Vom Mehrwert kirchlicher Einrichtungen

zu Eva Müller, Gott hat hohe Nebenkosten, Berliner Republik 1/2013

Die Verdächtigung Eva Müllers, die Kirche lebe auf fremde Kosten und in Wirklichkeit würden andere für sie zahlen, mag Ressentiments und Gefühligkeiten bestätigen. Aber ich widerspreche entschieden. Lassen wir uns den Blick nicht vernebeln! Kosten und Nutzen richtig zu rechnen, lohnt sich. Das Ergebnis widerlegt alle Vorurteile.

Geschichten und Erfahrungen des konkreten Lebens haben ihr eigenes Gewicht. Gerade die Kirche muss dem gerecht werden. Der Eindruck, unbarmherzig und rigoristisch zu sein, wird oft an die katholische Seite gerichtet und muss der Kirche besonders weh tun. Andererseits gehören Regeln, Gesetze, Verabredungen zum konkreten Leben. Wenn die Betroffenen Regeln und Anforderungen in Bereichen, die besonders das Profil und die Identität der Kirche betreffen, ausdrücklich anerkannt und als eine für sie gültige Verpflichtung bestätigt haben, dann sollen sie sich mit offener Entrüstung zurückhalten, wenn sie dem später nicht entsprechen. Ich möchte als verantwortlicher kirchlicher Arbeitgeber in Konfliktfällen nach erträglichen Lösungen suchen. Dazu braucht es Diskretion und Rücksicht auf beiden Seiten. Ich will nicht der Heuchelei oder der Lüge das Wort reden, wohl aber der Klugheit. Man muss Regeln und Prinzipien hochhalten, sie aber zugleich richtig anwenden. Dass – es gehören immer zwei Seiten dazu – es zu bitteren Konflikten kommen kann, ist natürlich nicht auszuschließen. Achten wir darauf, einander nicht zu beschädigen!

Ich widerspreche entschieden der Grundvoraussetzung: Wer zahlt, der hat auch das Sagen. Wenn der Staat zahlt, dann tut er es für eine Vielfalt der Gesellschaft und ihrer Gruppen. Unter einem allgemeinen Finanzschirm soll es eigene Gegebenheiten mit ihren Profilen und Loyalitäten geben. Wer ist der Staat? Alle Bürgerinnen und Bürger! Das sind über sechzig Prozent Christen mit ihren verfassten Kirchen. Dazu kommen viele andere, die zu anderen christlichen Glaubensrichtungen gehören oder einfach etwas von Religion halten. Den Staat bilden auch Verbände und Vereine, die dem Ganzen dienen, Gewerkschaften und Parteien. Unser Staat baut auf der Grunderfahrung der Subsidiarität auf. Viele Bereiche werden vom Staat mit Mitteln der Allgemeinheit unterstützt. Wenn es sich um notwendige Dienste für die Allgemeinheit handelt, deren Kosten nur er leisten kann, muss der Staat die Finanzierung gewähren.

Das deutsche System hat große Vorteile. Die Vielfalt steht für größere Wirksamkeit. Oft ist die Mitarbeiterschaft in nichtstaatlichen Einrichtungen besser motiviert. Sie arbeitet, da es um ihr „Eigenes“ geht, auch kostengünstiger. Die Vielfalt mit ihrem breiten Spektrum bietet den „Kunden“ gute Wahlmöglichkeiten und wird von ihnen geschätzt. Staat und Gesellschaft erhalten mit freien Trägern einen echten Mehrwert.

Dabei haben gerade Einrichtungen der Kirche einen guten Ruf. Sie stehen in eindrucksvollen Traditionen und erleben eine hohe Nachfrage. Natürlich bilden sie keine gesetzesfreien Räume. Aber im Rahmen allgemeiner gesetzlicher Regelungen kann die Kirche – gesetzlich verbrieft – ihr Eigenes ordnen. Das ist bei Privatschulen und vergleichbaren Einrichtungen nicht anders, die auch unterschiedlich vom Staat gefördert werden.

Unsere Häuser wollen nicht nur höchste Qualität und Professionalität bieten, sondern stellen sich immer dem Anspruch einer Allgemeinversorgung. Dabei verpflichten sie sich auf einen christlich-kirchlichen Geist und geben sich zusammen mit der Mitarbeiterschaft gemeinsame Leitlinien. Jedes Haus achtet auf sein Profil: auf Gottesdienst und Andacht, auf die Traditionen der Kirche und besonders auf die Haltung, den Geist, der einer kirchlichen Einrichtung entspricht. Wer aus seiner Kirche ausgetreten ist oder keiner christlichen Kirche angehört, kann nicht dem Profil eines kirchlichen Hauses entsprechen. Selbstverständlich sollten die Führungspersönlichkeiten ihrer Kirche angehören und sich auch durch eine entsprechende äußere Lebensform auszeichnen. Gleichwohl verdient das Privatleben immer Schutz. Katholische Krankenhäuser nehmen keine Abtreibungen vor. Um diese Gegebenheiten wissen alle vor und bei ihrer Einstellung, genauso wie die Patienten. Diese wählen oft bewusst ein kirchliches Haus, weil sie gerade dieses Profil schätzen.

Nicht vergessen werden darf, dass kirchliche Häuser nicht profitorientiert arbeiten. Damit sieht die staatliche Finanzierung einer kirchlichen Einrichtung anders aus als die einer privaten, die Gewinne erwirtschaften will. Unter diesen Voraussetzungen entspricht es der Gerechtigkeit, dass der Staat kirchliche Einrichtungen, die dem Ganzen dienen, so wie auch alle anderen behandelt. Das folgt aus dem Grundverständnis von einer pluralen und auf Subsidiarität bauenden Gesellschaft.

