Was nach dem Ölpeak übrig bleibt

Erdöl ist so teuer wie (fast) nie zuvor. Bislang hat sich das auf die Industrieländer erstaunlich wenig ausgewirkt. Gründe sind verbesserte Energieeffizienz und verändertes Verhalten der Verbraucher. Doch der weitere Preisanstieg wird uns zu schaffen machen

Öl und Gas sind seit der Jahrtausendwende wieder zu einem tagesaktuellen Politikum geworden. Schuld daran ist vor allem der Ölpreis, der zur Jahresmitte Rekordhöhen von beinahe 80 Dollar pro Fass erreicht hat und damit preisbereinigt nur knapp unter dem Allzeithoch der zweiten Ölkrise im Jahr 1980 lag. Auch der hohe Gaspreis sorgt für Schlagzeilen in Deutschland, dem größten Gasimporteur der Welt. Bisher sind wirtschaftliche Einbußen ausgeblieben, vor allem aufgrund einer außergewöhnlich robusten weltwirtschaftlichen Konjunktur. Doch mittelfristig, so steht zu befürchten, wird das hohe Preisniveau negative Konsequenzen haben – zunächst in Schwellen- und Entwicklungsländern, letztlich auch in Deutschland.

Nicht nur der Preis, auch andere weltpolitische Entwicklungen haben in letzter Zeit die Aufmerksamkeit wieder auf die Rohstoffmärkte gelenkt: China ist als Großverbraucher auf die Weltbühne getreten und versucht nun mit ganzer Kraft, auf dem eigentlich schon aufgeteilten Ressourcenmarkt Fuß zu fassen. Seit der Jahrtausendwende sind die jährlichen Ölimporte der Volksrepublik um sagenhafte 250 Prozent gestiegen. Zudem ist mit dem 11. September und dem Irak-Krieg unklarer geworden, wie der Mittlere Osten sich entwickelt, und diese Region verfügt immerhin über zwei Drittel aller Öl- und gut 40 Prozent aller Gasreserven der Erde. Drittens zeichnet sich ab, dass Energie von den ressourcenreichen Staaten dieser Welt (wieder) zunehmend als Machtwährung eingesetzt wird: Venezuela hat mehrfach gedroht, Öllieferungen in die USA zu stoppen, Iran nutzt im Atompoker seine Macht als drittgrößter und derzeit unersetzbarer Ölproduzent, und die Drohgebärden beider Seiten im russisch-ukrainischen Gasstreit Anfang des Jahres haben auch die vermeintlich sichere Gasversorgung Deutschlands in Frage gestellt.

Vor allem die Energieträger Öl und Gas werden künftig im Rampenlicht der internationalen Geopolitik stehen. Öl, weil seine Ressourcen im Mittleren Osten konzentriert sind und der weltweite Verkehr und der Transportsektor fast vollständig davon abhängig sind; ein Versorgungsausfall träfe einen neuralgischen Punkt westlicher Industrieländer und hätte katastrophale Konsequenzen. Gas, weil es überwiegend mit Leitungen transportiert wird und die Verbraucherländer zumindest kurzfristig von den einmal gelegten Pipelines abhängig sind. Folglich sind die Stabilität und der gute Wille der Produzenten und der Transitländer für die Gasversorgung von großer Bedeutung.

Welche globalen Entwicklungen werden im 21. Jahrhundert relevante Größen für eine Energiepolitik sein, die eine sichere Energieversorgung anstrebt? Hierzu sechs Thesen:

1. Erdöl ist heute weltweit der wichtigste Primärenergieträger und wird dies auch bleiben. Bereits Ende des Zweiten Weltkriegs hat Erdöl in den Industrieländern Kohle als wichtigsten Rohstoff abgelöst und wurde das zentrale Schmiermittel der internationalen Wirtschaft. Die Ölkrisen in den Jahren 1973 und 1979 führten zwar zeitweise zu einem starken Rückgang des weltweiten Ölverbrauches, doch zwischen 1971 und 2005 hat sich der Ölverbrauch weltweit um 60 Prozent erhöht.

