Wandel durch Annäherung?

zu Oliver Schmolke, The Times They Are A-Changin’, Berliner Republik 2/2010

„Einfach, niedrig und gerecht“ – wer dieser Tage über die aUmfragewerte der FDP ästern will, tut das bevorzugt mit Westerwelles ehemaligem Steuer-Mantra. Tatsächlich stellt sich für die Liberalen nach nur wenigen Monaten in der so ersehnten „bürgerlichen Koalition“ bereits die politische Sinnfrage: Wozu eigentlich Schwarz-Gelb? Die zentralen FDP-Wahlversprechen Steuersenkungen und Gesundheitsreform – von Kanzlerin Angela Merkel kurzerhand abgeräumt oder von der CSU genüsslich sabotiert. Die FDP im Euro- und Finanzkrisenmanagement – unter Merkels Regie nur in der Statisten-Rolle. Der Bundespräsidenten-Kandidat der CDU – abgenickt ohne erkennbare liberale Einflussnahme. Mit dem Verlust der schwarz-gelben Mehrheit im Bundesrat ist die FDP im Bund zudem weiter marginalisiert – de facto hat in zentralen Fragen Schwarz-Rot die Macht im Land übernommen.

Entsprechend miserabel sind die Haltungsnoten für die liberale Führungsriege in Regierung und Fraktion. Das Urteil von Wählern und Demoskopen ist selten eindeutig: Im Mai hat die FDP die bundesweit schlechtesten Umfragewerte seit sechs Jahren eingefahren; nicht weniger als 81 Prozent der FDP-Wähler sind unzufrieden mit der eigenen Bundesregierung. Das stolze Ergebnis der Bundestagwahlen von 14,9 Prozent hat sich nur wenige Monate später in Nordrhein-Westfalen mit 6,7 Prozent mehr als halbiert. Damit ist die liberale Ur-Angst vor der Fünf-Prozent-Hürde plötzlich wieder sehr real. Verliert die Partei auch bei den Landtagswahlen im nächsten Jahr in einer derartigen Größenordnung, wären die Folgen dramatisch: Die FDP würde kurzerhand aus den Länderparlamenten in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Bremen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern fliegen; die Regierungsbeteiligung in Baden-Württemberg wäre mehr als fraglich. Kein Wunder, dass die Partei nervös wird. Längst stellen Jungliberale und Altvordere, Länder-Granden und Bundesministerinnen Westerwelles Kurs offen in Frage.

Es ist also höchste Zeit für einen Relaunch der FDP. Doch spätestens seit dem grotesken Schlingerkurs von Dehler-Haus und NRW-FDP in Düsseldorf wachsen die Zweifel an der Führungs- und Strategiefähigkeit der Parteispitze. Auf dem Spiel steht dabei nicht nur das Parteiwohl der FDP, sondern längst auch die Entwicklung der deutschen Parteiendemokratie.

Mit Recht beklagt Oliver Schmolke in der Berliner Republik 2/2010 den Mangel an politischen Alternativen zu der herrschenden Farbenlehre. Die Ergebnisse der Wahlen in Hessen und nun in Nordrhein-Westfalen, die grassierende „Ausschließeritis“ und die quälende Regierungsbildung danach zeigen, dass die deutsche Parteiendemokratie in ihrer aktuellen Konstellation an Grenzen stößt. Und das in einer Zeit, in der das Vertrauen in die Demokratie rasant abnimmt: Jeder dritte Deutsche (und im Osten sogar jeder zweite) glaubt nicht mehr daran, dass die Demokratie noch Probleme lösen kann. Rund 25 Prozent der Bürger (und im Osten 41 Prozent) sagen, dass sie „mit der Demokratie, wie sie heute bei uns ist“ nichts mehr zu tun haben wollen. Die Wirtschaftskrise und die Euro-Krise drohen die Vertrauenserosion zu beschleunigen. Was in Hessen passierte und nun in NRW stattfindet, droht zum Syndrom eines erodierenden Systemvertrauens zu werden.

