Wenn der Versorger entsorgt wird

Wo Eltern sich trennen, da werden die Väter in Deutschland regelmäßig als Erziehungsberechtigte zweiter Klasse behandelt - und mitunter nicht einmal als das. Auf der Strecke bleibt dabei nicht zuletzt das Wohl der Kinder

Wenn Beziehungen zerbrechen, sind Kinder die größten Leidtragenden. Sie werden einem Prozess ausgesetzt, dessen Dynamik und Ausgang sie nicht mitbestimmen können. So vernünftig die Idee ist, das Beste für die Schwächsten zu wollen, so schwer ist ihre Verwirklichung in der Praxis. Ein ganzer bürokratischer Apparat ist damit beschäftigt, die Deutungshoheit darüber zu erlangen, was das „Wohl des Kindes“ nun eigentlich ausmacht. Darüber wird eins zu oft vergessen: Kinder brauchen Eltern – und zwar beide.

Der moderne Vater gilt als suspekt

Die Realität sieht jedoch anders aus. Ein „neuer“, also moderner Vater, der nach der Trennung nicht weniger als mindestens die Hälfte der Zeit mit seinen Kindern verbringen und Verantwortung für sie übernehmen will, ist suspekt. Ihm begegnet man mit Vorbehalten und er muss sich im Umgangsverfahren oft von Anfang an verteidigen: gegenüber Ämtern, Verfahrenspflegerinnen, Richtern und Gutachtern. Unabhängig davon, wer wen verlassen und die Beziehung beendet hat. Unabhängig davon, wie engagiert die Väter für ihre Kinder waren und bleiben wollen. Es dominiert weiterhin das gängige Rollenbild des Versorgers, der nur am Rande in die Kindererziehung und -betreuung eingebunden ist. Und der dann eben auch entsorgt werden kann – als Vater, nicht als Geldgeber.

Eine neue, selbstverständliche Egalität von Frauen und Männern verlangt von letzteren viel ab, zu Recht. Männer können dabei aber auch viel hinzugewinnen, indem sie die überholten Rollenmuster überwinden. Sie stehen als „neue Väter“ in der Pflicht. Doch dieser Pflicht nachzukommen ist schwer, gerade bei Trennungen. Eine(r) zieht, der andere hält fest. Bis einer loslässt. Und dabei oft verliert.

Versuche, den ehemaligen Partner als Elternteil zu diskreditieren, haben dabei häufig Erfolg. Als besonders „mütterlich“ wurde etwa der Wunsch einer Mutter akzeptiert, Geschwister voneinander zu trennen. Wäre der Vater der Empfehlung des psychologischen Gutachters, der den Wunsch der Mutter aufgenommen hatte, nicht gefolgt, dann hätte das zweite Geschwisterkind – gegen dessen Wunsch – den Vater ebenfalls seltener gesehen. In einem zweiten Beispiel bestätigte ein über Monate erstelltes Gutachten dem Gericht, dass die Kinder den Vater zwar sehen wollen, sich aber dem Willen der Mutter unterordnen, jeden Kontakt zum Vater abzubrechen. Dem Gutachten zufolge gäbe es keinerlei Bindungstoleranz der Mutter gegenüber dem Vater. Die erstaunliche Konsequenz: Die Mutter konnte sich durchsetzen, der Vater durfte die Kinder nicht mehr sehen. Väter, so scheint es, sind im Trennungsfall Erziehungsberechtigte zweiter Klasse, mitunter nicht einmal das. Und die Meinung der Kinder zählt nur bedingt.

In Berlin-Schöneberg schreibt Kafka das Drehbuch

Der Europäische Gerichtshof mag die Rechte der Väter stärken, die Praxis in Deutschland wird weiterhin von einem Familienbild geleitet, gegen das emanzipierte und selbstbewusste Frauen eigentlich vorgehen. In Deutschland, gerade auch in der so „progressiven“ Stadt Berlin, offenbart sich ein eklatantes Versagen des Justizwesens, bestehendes Recht in die Praxis umzusetzen und ein neues Familienbild zu unterstützen. Hier „fördert“ die Praxis den Prozess der Entfremdung bis hin zum endgültigen unfreiwilligen Kontaktabbruch zwischen Vätern und Kindern. Die handelnden Akteure sind überarbeitete Sozialarbeiter, unerfahrene und konfliktscheue Gutachter sowie schwerfällige Berliner Richter, die sich nicht gegen die eigene Behördenkultur wenden. Diese ist von längst widerlegten Rollenklischees geprägt, die immer noch die Frau als Betroffene und den Mann als Täter sehen. Oder eben als verlässliche Finanzquelle. Und dabei werden die Kinder als Kriegsbeute behandelt.