Alle gängigen Prognosen besagen, dass Öl im Jahr 2030 weiterhin der wichtigste Energieträger in Deutschland und der Welt sein wird. Sein Anteil am weltweiten Energieverbrauch sinkt unwesentlich auf 34 Prozent, absolut steigt der Verbrauch aber deutlich. Vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländer wächst die Nachfrage aufgrund zunehmender Motorisierung rasant, bis 2030 werden diese Länder für zwei Drittel des gesamten Zuwachses an Ölverbrauch verantwortlich sein.

2. Die weltweit nachgewiesenen Ölreserven reichen aus, um die steigende Nachfrage zu decken. Zwar prognostizieren die meisten Wissenschaftler das so genannte Ölpeak (Zeitpunkt der maximalen Ölförderung) für den Zeitraum zwischen 2020 und 2025. Jedoch wird dies keine weltwirtschaftlich katastrophalen Konsequenzen haben.

Zum einen ist die Menge der gesichert nachgewiesenen Ölreserven trotz 30-jähriger weltweiter Förderung jedes Jahr gestiegen. Zum anderen steigt ab dem Zeitpunkt des Ölpeaks der Preis, womit der weltweite Verbrauch sinkt. Dadurch fällt das Öl-Angebot keineswegs sofort ab, sondern wird viele Jahre lang konstant bleiben. Für die Industrieländer ist dies kein bedrohliches Szenario, für Entwicklungsländer hingegen Besorgnis erregend.

3. Energiepolitik wird immer mehr zur Geopolitik werden. Dafür sind zwei Entwicklungen verantwortlich: Erstens sind die verbleibenden Reserven von Öl und Gas geografisch sehr stark konzentriert (siehe Abbildung). Dieser Konzentrationsgrad steigt aufgrund des raschen Niedergangs der Produktion im Rest der Welt zudem rapide an. Beispielsweise liegen rund 60 Prozent aller weltweiten Gasreserven in nur drei Ländern, nämlich Russland, Katar und Iran. Die Folge: Mittelfristig steigt die Importabhängigkeit der Verbraucherländer von den Ländern des Mittleren Ostens unausweichlich. Die großen Produktionssteigerungen der vergangenen drei Jahrzehnte außerhalb der OPEC (zum Beispiel in der Nordsee) sind heute nicht mehr möglich. Zweitens konkurrieren zusätzlich die boomenden Volkswirtschaften Chinas und Indiens um die verbleibenden Ressourcen, was die Markt- und Machtgleichgewichte neu verteilt. Die internationale Energiepolitik steht also vor einer doppelten Herausforderung: Die Nachfrage steigt und die Ressourcen sind zunehmend in einer instabilen Weltregion konzentriert.

4. Bisher hat sich der hohe Ölpreis in den Industrieländern ökonomisch kaum ausgewirkt. Woran liegt das? Zwar ist der Ölverbrauch der OECD-Länder in den letzten drei Jahrzehnten stark gestiegen, jedoch haben die „Ölintensitäten“ (der Ölverbrauch pro Einheit Bruttoinlandsprodukt) seit dem Jahr 1971 um rund 50 Prozent abgenommen. Gründe sind mehr Energieeffizienz und ein anderes Verbraucherverhalten nach den Ölkrisen der siebziger Jahre. In der Folge sind die Industrieländer heute ökonomisch unabhängiger von Öl und sie können hohe Ölpreise weit besser verkraften als Anfang der Siebziger. Für Deutschland gilt das ganz besonders, unser Ölverbrauch ist in den letzten 30 Jahren sogar leicht gesunken. Entwicklungs- und Schwellenländer hingegen haben im Vergleich zu Industrieländern sehr hohe Ölintensitäten und sind daher leichter verwundbar.

