Wenn der Chevy nichts mehr wert ist

Der globale Erdölverbrauch steigt rasend schnell. Schon in wenigen Jahren wird die Hälfte aller Rohölvorkommen erschöpft sein. Billiges Benzin und sorgloses Heizen sind Geschichte. Das strategische Zukunftsthema schlechthin heißt Ressourceneffizienz

Die Frage, wie wir unseren Energiebedarf künftig decken wollen, ist längst nicht mehr nur eine ökologische. Sie wird verstärkt auch zur Schlüsselfrage für Wachstum und Beschäftigung. Das Beispiel Öl zeigt: Es ist höchste Zeit zu handeln. Wer die gegenwärtige Entwicklung des Ölpreises für dramatisch hält, wird sich in den nächsten Jahren noch sehr wundern. Die Versorgung mit Öl und Benzin bleibt zwar gesichert, aber wir werden künftig wesentlich mehr für den Schmierstoff unserer Wirtschaft ausgeben müssen. Dabei liegt es an uns, ob wir von dieser Entwicklung nur Schaden nehmen - oder ob wir auch von ihr profitieren werden.

Es scheint, als hätten die deutschen Magazine Stern, Focus und Spiegel ein neues Lieblingsthema entdeckt. Seit der durchschnittliche Preis für ein Barrel (159 Liter) Rohöl auf sein "Allzeithoch" von über 40 Dollar zusteuerte, macht das Wort von der Ölkrise wieder die Runde. Ölkrise? Wir erinnern uns: Im Jahr 1973, dem annus horribilis für die westlichen Industriestaaten, explodierte der Preis für ein Barrel aus dem so genannten OPEC-Korb von 2,70 auf 11,20 Dollar. Folge dieser ersten, rein politisch ausgelösten Ölkrise waren Rezession, autofreie Sonntage, steigende Inflation und eine Massenarbeitslosigkeit, von der sich die deutsche Volkswirtschaft nie wieder erholt hat.

Ähnlich verheerende, aber nicht ganz so dramatische Folgen zeigten sich bei der zweiten und dritten Ölkrise der Jahre 1979 und 1990. Auf die letzten beiden Krisen folgten jeweils Jahre des billigen Öls. So war der Wirtschaftsboom in der Ära Kohl der späten achtziger Jahre wesentlich auf einen im Gegensatz zu 1980 halbierten Ölpreis zurückzuführen. Auch in den neunziger Jahren kam es zu einer Entspannung auf dem Markt. Bei Amtsantritt von Rot-Grün kostete der Barrel noch knapp 13 Dollar, also 27 Dollar weniger als derzeit. Die scheinbare Verdreifachung des Preises in den letzten sechs Jahren hat die Weltwirtschaft jedoch noch nicht in eine tiefe Krise getrieben. Die Gründe dafür: Der Ölpreis ist nur nominal so hoch wie noch nie.

Kaufkraftbereinigt lag er 1980 sogar noch höher als jetzt. Auch hat sich die Abhängigkeit unserer Volkswirtschaft vom schwarzen Gold relativ verringert, da mit einer Tonne Rohöl heute doppelt so effizient produziert werden kann wie noch vor 25 Jahren. Daher sehen Wirtschaftsforschungsinstitute und Zentralbanken die gegenwärtige Ölpreisentwicklung zwar als Dämpfer für den weltweiten Konjunkturaufschwung, nicht jedoch als Vorboten einer globalen Rezession. Auch das Inflationsrisiko kann nicht als besonders bedrohlich gesehen werden, schließlich hätte es dann einer stärkeren Reaktion in Form von Zinserhöhungen bedurft. Die gegenwärtige Lage ist also nicht - oder nur bedingt - mit früheren Krisen vergleichbar. Gibt es demnach keinen Grund zur Aufregung? Können wir gar wieder Jahre mit sinkenden Ölpreisen erwarten? Oder müssen wir davon ausgehen, dass sich die Lage weiter zuspitzt?

