Wider das Nullsummendenken

Europa will seine Verteidigungskraft stärken, um unabhängiger von den Vereinigten Staaten zu sein. Das ist wenig hilfreich. An Amerikas Übermacht ist nicht zu rütteln. Europa sollte auf eine wohlwollende US-Hegemonie setzen

Die USA haben mit dem Angriffskrieg gegen den Irak ohne Autorisierung durch die Vereinten Nationen einen klaren Völkerrechtsbruch begangen. Dass sich der formale Kriegsgrund - die Massenvernichtungswaffen des Irak - im Nachhinein verflüchtigte und von den Angreifern selbst in seiner Bedeutung heruntergespielt wurde, macht dies nur umso deutlicher. Damit wurde ein (weiterer) Präzedenzfall geschaffen. Es ist davon auszugehen, dass die Vereinigten Staaten, wenn ihre Führung dies im nationalen Interesse für ratsam hält, sich auch in Zukunft über UN-Mehrheiten hinwegsetzen werden. Auch anderen Staaten wurde signalisiert, dass es gegebenenfalls nicht auf das internationale Recht, sondern auf die richtigen Allianzen ankommt. Ein schwerer Rückschlag für die Entwicklung einer dauerhaften Weltfriedensordnung - so mag es scheinen.


Zutreffender indes ist es, von einer Desillusionierung zu sprechen. Denn die Vorstellung, auf der Basis der UN-Grundprinzipien und des bestehenden Völkerrechts nach und nach eine Weltordnung aufbauen zu können, in der Recht vor Macht geht und zwischenstaatliche Kriege keinen Platz mehr haben, ist eine Illusion. Um es sofort klarzustellen: Erstens ist eine derartige Friedensordnung ohne Einschränkung erstrebenswert und sollte europäischer Außenpolitik im Interesse der Menschen dieses Kontinents als Leitbild dienen. Zweitens sind die Institution der Vereinten Nationen und die Institution des Völkerrechts wertvolle, die internationale Politik "zivilisierende" Errungenschaften und sollten gepflegt werden. Aber sie sind Institutionen jener Staatenwelt, die mit dem Westfälischen Frieden von 1648 konsolidiert wurde. Sie kommen an ihre Grenzen, wenn es darum geht, die inhärenten Begrenzungen der Welt der souveränen Territorialstaaten zu überwinden.


Man sollte nicht aus dem Auge verlieren, dass diese Staatenwelt Jahrhunderte lang Kriege hervorgebracht hat, die im 20. Jahrhundert in ein Massenmorden kaum vorstellbaren Ausmaßes mündeten. Das Völkerrecht war machtlos gegenüber den gewaltträchtigen Triebkräften des weltpolitischen Geschehens und war auch nie darauf ausgelegt, diese zu bändigen. Die Etablierung einer friedlichen Weltordnung muss bei diesen Triebkräften ansetzen, nicht bei der institutionellen Form. Auch eine Gesellschaft lässt sich nicht durch Gesetze regeln, die diese zwar niederschreiben mag, aber nicht durchsetzen kann, weil entscheidende gesellschaftliche Kräfte es so nicht wollen.

Gewalt erzeugt Gegengewalt

In die Erwartung, dass eine wirksame, auf konfliktregelnde Rechtsnomen gestützte Weltfriedensordnung auf absehbare Zeit Illusion ist, fließen mehrere Überlegungen ein:
Erstens, das bestehende Staatengefüge entspricht vielfach nicht dem Willen der betroffenen Menschen. Konfliktfähige Gruppen trachten danach, notfalls mit Gewalt bestehende Grenzen zu verändern, Gebiete von bestehenden Staaten abzutrennen, sie in unabhängige Staaten zu verwandeln oder anderen Staaten anzuschließen. Das Staatengefüge, das eine Friedensordnung tragen müsste, hat keine hinreichende Legitimität und friedliche Wege, es zu ändern (etwa durch Plebiszite), sind für die meisten Staaten tabu. Diese Situation dürfte auch in Zukunft Gewalt und Gegengewalt erzeugen.