Dass Sozialdemokratie und Liberale daran nicht ganz unschuldig sind, ist offensichtlich. Nicht zuletzt deswegen, weil „Sozen“ wie „Effdepisten“ politisch und kulturell seit Jahren sorgfältig die wechselseitigen Vorurteile und Feindbilder kultiviert und mit jedem Wahlkampf vertieft haben. Woher soll das sozialliberale Revival also kommen? Schmolke wirbt um die Gemeinsamkeiten: Bürgergesellschaft, Chancengleichheit, Leistungsgerechtigkeit. Zugegeben, es braucht viel Fantasie, aber ein solcher sozialliberaler Dialog, der die Möglichkeiten für Partizipation und sozialen Aufstieg beispielsweise in einer zu konturierenden „Teilhabe-Gesellschaft“ diskutiert oder einen zeitgemäßen Wachstumsbegriff progressiv neu ausleuchtet, wäre politisch und intellektuell äußerst spannend. Man muss dazu nicht gleich, wie Schmolke, den „Gesellschaftsvertrag“ erneuern oder „den gesamten historischen Raum der Moderne ausmessen“ wollen. Zuviel ideenpolitischer Überschwang könnte den progressiven Diskurs allzu rasch überfordern.

Gefragt sind vielmehr realpolitischer Pragmatismus und der nüchterne Blick auf die Interessen. Die Herausforderung lautet jetzt, jenseits der quasi-weltanschaulichen Meta-Konflikte (fach-)politische Schnittmengen zu suchen – in bester sozialliberaler Tradition frei nach dem Prinzip „Wandel durch Annäherung“. Eine parteipolitische „Politik der kleinen Schritte“, ein modus vivendi ohne politischen Schaum vor dem Mund könnte langfristig die Sprachlosigkeit zwischen FDP und SPD überwinden helfen.

Denn im Zweifel wird es für die FDP weniger um die von Schmolke angeführte Verantwortungsethik, als um das Parteiwohl der Liberalen, sprich eine politische Überlebensstrategie gehen. Sozialliberal wird vielmehr dann funktionieren, wenn es nicht nur ein normatives Fundament, sondern vor allem auch eine machtpolitische Perspektive bekommt. Die FDP als progressive Kraft der Mitte würde ihre Koalitions- und Machtoptionen im Fünf-Parteien-System maximieren – auch wenn die Liberalen in der Wettbewerbsdemokratie härter, umfassender und differenzierter um ihr Profil ringen müssten. Wenn Rot und Gelb über gemeinsame Ziele zumindest ins Gespräch kämen, ohne sich über die Mittel gleich wieder zu entzweien, wäre bereits viel erreicht. Der politisch latent heimatlose progressive spirit, der nicht nur zwischen Teilen von SPD und FDP, sondern auch von Grünen und Union oszilliert, hätte wieder einen Kern. Und unser Parteiensystem durch neue denkbare Mehrheiten endlich eine neue Perspektive.

Kann das gelingen? Das Signal aus Düsseldorf sei auch in Berlin gehört worden, beteuerte Guido Westerwelle. Doch Zweifel sind erlaubt. Zumindest die „intellektuelle Neuausrichtung“ der Liberalen, vom FDP-Chef vor den Bundestagswahlen vollmundig angekündigt, ist bisher ebenso wirkungsfrei geblieben wie die forsch proklamierte „geistig-moralische Wende“. Keine Frage: Der politisch-intellektuelle Aufwand, die programmatisch verwahrloste Partei wieder auf die Höhe der Zeit zu führen und brachliegende Politikfelder endlich wieder kompetent zu bespielen, wäre enorm. Bedingung ist, dass die Partei den Mut aufbringt, sich von ihrer Eindimensionalität zu verabschieden: personell (Westerwelle), programmatisch (Steuerpolitik) und strategisch (keine Koalition ohne Union). Als Alternative bietet sich der FDP nur noch das winning ugly am rechtsliberalen Rand, wo der systemverdrossene spirit auf seine Kapitalisierung in Wählerstimmen wartet. Und die harten Bänke der Opposition.

Progressiver Aufbruch also oder auf dem Weg zur nasty party? Jetzt geht es um politische Führungsstärke und den Mut für eine sozialliberale Entspannungspolitik. Vielleicht sollte Guido Westerwelle wieder öfter mit Walter Scheel telefonieren. «

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