grundrechtsschutz, modernen Datenschutz, die Reform des Urheberrechts und die gesetzliche Verankerung von Netzneutralität.

In der Opposition gibt es Konkurrenz und manchmal Kooperation. Uns geht es um Mehrheiten für ökologisch-soziale emanzipative Politik. Aber für die Oppositionsparteien ist es notwendig, ihr Profil auch untereinander zu schärfen. Das wird die Opposition eher stärken als ein rot-rot-grüner Einheitsbrei. Und Parteien mit einem unverwechselbaren Markenkern können souverän über Koalitionsfragen entscheiden.

Schwarz-Gelb hat sich schon am Start in riesige Widersprüche verwickelt. Hinter der sich nebulös gebenden Kanzlerin haben Union und FDP in ihrem Koalitionsvertrag ein „Rollback“ in der Energiepolitik, Klientelpolitik bei Steuern und Wirtschaft, Elitenpolitik bei der Bildung und eine Überwälzung der Gesundheitskosten auf die Schultern der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vereinbart. Gegen diese Vorhaben werden die Grünen eine angriffsfreudige aber konstruktive Oppositionsarbeit machen. Wir werden Widersprüche aufzeigen und machbare und vor allem bessere Alternativen anbieten. Populismus und Dämonisierung des politischen Gegners bringt in der aufgeklärten Öffentlichkeit keine Punkte. Gute Oppositionspolitik ist hart in der Sache und klar in der Kritik.

Nach der Wahl ist vor der Wahl! Aber über Machtoptionen entscheiden die Wählerinnen und Wähler. Das Ziel der Grünen ist es, die jetzige Koalition abzulösen und selbst drittstärkste Kraft zu werden. Die Landtagswahl 2010 in Nordrhein-Westfalen wird der erste große Meilenstein im Dauer-Wahlkampf gegen Schwarz-Gelb.

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