Wenn der Euro die Versicherung ist, was genau war dann das Risiko?

zu Waltraud Schelkle, Gut versichert dank Euro, Berliner Republik 2/2014

Wenn der Euro die Versicherung ist, was genau war dann noch einmal das Risiko? Die Antwort darauf bleibt in Waltraud Schelkles sonniger Sicht auf die wirtschaftliche und politische Heterogenität in der Eurozone erstaunlich unklar. Schelkle möchte die Währungsunion als Sozialversicherung verstanden wissen. Doch gegen welches Risiko soll sie eigentlich Schutz bieten? Etwa gegen das Risiko, „in ökonomische oder finanzielle Schwierigkeiten zu gelangen“, wie sie schreibt?

Sollte dieses Risiko vollkommen zufällig verteilt sein und nur zeitlich begrenzt auftreten, bedürfte es keines Schutzes einer gemeinsamen Währung. Schelkle räumt jedoch selbst ein, dass dieses Risiko wohl eher ungleich verteilt ist: Es ist im Norden geringer und im Süden höher, und dies ist auch nicht nur in der momentanen Krise der Fall, sondern systematisch. Das war schließlich der Grund dafür, dass sich Italien und Frankreich durch die Währungsunion mit Deutschland versprachen, von einer monetären Stabilitätskultur zu profitieren, die selbst herzustellen sie sich seit den frühen siebziger Jahren als unfähig erwiesen hatten. Wenn dem allerdings so ist, dann wird man, anders als Schelkle meint, tatsächlich derzeit in Deutschland nur „trotz Euro“ für Europa werben können.

Oder versichert der Euro gegen das Risiko erratischer „Währungsschwankungen“, wie von der Autorin ebenfalls hervorgehoben wird? Da es in einem gemeinsamen Währungsgebiet per definitionem keine Wechselkurse zwischen seinen Mitgliedern gibt, wäre das ein eher tautologisches Argument. Daher spricht Schelkle auch zu Recht davon, dass man „durch eine Währungsunion dieses Risiko eliminieren kann“ (korrekter: eliminiert). Das ist dann aber wohl eine eher missbräuchliche Verwendung des Versicherungsbegriffs, denn will man eine Regel, die jegliches Feuer verbietet, wirklich als Brandschutzversicherung bezeichnen? Zugleich zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass mit dem Euro vermutlich ein Risiko durch ein anderes – weit verheerenderes – Risiko eingetauscht wurde.

Die deutsche Exportindustrie mag es prima finden, dass es im gemeinsamen Währungsgebiet anderen Ländern verwehrt ist, ihre Wettbewerbsnachteile durch Abwertung auszugleichen. Damit wurde Ländern wie Italien oder Frankreich jedoch ein makroökonomischer Anpassungsmechanismus genommen, der für ihre politische Ökonomie essenziell war, die sich aufgrund von fragmentierten Gewerkschaften und abhängigen Zentralbanken in einem Inflations- beziehungsweise Weichwährungsgleichgewicht befanden.

Wechselkursänderungen sind eben immer ein wichtiger automatic stabilizer gewesen. Als wirtschaftspolitisches Instrument werden Abwertungen, etwa in den Debattenbeiträgen von Fritz W. Scharpf und Wolfgang Streeck zur Eurokrise, derzeit wohl sogar eher überschätzt. Denn der mit ihnen erzielte Wettbewerbsvorteil ist immer nur von kurzer Dauer, wenn Gewerkschaften keine Lohnzurückhaltung üben (können). Die schwächere Währung erhöht die Preise der importierten Güter und damit auch die Lebenshaltungskosten. Gewerkschaften werden den damit verbundenen Reallohnverlust auszugleichen versuchen – womit der Abwertungsvorteil dann wieder umgehend dahin ist. Daher ist ein anderer Anpassungsmechanismus bedeutsamer: Steigt zu Beginn einer Krise aufgrund geringerer Steuereinnahmen und höherer Sozialausgaben die Staatsschuld, kann dies bei einem ohnehin bereits hohen Schuldenstand zu Krisenbeginn Zweifel an der staatlichen Fähigkeit zur Bedienung seiner Schulden nähren. Das Beispiel Spanien zeigt, dass sich diese Zweifel auch schon auf einem vergleichsweise geringen Niveau der Staatsverschuldung einstellen können.