Der größte Preistreiber ist die Spekulation

Es gibt viele Gründe, aber nur einige zählen wirklich. Die Ursachen für die gegenwärtige Lage am Ölmarkt sind sehr unterschiedlich. Zuvörderst - da sind sich die Analytiker einig - ist der größte Preistreiber die Spekulation. Die Volatilität des Ölmarktes lädt Spekulanten in besonderer Weise ein. Der rein spekulative Anteil an den derzeitigen Ölpreissteigerungen wird von der Bundesregierung auf 60 Prozent geschätzt. Auch wenn die Gewinnmaximierung in der Natur des Menschen liegt, kann man doch davon ausgehen, dass der auf reiner Spekulation beruhende Anteil bei der Preisbildung dann abnehmen wird, wenn sich der Preis - auf welchem Niveau auch immer - einigermaßen stabilisiert hat.

Wann stürzt das korrupte System von Riad?

Der zweite Faktor, der den Ölpreis in die Höhe treibt, ist die globale sicherheitspolitische Lage. Ob Westafrika oder Venezuela, Irak, Kaukasus oder Saudi-Arabien: Selbst kleine Zwischenfälle in diesen Regionen können den Weltmarkt beeinflussen. Auch ohne die jüngsten Anschläge auf Pipelines ging man in der amerikanischen Regierung davon aus, dass es sieben Jahren dauern werde, bis der Irak seinen Ölexport wieder voll aufnehmen kann. Tatsächlich ist der Export aufgrund der Anschläge zwischenzeitlich sogar komplett eingestellt worden. Etwa 10.000 amerikanische Soldaten und 15.000 Sicherheitsleute bewachen derzeit die Reparatur irakischer Ölförderanlagen. Bereits die Angst vor weiteren Anschlägen treibt so die Förderkosten in die Höhe. Doch ist der Irak nicht das größte Sicherheitsrisiko am Persischen Golf, wo 65 Prozent der weltweiten Rohölreserven vermutet werden. Das größte Risiko geht hierbei natürlich von Saudi-Arabien aus. Das Land verfügt nicht nur über die größten Reserven und produziert mit rund 8,5 Millionen Barrel am Tag die größte Menge, es verfügt auch als einziges Land über eine nennenswerte swing capacity, mit der die Fördermenge kurzfristig erhöht werden kann. Sollte das korrupte Regime in Riad gestürzt werden - was das erklärte Ziel Osama Bin Ladens ist - und der Irak nicht zu nennenswerten Ersatzlieferungen fähig sein, käme dies einem weltweiten ökonomischen Super-Gau gleich. Im Pentagon wird für diesen Fall offen die Besetzung der saudischen Ölfelder diskutiert.

Aber auch ohne einen Putsch in Saudi-Arabien gibt es unkalkulierbare Risiken. Schon ein Flugzeug mit Selbstmordattentätern würde genügen, um das wichtigste saudische Ölterminal Ras-al-Tanura mit seiner Kapazität von sechs Millionen Barrel pro Tag für lange Zeit unbrauchbar zu machen. Angriffe auf Öltanker - ähnlich der Attacke auf die USS Cole - könnten künftig teuren militärischen Begleitschutz notwendig machen. Vor diesem Hintergrund erscheinen andere Ereignisse wie beispielsweise der Streik der norwegischen Statoil-Arbeiter oder der Konflikt des venezuelanischen Caudillos Hugo Chavez mit den Vereinigten Staaten vernachlässigenswert - schließlich sind sie mit vergleichsweise konventionellen Mitteln lösbar. Auch ein weiteres Phänomen, das den Benzinpreis in Europa in die Höhe treibt, scheint eher ärgerlich als unlösbar: Seit dreißig Jahren ist in den USA keine neue Raffinerie mehr gebaut worden. Als Konsequenz ist die Supermacht nun auch auf Benzinimporte angewiesen. Die amerikanische Ölindustrie scheut die geschätzten 20 Milliarden Dollar, die sie investieren müsste und schreckt vor den Auflagen einzelner Bundesstaaten zurück. Für die Konzerne ist es billiger, in Rotterdam europäisches Benzin zu kaufen und in die Vereinigten Staaten zu verschiffen - die Rechnung bezahlen die europäischen Autofahrer.

