Weltspiel und Wohnzimmer

Franklin Foer erläutert sehr anschaulich, warum der Fußball die Welt erklärt

Fußballer singen schlecht. Manchmal haben sie trotzdem Recht. Die Tradition der deutschen, von den Nationalspielern selbst intonierten WM-Songs ist zwar zu Recht in Vergessenheit geraten. Wohl auch wegen Unsäglichkeiten wie „Buenos Dias, Argentina“ von 1978 und „Far away in America“ von 1994. Besser als die 1974er-Schunkelei „Fußball ist unser Leben, denn König Fußball regiert die Welt“ ging es eh nicht mehr. Auch das kein schönes Lied. Aber ein wahres. Fast.

Zwar regiert der Fußball nicht die Welt (dann wäre Sepp Blatter Weltherrscher) – aber er ist längst Weltsport und damit Weltthema Nummer Eins. Zum Beispiel Gewalttäter Zinedine Zidane: In jedem Winkel der Erde wurde sein finaler Kopfstoß gegen Marco Materazzi diskutiert. Hätte man in der Woche nach dem WM-Finale in Saigon einen Schneider, in Bogotá einen Bäcker oder in Tromsø einen Taxifahrer gefragt – das Gespräch wäre immer dasselbe gewesen: Hat Materazzi Zidanes Mutter beschimpft? Seine Schwester? Ihn einen Terroristen genannt?

Längst ist Fußball deswegen auch ein riesiger Weltmarkt. Die Ware: Spieler, Merchandising, Images. Neuerdings auch ganze Vereine. Vorbei die Zeit, als Karl-Heinz Schnellingers Wechsel nach Italien zum FC Mantua im Jahr 1963 eine Sensation war. Heute spielen europäische Spitzenclubs oft ohne Einheimische und beginnen, weltweite Märkte zu „generieren“ – sie wollen ihre Trikots auch in China verkaufen. Aber mit dem alltäglichen Leben, dem „Fußball ist unser Leben“, hat das fast nichts zu tun. Immer noch hassen alle die Bayern, egal wer für sie spielt. Schalke und Dortmund ringen um den Ruhrpott, egal ob in China ein Trikotständer umfällt. Und Wochenende für Wochenende sehen sich Milliarden Menschen auch den groteskesten Grottenkick ihres unterklassigen Heim-FC an, egal welchen Ivorer der russische Ölbonze Roman Abramowitsch für sein englisches Spielzeug Chelsea wieder gekauft hat.

Von diesem Gegensatz handelt Wie Fußball die Welt erklärt von Franklin Foer. Foer ist Redakteur des liberalen amerikanischen Intellektuellenblatts The New Republic und Bruder des Romanautors Jonathan Safran Foer. Zwischen diesen Polen liegen die Reportagen in seinem Buch: analytisch und gut geschrieben.

Foer geht es um das Wechselspiel der globalisierten Fußballwelt à la Chelsea und Ronaldinho mit weltweiten Transfers und Fernsehübertragungen einerseits und widerspenstigen lokalen Fußballkulturen andererseits. „Während der neunziger Jahre deckten sich baskische Mannschaften mit holländischen und türkischen Spielern ein und moldawische Vereine hatten Nigerianer unter Vertrag“, schreibt Foer. „Wohin man auch schaute, nationale Grenzen und Identitäten schienen plötzlich im Mülleimer der Fußballgeschichte gelandet zu sein.“

Fußball wird tiefer empfunden als Religion

Der Konjunktiv deutet es bereits an: So einfach war es dann doch nicht. Im Nine-Eleven-Jahr 2001, so Foer, geriet der Siegeszug der Globalisierung „ins Wanken“. Fußball ist Ausdruck lokaler Kultur, „wird oft tiefer empfunden als Religion und gehört wie sie als Hort für Religion zur Struktur eines Gemeinwesens“. Je ärmer und isolierter das Gemeinwesen und je größer der Globalisierungsdruck, desto stärker klammert man sich an den Fußball. Dann ist Fußball oft tatsächlich das Leben.

Vielleicht, so Foer, tut man dies dort heute sogar mehr als vor der Fußball-Globalisierung. „Mir drängte sich sogar der Verdacht auf, dass die Globalisierung den Einfluss regionaler Kulturen verstärkt hat – und zwar nicht immer zum Positiven.“

Foer ist für seine Weltformel um die Welt gereist: nach Belgrad, zu den ultranationalistischen Hooligans von Roter Stern Belgrad, nach Barcelona, zum katalanisch-stolzen FC und nach Rio de Janeiro, um mit einem korrupten Vereinsboss zu sprechen, der Politiker ist und via Fußball seine Wähler rekrutiert. Das gib es also nicht nur in Italien.

Überall spiegelt die Fußballkultur die Kultur des Landes wider. Chauvinismus in der Gesellschaft gebiert Chauvinismus auf den Rängen, Korruption in der Gesellschaft Korruption im Vereinsheim, konfessionell-soziale Bruchlinien in der Gesellschaft konfessionell-soziale Bruchlinen zwischen den Anhängerschaften. Und überall prallt die schicke globale Fußballwelt an diesen nationalen, regionalen und lokalen Strukturen ab wie ein überheblich geschossener Freistoß an der Mauer.

