Vertrauen in der Krise

Viele Bürger sind von den Banken schwer enttäuscht. Nun arbeiten die Kreditinstitute daran, Vertrauen zurückzugewinnen. Dafür bedarf es auch besserer Regeln für das Bankgeschäft

In den Wochen und Monaten seit Ausbruch der Finanzmarktkrise ist in Deutschland viel von „Vertrauen“ die Rede – ein untrügliches Zeichen dafür, dass Vertrauen zu einer knappen Ressource geworden ist. Schließlich gehört es zu jenen Gütern, die man oft erst dann wirklich zu schätzen weiß, wenn sie nicht mehr oder zumindest nicht mehr in gewohntem Maße zur Verfügung stehen.

Dass Vertrauen im privaten Miteinander von elementarer Bedeutung ist, liegt auf der Hand. Aber auch eine Gesellschaft kommt nicht ohne ein Mindestmaß an „öffentlichem Vertrauen“ aus. Vom Zahnarztbesuch bis zur Autoreparatur – schon ganz alltägliche Vorgänge setzen eine Art intuitive Vorleistung des Einzelnen voraus: das Vertrauen darauf, dass Menschen gewillt und in der Lage sind, „Geschäftsbeziehungen“ so zu gestalten, dass sie für alle Beteiligten dauerhaft von Nutzen sind, dass das Vertrauen in die Leistung des anderen also nicht missbraucht oder enttäuscht wird.

Nicht nur die Finanzmarktkrise gibt Anlass, sich dem Thema Vertrauen in der Gesellschaft stärker zuzuwenden, aber sie tut dies natürlich in besondererWeise. Verdienen die Banken in Deutschland Vertrauen? Nicht wenige Bürger und Bankkunden stellen sich derzeit diese Frage. Und es besteht kein Zweifel: Das Ansehen der Finanzbranche hat im Zuge der schweren Verwerfungen auf den Kapitalmärkten Schaden genommen, das Vertrauen in die Banken hat gelitten.

Das ist angesichts des Ausmaßes und der Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise auch verständlich. Es bedeutet allerdings nicht, dass deshalb alle Vorwürfe, die gegen die Kreditwirtschaft erhoben werden, zutreffend sind. Für viele ist der Weg von der Feststellung, dass Banken auch in Deutschland Fehler gemacht haben, zu dem Schluss, die Banken – und nur die Banken – seien daher gleich für die gesamte Misere und alle ihre wirtschaftlichen Folgen verantwortlich, oft überraschend kurz.

Differenzierung tut Not

Doch auch das ist nachvollziehbar. Vor mehr als 40 Jahren hat der Soziologe Niklas Luhmann darauf aufmerksam gemacht, was sozialpsychologisch dahinter steckt: Weil der Einzelne nicht auf allen Gebieten über ausreichendes Wissen verfügt und auch nicht über die nötige Zeit, um sich jeweils ein fundiertes und abgewogenes eigenes Urteil zu bilden, erfülle Vertrauen die wichtige Funktion, gesellschaftliche Komplexität auf ein für das Individuum erträgliches Maß zu reduzieren. Und Misstrauen – das Gegenteil von Vertrauen – hat nach Luhmann interessanterweise dieselbe Funktion, nämlich Komplexität zu reduzieren. Einfacher ausgedrückt: Positive und negative Vorurteile – oder vorschnelle Urteile – helfen dem Menschen, sich in unübersichtlichen
Situationen zurechtzufinden.

Genau das erleben wir seit einiger Zeit in der Diskussion über die Ursachen der Finanzmarktkrise. Weil die Vorgänge komplex sind und es keine einfachen Erklärungsmuster für diese Krise gibt, tritt mitunter pauschales Misstrauen an die Stelle einer differenzierten Betrachtung. „Die Banken sind an allem schuld“, „Das ‚kapitalistische‘ System hat versagt“ oder „Bankmanager verdienen zu viel“ – solche Pauschalurteile reichen dann aus, um jede „misstrauensbildende“ Diskussion bestreiten zu können.

Differenzierung tut also Not. Dabei muss es auch Banken erlaubt sein, sich zu äußern, ohne sogleich den Vorwurf auf sich zu ziehen, sie wollten damit nur von eigenen Fehlern ablenken.