Starke Erschütterungen haben Vorfälle an Kölner katholischen Krankenhäusern zum Ende des vergangenen Jahres hervorgerufen, die unmittelbar die Fragen nach der Identität, dem Profil und besonders der Glaubwürdigkeit katholischer Einrichtungen in der deutschen Gesellschaft betreffen. Ohne die konkreten Umstände prüfen und beurteilen zu müssen, bleibt im Ergebnis das Bild einer kirchlichen Realität, das im krassen Widerspruch zu allem steht, was Menschen von ihr erwarten wollen. Der Vorgang hat sich offenbar in einer konkreten Situation vor Ort ereignet, die von Druck, Misstrauen und Ängsten bestimmt war.

Das Erzbistum Köln und Kardinal Joachim Meisner haben schnell reagiert. Die deutschen katholischen Bischöfe haben die Kölner Problematik eingehend diskutiert und ihrerseits klare Ansagen getroffen: Es wird erstens keine Patientin abgewiesen, jede erfährt die gebotene und mögliche Hilfe. Zweitens sind katholische Häuser ohne Einschränkung dem Dienst am Leben verpflichtet. Sie verlieren nicht ihr unterscheidendes Profil, sie nehmen keine Abtreibungen vor. Patientinnen werden angemessen, ohne Ausübung von Druck informiert. Treffen sie eine andere Entscheidung, so erfahren sie Respekt und werden nicht alleingelassen. Die dritte Ansage geschieht mit Blick auf jüngere medizinische Entwicklungen zur „Pille danach“: Zu der üblichen „Pille danach“ mit dem Effekt der Abtreibung sind neue „Pillen danach“ hinzugekommen. Diese verhindern nachträglich die Befruchtung, wirken also nicht abtreibend. Nach katholischer Sicht sind die letzteren Medikamente in den fraglichen Situationen zu verantworten und können eine geeignete Hilfe bieten.

Diese Klärungen helfen einerseits, den Opfern von Vergewaltigungen wirksam beizustehen, sie werden andererseits dem Anspruch eines katholischen Krankenhauses gerecht. Die Diskussion über die Vorfälle wurde von vielen öffentlichen Misstönen zum Schaden der katholischen Kirche begleitet. Aber sie stellt mit Recht den unaufgebbaren kirchlichen Anspruch heraus, dass ein Menschenleben immer unantastbar bleiben muss. Der genaue Blick auf die Sachverhalte zeigt: Für die Gesellschaft wie für den Staat ist es gut, wenn es kirchliche Häuser gibt, die die Würde und den Schutz des ungeborenen Lebens verteidigen, ohne Menschen in ihrer Not allein zu lassen.

Kirchliche Einrichtungen zeigen ihr Profil und ihre Identität auch dadurch, dass sie beim Tarif- und Beschäftigungswesen einen eigenen Weg gehen – nicht außerhalb der gesetzlichen Ordnungen, jedoch mit einer spezifischen Ausrichtung und besonderen Akzenten.

Die Grundlage bietet die Leitidee einer Dienstgemeinschaft im Raum der Kirche, bestimmt von christlichem Geist und der Bereitschaft, den Dienst in den sozialen Einrichtungen der Kirche als eine Form von praktischem Christentum zu verstehen. Das komplexe Regelwerk unserer Arbeitsverträge bewährt sich im Ganzen als verlässlich und sozial gerecht. Unsere Tarife gleichen sich den öffentlichen an. Im Gehaltsgefüge werden die unteren Stufen angehoben, während die oberen im Vergleich etwas niedriger sind als in öffentlichen Bereichen. Die Anforderungen der Ordnung an führende Mitarbeiter bezüglich ihrer Loyalität zur Kirche und einer entsprechenden Lebensführung sind einsichtig, tragen sie doch Sorge für das notwendige kirchliche Profil. Jeder Einzelne übernimmt sie in eigener Entscheidung. Spektakuläre Einzelfälle sollen nicht das gesamte Bild bestimmen. Einvernehmliche Lösungen, auch Ausnahmen, helfen, die Grundidee der notwendigen Loyalität in Verantwortung und Rücksicht zu wahren.

Ein aktuelles Problem, das sich auch in anderen Zweigen der Wirtschaft stellt, bilden Ausgründungen von Teilbereichen aus dem geltenden Tarifsystem der Kirche. Sie stellen oft eine unausweichliche Entscheidung dar. Kirchliche Arbeitgeber wissen sich in der Pflicht, in diesen Bereichen keine ungerechten Lohn- und Arbeitsbedingungen zuzulassen.

Man wird darüber nachdenken müssen, ob man nicht Modelle eines kirchlichen Arbeitswesens entwickeln kann, für die ein unaufgebbarer Kernbereich im Sinn der kirchlichen Ordnungen gilt, der aber umgeben ist von anderen, ihm zugeordneten Zweigen mit eigenen Tarifen und auch mit gestuften Loyalitätsanforderungen.

Die Kirche steht immer wieder neu in der Bewährung, wie sie ihre sozialen Dienste gerecht und in einem christ-lichen Geist gestalten und führen kann. Gesellschaft und Staat

müssen ihrerseits ein hohes Interesse daran behalten, ein vielgestaltiges, effektives, den Menschen entsprechendes Sozialwesen zu erhalten, dem christliche Einrichtungen dienen. Es tut allen gut, wenn kirchliche Einrichtungen unterscheidbar bleiben, wenn sie dem für immer wertvollen, immer auch gebrochenen Leben dienen, ohne das unterscheidend Christliche aufzugeben.

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