Zweitens, aller Wahrscheinlichkeit nach werden die von der fortschreitenden Modernisierung (Globalisierung gehört dazu) herrührenden gesellschaftlichen Frustrationen - im Kontext extremer materieller Ungleichheit - auch in Zukunft aggressive Gegenentwürfe zur herrschenden Weltwirtschaftsordnung, ihren Verteilungsstrukturen und der zugrundeliegenden Machtkonstellation hervorbringen. Die kognitive Unterfütterung dieser Gegenentwürfe kann unterschiedlich sein. Sie können universalistisch geprägt sein, wie einst der Kommunismus, oder sie können Identität akzentuieren, wie der militante Islamismus. Es ist zu erwarten, dass sie sich auch mit staatlicher Macht verbünden. Konflikte, die sich nicht vom prozeduralen Primat einer Weltfriedensordnung einhegen lassen, sind zumindest nicht auszuschließen, und Staaten werden es ratsam finden, sich hierfür zu wappnen.

Alte Rivalitäten leben weiter

Drittens, die beiden genannten Konfliktquellen stehen im Kontext geostrategischer Rivalitäten, die zwar als Ausgeburt eines aus der Vergangenheit stammenden alten Denkens angesehen werden mögen, die aber nichtsdestoweniger heute und in absehbarer Zukunft die Politik von Staaten beeinflussen. Die Überlappung von Konflikten, die ihren Ursprung in der Gesellschaftswelt haben, mit zwischenstaatlichen Rivalitäten trägt dazu bei, dass die "internationale Gemeinschaft" nur begrenzt konfliktbereinigend tätig wird. Oft genug werden die Konflikte in die Geostrategien der "Mächte" einbezogen. Das erzeugt erweiterte Bedrohungsszenarien, die ihrerseits auf Macht (und das heißt in letzter Instanz auf Gewalt) bezogene Herangehensweisen in den Vordergrund schieben. Dies ist gegenwärtig in Konflikten wie denen um Palästina, Kaschmir, Taiwan, Kurdistan oder auch im Kaukasus offenkundig. Auch das amerikanische Vorgehen im Fall Irak erklärt sich nicht zuletzt durch geostrategische Überlegungen dieser Art. Hiergegen die Prinzipien einer Weltfriedensordnung geltend zu machen, ist zwar richtig im Sinne einer höheren Vernunft, richtet aber gegen die Realität definierende und damit prägende Macht der alten ("realistischen") Logik wenig aus.

Amerika ist immun gegen Bedrohungen

Viertens, in dieser Gemengelage nehmen die Vereinigten Staaten eine einzigartige Sonderrolle ein. Sie sind derzeit weitgehend immun gegen militärische Bedrohungen, die von anderen Staaten ausgehen könnten. Und sie sind in einem hohen Maße in der Lage, militärisch "proaktiv" tätig zu werden, um internationale Entwicklungen in diejenige Richtung zu lenken, die sie im nationalen Interesse für erstrebenswert halten. Ihre militärische Überlegenheit macht sie auch weitgehend immun gegenüber der internationalen Gemeinschaft; die Vereinigten Staaten lassen sich nicht von den Vereinten Nationen disziplinieren. Andererseits hat sich immer wieder gezeigt, dass die internationale Gemeinschaft nur in dem Maße sanktionsfähig gegenüber "internationalen Störenfrieden" ist, wie sie sich der amerikanischen Machtmittel bedienen kann. Das liegt oft nicht so sehr an der militärischen Überlegenheit der Vereinigten Staaten wie an ihrer politischen Handlungsfähigkeit als Nationalstaat mit einer zentralen Regierung - im Vergleich zur prekären Handlungsfähigkeit von Bündnissen und Allianzen ohne Hegemon. Strukturell entziehen sich also die Vereinigten Staaten einer von der Staatengemeinschaft etablierten Weltordnung. Vielmehr sind sie es, die ihre Ordnung (ob Friedensordnung, darüber wird zu reden sein) durchsetzen können. Es liegt sozusagen im objektiven Interesse Amerikas, seine einzigartige Fähigkeit, der Welt seinen Willen aufzudrücken, möglichst lange zu erhalten. Dem objektiven Interesse gesellt sich ein nationales Selbstverständnis hinzu, in dem das Herausgehobensein aus der "alten" Staatenwelt, der ganz andere Charakter der gleichsam programmatisch geschaffenen, radikal demokratisch konzipierten amerikanischen Nation, eine große Rolle spielt. Dieses Selbstverständnis paart sich mit Isolationismus ebenso wie mit Sendungsbewusstsein, aber nicht leicht mit Ein- oder gar Unterordnung. Hingegen paart sich die objektive Überlegenheit nur allzu leicht mit der hemdsärmeligen Verfolgung von "Eigeninteressen", die nicht im engen Sinn "national", aber in der inneramerikanischen Willensbildung durchsetzungsfähig sind.