Der Öldurst der Chinesen wächst dramatisch

Ein dritter Faktor, der wesentlich zum Durchbrechen der 40-Dollar-Marke geführt hat, ist der weltweite Nachfragerekord nach Öl, der besonders durch den steigenden Öldurst in Indien, Brasilien und vor allem in China erklärt wird. Die Volksrepublik hat in diesem Jahr Japan als zweitgrößten Ölimporteur abgelöst. Der Energiehunger der Chinesen wächst derzeit ungefähr doppelt so schnell wie die chinesische Volkswirtschaft. Dies hat mit dem Aufbau von Stahl-, Elektronik- und Automobilindustrie sowie dem rasant wachsenden Individualverkehr zu tun. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass die globale Nachfrage nach Öl in diesem Jahr um 3 Prozent oder 2,3 Millionen Barrel pro Tag wächst. Davon entfallen allein auf China zusätzliche 1,2 Millionen Barrel pro Tag. Die von der OPEC zugesagten Erhöhungen der Fördermenge um 2,5 Millionen Barrel täglich ab August werden in diesem Jahr also allein durch die chinesische Nachfrage kompensiert.

Natürlich kann die Nachfrage mit einem Abkühlen der Weltkonjunktur auch wieder nachlassen. Allerdings kann das nicht wirklich wünschenswert sein, und es wird auch nicht prognostiziert. Im Gegenteil, die Nachfrage nach Öl wird sich voraussichtlich von derzeit 29 Milliarden Barrel pro Jahr um mehr als ein Drittel auf 42 Milliarden Barrel im Jahr 2020 erhöhen. Ein solcher Nachfrageboom ist - lässt man die Folgen für das Weltklima außer Acht - erst einmal nicht negativ, schließlich verspricht er weltweit wachsenden Wohlstand. Problematisch wird er erst, wenn die Angebotsseite nicht mehr mithalten kann. Die entscheidende Frage ist also: Wie lange reicht das Öl?

Als Dick Cheney einmal Richtiges sagte

Jetzt geht es erst richtig los. Dick Cheney, ehemaliger Manager des Ölkonzerns Halliburton, äußerte sich kurz vor seinem Amtsantritt als Vizepräsident der Vereinigten Staaten folgendermaßen: "Wir werden jährlich zwei Prozent mehr Erdöl brauchen, dabei dürften die Fördermengen jedes Jahr um drei Prozent fallen." Folgt man Cheneys durchaus realistischer Prognose, so ergibt sich für das Jahr 2010 eine Versorgungslücke von 50 Millionen Barrel pro Tag. Es bedürfte der sechsfachen Fördermenge Saudi-Arabiens, um diese Lücke zu schließen. Das Jahr 2003 wird vielleicht eines Tages als das letzte goldene Jahr des Ölzeitalters bezeichnet werden - als Jahr, in dem noch ohne Schwierigkeiten mehr Öl gefördert wurde als nachgefragt. In diesem Jahr wird die Förderung nahezu genau die Nachfrage decken. Aber bereits 2005 wird es erstmalig zu einer steigenden Nachfrage bei gleichzeitig sinkender Förderung kommen.

Es scheint so, als ob die Konsequenz, die viele Regierungen aus diesem Sachverhalt ziehen, nach dem Motto verläuft: ?Hauptsache, wir haben noch Zugriff auf die Quellen." Jedenfalls ließen sich so die Stellvertreterkriege zwischen französischen und amerikanischen Ölmultis in Afrika erklären, ebenso die faktische Verstaatlichung des russischen Unternehmens Yukos, die amerikanische Invasion im Irak, die Aufstockung der strategic petroleum reserve der Vereinigten Staaten auf 700 Millionen Barrel oder auch der gerade stattfindende Völkermord in der sudanesischen Provinz Darfur, wo Öl vermutet wird. Jeder will noch schnell seinen Claim abstecken, um möglichst lange billiges Öl zu beziehen. Selbst wenn man moralische Bedenken außer Acht lässt, kann dies - angesichts der Endlichkeit der Quellen - keine Lösung sein.

Der depletion midpoint, der Zeitpunkt also, an dem die Hälfte aller weltweit bekannten Rohölvorkommen erschöpft sind, wird vom Bundesamt für Geowissenschaften und Rohstoffe auf die Zeit um 2012 bis 2015 geschätzt. Ehemalige Shell- und BP-Manager setzen ihn sogar auf 2010 fest (vgl. www.peakoil.net). Anschließend, so wird prognostiziert, nehmen die Vorräte nicht langsam ab, sondern verlaufen - wegen der steigenden Nachfrage - ähnlich einer Glockenkurve steil nach unten. "2025 ist das Rohöl weg", sagt Fritz Varenholt, ehemaliger Hamburger Umweltsenator und jetziges Shell-Vorstandsmitglied.