Da wird ein unterhaltszahlender Vater, dessen größtes Verbrechen es ist, sich weiterhin um die Kinder kümmern zu wollen, vor vollendete Tatsachen gestellt: Das Gericht erteilt der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht und lässt so die Kinder auf Nimmerwiedersehen mit der Mutter ans andere Ende der Welt ziehen. Da durch die physische Trennung viele Fragen der elterlichen Sorge laut Gericht einfacher von der Mutter vor Ort entschieden werden können, verliert der Vater auch das Sorgerecht. Nun gibt es keinen Hebel mehr, der das sorgetragende Elternteil dazu verpflichtet, den Umgang mit dem Vater zu ermöglichen. Die finanzielle Pflicht für die Kinder trägt der Vater indessen alleine. Auch ohne Umgang. So entschied 2014 das Familiengericht Berlin-Schöneberg. Hier führt nicht Brecht Regie, hier schreibt Kafka das Drehbuch.

Blankoschecks zugunsten der Mütter

Es werden Blankoschecks ausgestellt, die den Umgang von Vätern mit ihren Kindern praktisch unmöglich machen. Den ersten Blankoscheck erhalten die Mütter, sie gelten von Natur aus um das Wohl des Kindes bemüht, während bei den Vätern Zweifel angesagt sind. Den zweiten Blankoscheck erhalten die Behörden, besonders die Jugendämter, der es ihnen erlaubt, bei komplexeren Fällen ohne Konsequenzen wegzusehen. Den dritten Blankoscheck bekommen die vom Gericht beauftragten Vereine, die eine Mediation zwischen den Eltern durchführen sollen, oder Einrichtungen, die psychologische Gutachten erstellen. Ihre Empfehlungen haben selten Konsequenzen für die Mütter, häufiger für die Väter. Ein weiteres Beispiel aus Berlin: In der Zeit der Begutachtung wurde das Umgangsrecht des Vaters vom Schöneberger Gericht über acht Monate ausgesetzt, obwohl dieser den Umgang nicht boykottierte. Die Entfremdung zwischen ihm und den Kindern war unausweichlich und wurde später als Argument dafür genutzt, ihm das Sorgerecht zu entziehen.

Den vierten Blankoscheck erhalten die vom Berliner Gericht eingesetzten Verfahrensbegleiter. Sie sollen für das Wohl des Kindes einstehen und eine neutrale Vermittlerposition einnehmen. Wird dabei aber vorbehaltlos und unkritisch die Position der Mutter übernommen, ohne sich die Argumente des Vaters anzuhören, kann eine solche Verfahrensbegleiterin nicht einmal wegen Befangenheit oder eines Mangels an Neutralität abgelehnt werden. Sie wird weiterbeschäftigt und weiterbezahlt. Oft sind es nur eine Handvoll Personen, die diese meist unbeliebte Stelle im Auftrag der Berliner Gerichte wahrnehmen und deren Qualifizierung für diesen sensiblen Bereich kaum erkennbar ist. Auch wenn sie bei anderen Verfahren nachweislich versagt haben, werden dieselben Begleiter in neuen Verfahren wieder eingesetzt.

Die Verteilung dieser Blankoschecks ist frustrierend und ein großes Unrecht. Hier herrschen weiterhin alte Rollenklischees: das Bild des Heimchens am Herd und das des kinderfernen Versorgers. Die Realität sieht anders aus, neben den Vätern und Müttern verlieren dabei aber vor allem die, um die es eigentlich gehen sollte: die Kinder.

Das Engagement vieler Vätervereine wie dem „Väteraufbruch für Kinder e. V.“ sowie die Blogs und Internetbeiträge betroffener Väter zeigen, dass sie sich keineswegs abwenden, weil sie das Interesse an ihren Kindern verlieren. Die Väter sind ihrem Kummer, ihrer Ohnmacht, Wut und Scham alleine ausgeliefert. Auch hier gilt: Modern geht anders! Das Eigenbild vieler Väter ist aber leider nach wie vor ein altes: Verliert ein Vater die Sorge, haftet ein gesellschaftlicher Makel an ihm. Viele Männer flüchten dann in einen beruflichen Funktionsmodus und kreieren damit Strukturen von Abhängigkeit, Ausbeutung und Entfremdung, die sich nachteilig für sie auswirken.

Auf der Strecke bleiben die Kinder, obwohl das „Wohl des Kindes“ als schützenswertes Gut von Eltern, Gerichten und Jugendämtern im Vordergrund aller Bemühungen stehen sollte. Dabei ist die Gesetzeslage ebenso eindeutig wie die Erkenntnis von Psychologen und Soziologen: Kinder haben ein Recht auf ihren Umgang mit beiden Elternteilen, und Eltern haben auch eine Umgangspflicht, ihre Kinder zu sehen. Kinder wünschen sich eine Beziehung zu beiden Elternteilen, besonders wenn die Beziehung vor der Trennung soweit intakt war.