Wie sehen Europas Optionen aus?

Was sind die europäischen Optionen in einer Welt, die einerseits voller konfliktiver Energie steckt und die andererseits in hohem Maße von einem selbstbewussten Amerika gestaltet wird? Was immer die Europäer - seien sie nun außenpolitisch vereint oder nicht - anstreben, muss die Schlüsselrolle der Vereinigten Staaten ins Kalkül einbeziehen. Diese sind dabei, in strategischer Folgerichtigkeit eine neue Art von Pax Americana zu konsolidieren. Das geschieht in erheblichem Maße an den Europäern vorbei; denn die europäischen Mächte sind für die Vereinigten Staaten (trotz aller medienträchtiger Verstimmungen) keine besonders problematischen Akteure, aber auch nur bedingt hilfreiche Partner. Die im positiven und negativen Sinn relevanten weltpolitischen Akteure sind für die Vereinigten Staaten diejenigen, die es in die Pax Americana einzubinden gilt und diejenigen, die ihr gefährlich werden können. Im Zentrum stehen Russland, China und die Akteure an den neuralgischen Punkten des Weltgeschehens - etwa Pakistan, Indien, Israel und auf anderer Ebene Saudi-Arabien, Ägypten, die Türkei. Soll Europa dieses Projekt der langfristigen Pax Americana unterstützen? Oder soll es ein konkurrierendes Projekt voranzubringen suchen - etwa eine UN-Friedensordnung?


Der europäische Reflex neigt zum konkurrierenden Projekt - aus Selbstbehauptungsimpuls und aus dem Gedanken, das erfolgreiche europäische Friedensmodell zu globalisieren. Aber wir können an den oben aufgeführten Argumenten nicht vorbeigehen. Ein europäisches Gegenmodell wird per se die Dynamik der US-Hegemonie nicht aufhalten. Man könnte als Interimsphase an unterschiedliche Einflusssphären denken: Die Amerikaner mögen fürs erste ihre "imperiale" Politik weiter betreiben, leider kann sie niemand daran hindern. Gleichzeitig aber arbeitet Europa an einer "großen Koalition" der friedfertigen Staaten, die sich - vorzugsweise im Rahmen der UN - internationalen Ordnungsregeln unterwerfen und so eine Avantgarde bilden, die Anziehungskraft auf weitere Staaten ausübt. Für das hegemonial orientierte Amerika stellt dieser unoffensive "Ordnungsblock" keine Bedrohung dar. Vielmehr würde er, in dem Maße, wie er sich ausweitet, dazu beitragen, dass die Bedrohungsszenarien, gegen die sich Amerika wappnet, in den Hintergrund treten. Pax Americana und Pax Europea würden zusammendriften.

Vision und weltpolitische Realität

Dieser Gedanke ist im Kern nicht falsch. Ihn in der Realität voran zu bringen, stellt eine gewaltige Herausforderung dar, der das uneinige Europa der diversen außenpolitischen Selbstdarsteller bislang noch in keiner Weise gewachsen ist. Aber die Idee bedarf einer Erweiterung beziehungsweise einer anderen Akzentuierung. Eine sich ausweitende, von Europa und seinen Mitstreitern voran gebrachte UN-Friedenszone ist fürs erste allenfalls eine Vision. Die weltpolitische Realität aber wird einstweilen nicht von dieser Vision bestimmt werden, sondern zum einen von der oben skizzierten "Dynamik des Unfriedens" und zum anderen vom Umgang der Vereinigten Staaten mit dieser - realen oder antizipierten - Dynamik. Aus der Warte des europäischen Sicherheitsinteresses kann das Verhalten der Vereinigten Staaten in eine gute und in eine ungute Richtung führen. Die zentrale Herausforderung für die Europäer ist es, alles zu tun, um das positive Szenario Realität werden zu lassen und das negative Szenario zu verhindern. Mit der dargestellten Weltordnungsvision allein ist diese Herausforderung nicht zu bewältigen, wenngleich ihr durchaus eine Leitbildfunktion zukommt.