Hohe Ölpreise treffen arme Länder härter

In Schwellenländern sorgt die Industrialisierung für erhöhten Ölverbrauch bei zumeist geringer technischer Effizienz. Entwicklungsländer dagegen weisen typischerweise einen geringen Ölverbrauch auf, liegen jedoch bei der Energieeffizienz und beim BIP am unteren Ende des Spektrums. Hinzu kommen traditionelle Probleme wie fehlende Devisen, eine hohe Verschuldung und ineffiziente staatliche Strukturen. Ein hoher Ölpreis trifft die Volkswirtschaften der Entwicklungsländer dann besonders, der erhöhte Devisenbedarfs führt zu noch mehr Schulden. Der ab dem Ölpeak zu erwartende Preisanstieg wird daher vor allem für Entwicklungsländer schmerzhaft werden. Öl ist letztlich auch eine entwicklungspolitische Herausforderung.

5. Obwohl Deutschland nur rund sechs Prozent seines Öls aus dem Mittleren Osten importiert, sind wir nicht unabhängig von der politischen Instabilität in dieser Region. Leider führt auf dem international hoch vernetzten Ölmarkt eine Versorgungsstörung an einem beliebigen Glied der Kette sofort zu steigenden Preisen. Auch das Öl aus den vermeintlich sicheren Quellen wird dann zu aktuellen Weltmarktpreisen verkauft. Die Unabhängigkeit von Importen aus der instabilen Region des Mittleren Ostens garantiert deshalb keineswegs eine sichere Energieversorgung, denn die ökonomischen Konsequenzen eines Ausfalles tragen alle Marktteilnehmer.

6. Eine kaum beachtete Entwicklung hat zu fundamentalen Veränderungen der internationalen energiepolitischen Landschaft geführt: Staatliche Konzerne dominieren das Öl- und Gasgeschäft, der Anteil multinationaler privater Unternehmen ist stark gesunken. In den siebziger Jahren lag noch fast die gesamte Öl- und Gasproduktion in den Händen multinationaler privater Unternehmen. Heute sind es beim Öl gerade mal 15 Prozent, bei den Gasexporten sogar noch weniger. Vielerorts bestimmt daher nicht der Markt über Investitionen und Förderquoten, sondern lokale Eliten. Deshalb fehlen Produktionskapazitäten, was sich wiederum negativ auf den Preis auswirkt. Nachgelassen hat damit auch der Einfluss westlicher Regierungen, Öffentlichkeiten oder Aktionärsversammlungen auf das Handeln von Unternehmen in Ölförderländern.

Staatskonzernen sind westliche Werte fremd

Die staatlich kontrollierten Konzerne teilen nur selten westliche Werte und Vorstellungen. Das wirkt sich auf die entwicklungspolitische Debatte über ethische Mindeststandards bei der Ressourcengewinnung ebenso aus wie auf die internationalen Beziehungen. Die Staatskonzerne agieren nämlich häufig mehr als (außen-)politische denn als wirtschaftliche Akteure. Beispiele sind der Sudan und Iran, wo die aktive chinesische Unterstützung der staatlichen Ölkonzerne eine konzertierte Entscheidung des UN-Sicherheitsrates sowohl bei der Darfur-Krise als auch beim iranischen Atomprogramm deutlich erschwert.

Die hier vertretenen Thesen beziehen sich nur auf die Öl- und Gasversorgung. Zu diskutieren gibt es in der Energiepolitik noch viel mehr: die Auswirkungen des Ölpreises auf die Stabilität der internationalen Finanzmärkte, die klimapolitischen Herausforderungen oder den Übergang in das Nach-Öl- und Nach-Gas-Zeitalter. Energiepolitik ist mit vielen anderen zentralen Politikfeldern eng verwoben. Sie wird uns länger als nur vorübergehend beschäftigen.

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