An dieser Stelle sind zwei Dinge von Bedeutung. Zum einen gilt grundsätzlich, dass nationale Währungen die ultimative Versicherung gegen jegliche Zweifel an der staatlichen Zahlungsfähigkeit darstellen. Ein Staat wird seine Zentralbank immer zwingen können Geld zu drucken, um seinen drohenden Bankrott abzuwenden. Da dies allen Akteuren klar ist, kommt es in Ländern mit eigener Währung gerade nicht zu jenen potenziell selbst-erfüllenden Prophezeiungen, wie sie uns der Euro beschert hat: Wachsen in einer Krise die Zweifel an den Staatsfinanzen eines Landes, steigen die Zinsen für seine Staatsanleihen, was die Bedienung der Staatsschulden verteuert. Durch die fiskalischen Konsolidierungsbemühungen zur Rückerlangung staatlicher Kreditwürdigkeit werden die rezessiven Tendenzen im Land verstärkt. Das erhöht nur die Staatsverschuldung weiter, was die Zweifel an der Fähigkeit zur vollständigen Rückzahlung der nun sehr viel teureren Staatsschuld verstärkt. Die hierdurch angeheizte Kapitalflucht lässt die Zinsen der Staatsanleihen wiederum ansteigen und so weiter, bis am Ende nur noch Mario Draghis’ whatever it takes-Versprechen hilft. Müsste diese Garantie je eingelöst werden, würde das jedoch zur Vergemeinschaftung des fiskalischen Risikos führen, das in der Eurozone höchst ungleich verteilt ist. Wir kommen erneut zum Schluss: In Deutschland wird man derzeit nur „trotz Euro“ für Europa werben können.

Zum anderen dämpfen nationale Währungen bereits weit unterhalb eines unmittelbar drohenden Staatsbankrotts, wie er im Nachkriegswesteuropa vor Einführung des Euros unbekannt war, konjunkturelle Zyklen. Wachsen in der Krise die Zweifel an den Staatsfinanzen eines Landes, könnten Anleger ein Interesse daran entwickeln, die Staatsanleihen dieses Landes zu verkaufen und stattdessen die Anleihen eines anderen Landes zu erwerben. So würden im Fall nationaler Währungen Anleger, die beispielsweise französische Staatsanleihen verkaufen, französische Franc erwerben, die sie in Deutsche Mark umtauschen müssten, um deutsche Staatsanleihen zu kaufen. Mit dem erhöhten Angebot an Franc und der erhöhten Nachfrage nach Deutscher Mark werten sie die französische Währung ab und die deutsche auf. Die damit einhergehenden Währungsverluste mildern folglich genau jene Dynamik zur Kapitalflucht, die die Wechselkursänderung auslöste. Ein solcher Effekt fehlt in der Eurozone.

Die vollkommen abschlagsfreie Bewegung des Kapitals innerhalb des Währungsgebiets verstärkt stattdessen konjunkturelle Ausschläge, ersichtlich zum Beispiel an der allein auf sprunghafter Kreditausweitung beruhenden spektakulären Boomphase nach Einführung des Euros in der europäischen Peripherie und an der ebenso spektakulären Krise nach 2008. Der Euro wirkt also – um im Bild zu bleiben – nicht nur nicht als Feuerschutzversicherung, sondern sogar als Brandbeschleuniger. Die gemeinsame Währung hat erst jene überschießenden volkswirtschaftlichen Reaktionen provoziert, die Schelkle als heilsame Heterogenität innerhalb der Eurozone interpretiert.

Das bringt mich zu meinem letzten Punkt. Die Rede der Ökonomen von den „exogenen“ oder „asymmetrischen Schocks“ ist politisch bequem, weil damit suggeriert wird, ökonomische Probleme seien vollkommen unvorhersehbar, brächen „wie aus heiterem Himmel“ über eine Volkswirtschaft herein. Das ist oft irreführend. In Ländern mit Staatsquoten um die 50 Prozent ist die wirtschaftliche Malaise üblicherweise hausgemacht. Handelt es sich jedoch nicht um kurzfristige Schocks, sondern um langfristige strukturelle Verwerfungen, so sind solche Krisen keine „versicherungsfähigen Ereignisse“. Oder anders formuliert: Das Interesse eines Silvio Berlusconi, durch den Euro – (und das meint hier, durch die höhere Kreditwürdigkeit Deutschlands) – gegen die Folgen seines grotesken Politikversagens versichert zu werden, mag verständlich sein. Doch damit würde der Euro auch noch die etablierten Formen demokratischer Verantwortlichkeit aussetzen. Diese politischen Kosten könnte gewiss kein ökonomischer Vorteil einer gemeinsamen Währung aufwiegen.

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