Im positiven Szenario hält die militärische Übermacht der Vereinigten Staaten gepaart mit der politischen Entschlossenheit, sie gegebenenfalls einzusetzen (was nicht nur unilateral sein muss), die Bedrohungen, die von staatlicher Aggressivität ausgehen, unter Kontrolle. Das kann unter anderem dergestalt geschehen, dass die Regime so genannter Schurkenstaaten wie im Falle Irak gestürzt werden. Amerikanisches Drohpotenzial kann gegebenenfalls auch in Konflikten wie dem zwischen Indien und Pakistan eine unheilvolle Eskalation verhindern. Ob das nun ihre oberste Priorität ist oder nicht, die Vereinigten Staaten agieren de facto als militärischer Schutzschild der friedfertigen Staaten, einschließlich der europäischen. Der Hegemon liefert der Welt das kollektive Gut Sicherheit. Dadurch wird der Weg frei für eine Welt, die sich kooperativ der Lösung gemeinsamer Probleme widmet und ihre zwischenstaatlichen Konflikte auf "zivilisierte" Weise austrägt. Auch die Vereinigten Staaten verhalten sich als Multilateralisten, wo es keine unilateralen Lösungen gibt: insgesamt eine Pax Americana, die Europas Interessen eher gerecht wird als eine handlungsschwache multilaterale Staatengemeinschaft.

Hemdsärmeliger Unilateralismus als Gefahr

Im negativen Szenario schürt das unilaterale Verhalten der Vereinigten Staaten nicht nur Ressentiments, sondern auch den Widerstand konfliktfähiger Staaten, die auf Dauer nicht das faktenschaffende amerikanische Diktat akzeptieren wollen und die ihre Interessen von den Vereinigten Staaten beeinträchtigt sehen. Latente Gegnerschaft dieser Art trägt den Keim der Eskalation in sich, führt zum Wettrüsten und kann in Krieg münden. Aus heutiger Sicht ließe sich eine derartige Eskalation etwa im chinesisch-amerikanischen Verhältnis vorstellen - was auch für ein unbeteiligtes Europa eine Horrorvision wäre. Aber auch unterhalb eines Apokalypse-Szenarios fördert ein "hemdsärmeliger" US-Unilateralismus, der Eigeninteressen verfolgt und Weltordnungsaufgaben vernachlässigt, eine politische Weltsicht, die den Kampf um Machtpositionen nach Nullsummen-Logik in den Vordergrund stellt und kooperative Herangehensweisen an globale Probleme erschwert. Kampf um Emanzipation einerseits und um den Erhalt der Vorherrschaft andererseits dominieren das Weltgeschehen.

Der Hegemonie die riskante Dynamik nehmen

Ob das positive Hegemonie-Szenario das negative Dominanzszenario in den Hintergrund drängt, hängt von den Herausforderungen ab, denen sich Amerika und seine potenziellen Rivalen gegenüber sehen. Es ist wichtig, dass Probleme in den Vordergrund treten, die durch unilaterales Staatshandeln nicht zu lösen sind, sondern Kooperation erfordern. Und es ist wichtig, dass wirksame Kooperation zustande kommt. Außenpolitik im langfristigen Sicherheits- und Wohlstandsinteresse der Europäer muss darauf bedacht sein, dass internationale Kooperation eingeübt wird und die internationale politische Kultur prägt. Dies lässt sich nur bedingt programmatisch betreiben. Konflikte, die auf das Ausschalten von Machtzentren hinauslaufen (können), wie in den Fällen Irak, Afghanistan oder Nordkorea, sind dem Ziel abträglich. Sie setzen eine implizite Prämie auf militärische Macht und gegebenenfalls ihren entschlossenen Einsatz. In solchen Fällen ist Europa nur dann nicht hilflos, wenn es seiner Diplomatie gelingt, eine Eskalation zu verhindern. Europas langfristige Chance liegt darin, dass Probleme Priorität bekommen, an denen der Einsatz souveräner einzelstaatlicher Macht weitgehend abperlt, die sich einer Nullsummenlogik verschließen. Dazu gehören die bekannten Probleme der Weltwirtschaft, von deren Bewältigung das materielle Wohlergehen aller Völker mit abhängt. Dazu gehört seit geraumer Zeit der Erhalt der natürlichen Voraussetzungen von Leben und Wohlstand. Dazu gehören aber auch die neuen Sicherheitsprobleme Terrorismus und "Staatszerfall".