Zwei Beispiele sind besonders schön. Zum einen Glasgow, wo sich die katholischen Celtic-Fans und die protestantischen Rangers-Anhänger seit jeher das „Old Firm“-Stadtderby liefern. Anders als deutsche Lokalderbys in München oder Hamburg ist dies eine sehr ernste, historisch stark aufgeladene Angelegenheit: Celtic repräsentiert den irisch-katholischen, Rangers den protestantisch-royalistischen Teil der Stadtbewohner. Diese Glasgower Rivalität strahlt sogar auf das katholisch-protestantische „Clash of civilizations“-Paradegebiet Nord-Irland ab.

Foer begleitet trinkstarke nordirische Rangers-Fans auf ihrer Fährpassage von Schottland nach Belfast. Er trifft sich in Glasgower Kaschemmen mit volltätowierten Rangers-Royalisten. Und er beschreibt präzise das durchchoreographierte Wechselspiel der Fangesänge während des Derbys. Die Rangers begrüßen die irischstämmigen Katholiken mit zarten Liedern wie „If you hate the fucking Fenians clap your hands“, „Up to your knees in Fenian blood“ oder „Fuck the pope“, die anderen haben es mehr mit der IRA.

Aus Nigeria in die Westukraine

Dabei ist es beiden fast egal, wer für sie auf dem Platz steht, ob nicht-britischer Katholik (erstmals 1989!) für die Rangers oder Protestant für Celtic. Star bei Celtic war jahrelang der farbige schwedische Protestant Henrik Larsson. „Old Firm“ bleibt dennoch „Old Firm“.

Am anderen Ende Europas, in Lviv (Lemberg) in der Westukraine, besucht Foer den nigerianischen Fußballgastarbeiter Edward Anyamkyegh, der dort bei der Fahrstuhlmannschaft Karparty Lviv spielt. Anyamkyegh ist einer von Hunderten Nigerianern (und Tausenden aus anderen Ländern der Dritten Welt), die auf den globalisierten Fußballmarkt ausschwärmen, um mehr Geld zu verdienen als in ihrer Heimat, um also überhaupt Geld zu verdienen. Manche landen bei Barca, Milan oder Chelsea. Andere, wie Anyamkyegh, bei Karparty Lviv, nachdem ein lokaler Oligarch den Provinzclub auf Champions League trimmen wollte. „Theoretisch war die Verpflichtung Edwards exakt nach den Regeln der Globalisierung abgelaufen“, schreibt Foer. „Die Ukrainer hatten den internationalen Arbeitsmarkt angezapft und ein Schnäppchen gelandet.“ Wichtig ist hier das Wort „theoretisch“.

Es kommt zu einem sehr spezifischen Clash of Civilizations bei minus 20 Grad. Anyamkyegh wohnt mit seiner Familie in einem abgewrackten Sowjet-Plattenbau, die Matratze auf dem Boden. Er friert, spielt wenig und die Ukrainer halten ihn für einen seelenlosen Söldner, der sich nicht für die Besonderheiten ihrer lokalen Fußballkultur interessiert. Dabei ist Karparty für sie eine westukrainische Bastion im innerukrainischen Kulturkampf. Selbst zu Sowjetzeiten spielten für Karparty fast nur regionale Spieler. Keine Russen. Dass er Afrikaner ist und damit eigentlich neutral, ist für Anyamkyegh auch kein Vorteil. „Monkey“, „Bananas“ kichern die Zuschauer beim Training.

Auch wenn Foer mit Wie man mit Fußball die Welt erklärt nicht die Welt erklärt, hat er ein gutes Buch geschrieben. Er schreibt blitzsaubere Reportagen, schildert Details, lässt die Leute für sich selbst sprechen. Niemand wird bloßgestellt, auch nicht diejenigen, die es verdient hätten: die Arkan-Bewunderer von Roter Stern, der Hool-Opa von Chelsea oder der brasilianische Club-Caudillo.

Eine Welt aus Geschichten

Der analytische Rahmen von Foers Buch ist gewiss nicht der stärkste. Ja, die Globalisierung (was und wie neu sie auch immer ist) ist noch nicht gänzlich in alle Poren menschlichen Zusammenlebens eingedrungen und hat sie uniformiert. Zum Beispiel nicht beim Fußball. Das ist sie in anderen Bereichen, abgesehen von glänzenden Oberflächen aber auch nicht, in der Arbeitswelt, im Fernsehprogramm oder beim Kleidungsgeschmack. Foer verkündet also keine bahnbrechende Erkenntnis. Aber er zeigt: Fußball ist so toll, weil man über ihn so viele Geschichten erzählen kann. Über Fans, über Mannschaften, über Spieler. Wie eine gigantische Soap. Vielleicht geht seine These dann doch noch auf: Fußball erklärt die Welt, weil er Geschichten generiert. Weltweit, emotional, ständig neu. Und die Menschen wollen Geschichten. Mehr als krächzende Fußballer.

Franklin Foer, Wie man mit Fußball die Welt erklärt, München: Wilhelm Heyne Verlag 2006, 272 Seiten, 18,95 Euro

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