Die Kinder werden als Geiseln genommen

Eklatant wirkt sich aus, dass Unterhaltszahlungen nicht an den Umgang gekoppelt sind. So beginnt ein zweifelhafter Kreislauf von Rechtfertigungs- und Diffamierungsstrategien gegenüber dem ehemaligen Partner bei eigenen ökonomischen Interessen. Die Kinder werden dabei als Geiseln genommen, staatliche Stellen schauen desinteressiert zu. Verschärft wird die Situation durch all die Dossiers, in denen Müttern empfohlen wird, Väter so lange vor Gericht zu bringen, bis diese alles, wirklich alles abgeliefert haben: Würde, Anspruch, Geld, Respekt vor der ehemaligen Partnerin und der gemeinsamen Zeit. Und oft ist die größte und grausamste Rache, dass das Kind den Vater auch nicht mehr sehen will. Was dies für die Kinder bedeutet, die keine Wahl haben, die gezwungen werden, sich für einen Elternteil zu entscheiden, lässt sich inzwischen klar belegen: Die Entfremdung von einem Elternteil, das so genannte parental alienation syndrome (PAS), führt zu entsetzlichen, oft ein Leben lang anhaltenden Schäden. Und zu einem Leben ohne einen Elternteil – oder eben ohne Kinder.

Welche Auswege gibt es aus diesen verfahrenen Situationen? Aus unserer Sicht bieten sich fünf Lösungsansätze an.

Erstens: Anerkennung der bestehenden Rechtslage und Verwirklichung in der Praxis. Vielen Vätern wäre geholfen, wenn das Justizwesen den gesellschaftlichen Wandel, der in die Rechtstheorie bereits Eingang gefunden hat, in die Praxis umsetzt. Väter sind nicht die besseren Mütter, aber immer noch die besseren Väter. Sie sind zentral für die Entwicklung der Kinder.

Zweitens: Erziehungs- und Versorgungspflicht für beide Elternteile. Es muss damit Schluss sein, dass Eltern sich gegenseitig ausspielen können. Beide Elternteile haben sich für Kinder entschieden, daraus erwachsen für beide die Pflicht und die Verantwortung, ihr Kind zu erziehen und zu versorgen.

Drittens: Stärkere Disziplinierungsmaßnahmen bei Umgangsboykott. Bindungstoleranz und Unterhalt sollten aneinander gekoppelt werden, um einen Umgangsboykott durch ein Elternteil sanktionieren zu können.

Viertens: Professionalisierung des gerichtlichen Umfelds und Anpassung mediativer Verfahren. In die Mediation sollten alle betroffenen Akteure einbezogen werden. Es wird zwar viel über die Kinder gesprochen, aber diese bekommen nur selten Gelegenheit zu einer Aussprache mit dem Vater in einem geschützten Raum mit Hilfe eines Mediators oder Psychologen. Der Umgang sollte gemeinsam mit beiden Partnern und den Kindern unter Federführung einer Behörde oder Mediationsstelle erarbeitet werden. Gerade in Fällen, in denen ein Elternteil den Umgang blockiert, ist es wichtig, dass die Kinder in den Prozess der Umgangsanbahnung eingebunden werden, damit die Behörden erkennen, ob der Vater tatsächlich kein Interesse am Umgang hat oder ob es an der Mutter liegt, dass Termine nicht stattfinden. Wirken die Kinder gemeinsam mit den Eltern und den Mediatoren an den Terminen mit und werden sie nachweislich und unter neutralen Bedingungen in die Planung eingebunden, erhöht dies den Druck, die getroffenen Umgangsregeln auch einzuhalten.

Fünftens: Eine neue gesellschaftliche Debatte. Viele Eltern wollen genau das: dem Wohl des Kindes entsprechen. Aber wie können sie dies in einer Situation, die oft von gescheiterten Träumen und Vorstellungen geprägt ist und in der die Partner verletzt oder wütend sind? Hier muss gesellschaftlich darauf hingearbeitet werden, dass Väter und Mütter verstehen, dass sie Eltern bleiben, ihr Leben lang.

Es müssen aber auch Formen des Ausgleichs gefunden werden, in denen die getrennten Eltern Vater und Mutter bleiben können, selbst wenn keine Absprachen mehr miteinander möglich sind. Sie dürften dann nicht mehr so lange am Kind ziehen, bis es zerreißt. Oder bis einer loslässt.


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