Um es zu wiederholen: Es geht darum, der amerikanischen Hegemonie, die auf absehbare Zeit ein Strukturmerkmal der Weltpolitik sein wird, ihre potenziell gefährliche Dynamik zu nehmen, sie als Pax Americana für die Sache des Friedens nutzbar zu machen. Es gilt, das Nullsummendenken und -handeln in der Politik der Großmächte, allen voran der Vereinigten Staaten, aber auch Chinas, Russlands und Mächten minderer Kategorie wie Indien, Pakistan oder Iran, in den Hintergrund zu drängen. Die strategische Wahrnehmung der Vereinigten Staaten und ihrer potenziellen Herausforderer zu beeinflussen, heißt auch, in der jeweiligen internen Auseinandersetzung denjenigen Kräften Auftrieb zu geben, die sich für Kooperation mit dem Rest der Welt einsetzen und darin das nationale Interesse am besten aufgehoben sehen.

"Positivsummenspiele" initiieren ...

Um hier etwas zu bewirken, ist es wichtig, "Positivsummenspiele" zu initiieren, konstruktiv voranzubringen und die "gefährlichen" Staaten in sie einzubinden. Das ist das Gebiet, auf dem Europa langfristige Friedenssicherung betreiben kann. Europa sollte, wo immer möglich, "unternehmerisch" für den Aufbau kooperativer Strukturen und internationaler Regelungswerke (Regime) tätig werden. Es sollte, wo immer möglich, bei der Lösung von Problemen, die auch Amerika, China, Russland et cetera betreffen, kooperativ "in Vorlage gehen" und sich gewissermaßen zum unverzichtbaren Partner machen. Zunehmende Bedeutung könnte dabei der Aufgabe zukommen, von endemischer Gewalt befallene oder bedrohte Gesellschaften - nicht ihre korrupten Regime - in unterschiedlichen Regionen des Globus zu stabilisieren. Europa sollte auch prinzipiell auf strukturell nachhaltige, nicht nur atmosphärische Deeskalation bedacht sein, wenn es zu Konflikten mit den Vereinigten Staaten kommt. Es sollte weitestgehend darauf verzichten, Nullsummenspiele zu spielen, um das große, wesentlich wichtigere Positivsummenspiel nicht zu gefährden.


Eine der wichtigsten Bedingungen, die weltweite Positivsummenspiele begünstigen und Nullsummenaspekte in den Hintergrund drängen, ist wirtschaftliches Wachstum. Gelänge es beispielsweise, einen globalen Wachstumskontext wie in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts wiederherzustellen, würde das "zivilisierende" Streben nach Wohlstandssteigerung im arbeitsteiligen Verbund mit dem Rest der Welt wegen der gestiegenen Erfolgsaussichten an Bedeutung gewinnen, ebenso das Feld, in dem wohlstandssichernde Koordinierung auf die Tagesordnung gerückt ist. Identitätspolitisch unterfütterte Aggressivität würde zurücktreten und mit ihr die strategieorientierenden Bedrohungsszenarien, die ihrerseits eine Nullsummenwelt verfestigen.

... und dem Hegemon helfen

In diesen wenigen Zeilen kann kein "Masterplan" für eine europäische Strategie zur Verhinderung globaler Konflikteskalation vorgestellt werden. Nur einige Worte zu den Voraussetzungen, die Europa zu einer derartigen Strategie in die Lage versetzen: Es ist wenig hilfreich, wenn Europa - wie oft gefordert - seine Verteidigungsfähigkeit stärkt und militärisch von den Vereinigten Staaten unabhängiger wird. Dies fördert auf allen Seiten eher eine Nullsummen-Konzeption des Weltgeschehens: jeder für sich und potenziell gegen die anderen. Es ist auch nicht unabdingbar, dass Europa in außenpolitischen Krisensituationen "mit einer Stimme spricht". Dann bestünde in der Tat wenig Hoffnung. Entscheidend ist, dass die Staaten der EU den politischen Willen und die strategische Weitsicht aufbringen, wohldurchdachte Initiativen für weltweite Positivsummenspiele, also für kooperative Problemlösungen, zu ergreifen und das Ziel der Einbindung von Amerika, China und Russland als oberste außenpolitische Priorität im Auge behalten. Dies schließt nicht aus, dem Hegemon gegebenenfalls zu widersprechen oder ihn herauszufordern. Wichtiger aber ist es, ihm bei der Bereitstellung globaler "öffentlicher Güter" wie etwa Sicherheit in ihren diversen Arten zu helfen und hierzu auch die politische Kraft aufzubringen.

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