Die Vision heißt Effizienzrevolution

Hierzu sind zwar Gegenargumente zu hören: Es könnten noch neue Vorräte gefunden und auch durch den Abbau von kanadischen Ölsanden noch ein großes Ölpotential erschlossen werden. Jedoch sind seit über 20 Jahren keine neuen super giant fields mehr gefunden worden - anders als dies eine kürzlich erschienene Zeitungsente über ein sagenhaft großes chinesisches Ölfeld weismachen wollte. Das aufwändige Umwandeln von Ölsanden in Rohöl wiederum findet bereits statt. Seit der Barrelpreis deutlich gestiegen ist, gibt es in der kanadischen Provinz Alberta einen Ölsandboom. Allerdings: Die Förderkosten liegen bei 12 Dollar pro Barrel (gegenüber einen bis zwei Dollar in Saudi-Arabien), beim Abbau werden große Mengen Schwefeldioxid freigesetzt, das gewonnene Öl ist nicht von bester Qualität, die Fördermengen sind noch relativ gering - und schließlich sind auch die Ölsande endlich.

Es lassen sich aber auch Argumente dafür anführen, dass diese Prognosen noch zu freundlich sind. Der jüngste Bilanzskandal bei Royal Dutch/Shell gibt hier Anlass zur Sorge. Das Unternehmen hatte seine Ölreserven um 20 Prozent zu hoch ausgewiesen. Nun kommt die Frage auf, warum die Saudis seit Jahren die gleichen Zahlen für ihre Vorräte angeben - als würden sie kein Öl fördern. Unabhängige Bewertungen der saudischen Lagerstätten sind seit der Verstaatlichung der Ölindustrie im Jahre 1980 nicht mehr möglich.

Wie geht es weiter? Man braucht nicht allzu viel Phantasie, um sich auszumalen, welche psychologischen Auswirkungen das Erreichen des depletion midpoint auf den Ölmarkt haben wird. Und es steht fest, dass sich der Ölpreis danach - von kurzfristigen Schwankungen abgesehen - tendenziell nur noch nach oben bewegen kann. Sobald der Preis für ein Barrel Rohöl auf etwa 55 Dollar gestiegen ist, lohnt sich die Umwandlung von Gas in Benzin und von Kohle in Öl. Schon die DDR hat Braunkohle in Öl verwandelt, Südafrika praktiziert dies heute noch. Da die weltweiten Kohlereserven mindestens noch bis weit ins nächste Jahrhundert reichen, muss also niemand befürchten, dass uns das Öl wirklich ausgeht - es kann aber durchaus sein, dass uns das Geld für das Öl ausgeht.

Wer diese Entwicklung kennt und sich auch über die Öl- und Ölimportabhängigkeit (sie beträgt 97 Prozent) unserer Wirtschaft im Klaren ist, der wird aus ökonomischen Gründen alles daran setzen, die Abhängigkeit von Primärenergieimporten zu verringern. Und zwar jetzt und ab sofort, denn selbst der durchschnittliche Investitionszyklus eines ganz normalen Autos ist länger als die sechs Jahre, die uns bis 2010 bleiben - von Kraftwerken, Heizungsanlagen oder Fabriken ganz zu schweigen. Die Herausforderungen, die sich aus der Ölpreisentwicklung ergeben, sind keineswegs zu unterschätzen. Die Chancen aber ebenfalls nicht. Schließlich ist die Menschheit nicht am Ende ihrer Innovationsfähigkeit angelangt. Jetzt kommt es darauf an, in Deutschland eine breite politische Debatte zu dem Thema zu führen - und dann entschlossen zu handeln. Die Vision dabei ist klar: Die deutsche Industrie wird in ein paar Jahren eine der wettbewerbsfähigsten sein, weil sie am effizientesten mit Ressourcen umgehen kann. Unser Land wird Exportweltmeister bei Effizienztechnologien. Was unsere Windindustrie schon heute vormacht, könnten Brennstoffzellenhersteller, Kraftwerksbauer und Autoproduzenten nachmachen. Denn wenn die Gallone Benzin erst einmal zwei Dollar kostet, ist ein Chevy nicht mehr viel wert.

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