Zunächst ist festzustellen, dass die Finanzmarktkrise ihren Ursprung nicht in Deutschland, auch nicht in anderen Ländern Europas, sondern in den USA hat. So herrscht hierzulande beispielsweise eine andere, sehr viel stärker von Vorsicht geprägte Kreditkultur als in den Vereinigten Staaten. Dort wurden Immobiliendarlehen – und zwar regelmäßig von nicht beaufsichtigten Kreditmaklern und nicht von Banken – an Kunden vermittelt, die sich diese Kredite offensichtlich nicht leisten konnten. Befördert wurde dies durch das freizügigere amerikanische Hypothekenrecht und eine politisch gewollte Eigenheimförderung, auch in Form einer Niedrigzinspolitik der amerikanischen Notenbank.

Welche Vorwürfe sind berechtigt?

Das war das eine große Ursachenbündel, das die Finanzmärkte in die Krise geführt hat. Hinzu kommt – und hier tragen auch deutsche Kreditinstitute eine Mitverantwortung –, dass über Kreditverbriefungen komplizierte Finanzprodukte geschnürt und als vermeintlich sichere Anlage an Investoren in aller Welt verkauft wurden. Auch eine Reihe deutscher Banken und Sparkassen hat solche Produkte gekauft (und weiterveräußert), ohne sich immer ausreichend der damit verbundenen Risiken bewusst gewesen zu sein.

Unzureichendes Risikomanagement, fehlende Transparenz, zu komplizierte Produkte und Vergütungssysteme,die deren Vertrieb mitunter zu sehr befördert haben – das sind die Punkte, mit denen sich die Banken in Deutschland, schon im eigenen Interesse, auseinandersetzen müssen. Und sie tun dies äußerst intensiv, indem sie solche Schwachpunkte analysieren und systematisch beseitigen.

Das ändert nichts daran: Jeder festgestellte Fehler ist grundsätzlich ein Fehler zuviel. Banken hätten wissen und beherzigen müssen, dass ihr Geschäft vom Vertrauen lebt. Vorhaltungen aber, Banken hätten in Deutschland Kunden in großem Stil „abgezockt“ und die Krise mit unersättlicher Gier sehenden Auges, also fast vorsätzlich herbeigeführt, entbehren jeder Grundlage. Banken und ihre Mitarbeiter als „Brandstifter“ und „Bankster“ hinzustellen, ist böswillig. Es erschwert die vorbehaltlose Analyse der Krise, weil es neue Vorbehalte und neues Misstrauen schürt, und es ist unredlich.

Gewiss: Überzeichnung gehört zur öffentlichen Debatte. Und auch die nicht mehr akzeptable Übertreibung ist in manchem Leitartikel, an manchem Stammtisch und in mancher politischen Diskussion, erst recht in Wahlkampfzeiten, an der Tagesordnung. Welche Erfahrungen aber machen die Bürger als Bankkunden Tag für Tag mit ihrer Bank? Hier zeigt sich ein anderes, differenziertes Bild: Während nämlich 54 Prozent der Deutschen angeben, durch die Finanzmarktkrise sei ihr Vertrauen in „die Banken“ stark beeinträchtigt worden, sagen dies nur 8 Prozent mit Bezug auf ihre eigene Bank. Eine Mehrheit von 53 Prozent sieht die Beziehung zur Hausbank gar nicht belastet, wie eine Mitte März durchgeführte repräsentative Umfrage des Mannheimer ipos-Instituts im Auftrag des Bankenverbandes zeigt. Dort, wo ein persönlicher Kontakt besteht und konkrete eigene Erfahrungen vorliegen, ist die Vertrauensbasis der Kunden demnach deutlich stabiler.

Was bei Banken anders ist

Dabei wird man in Rechnung stellen dürfen, dass die Maßstäbe, die an Banken angelegt werden, besonders hoch sind. Und Enttäuschungen, und somit auch Vertrauensverluste, sind naturgemäß dort am größten, wo besonders hohe Erwartungen bestehen. Das gilt bei Banken aus verschiedenen Gründen: Zunächst ist Geld, rein subjektiv und fast schon sprichwörtlich, eben „Vertrauenssache“.

Aber es kommen objektive Faktoren hinzu. Beispielsweise ist es in vielen Branchen üblich, dass Unternehmen nur ihre eigenen Produkte verkaufen. Wer einen Neuwagen sucht, kann nicht damit rechnen – und erwartet auch gar nicht –, dass ihm ein Auto der Konkurrenzmarke erklärt und empfohlen wird. Bei Banken ist das anders: Nicht nur Verbraucherverbände fordern immer wieder, dass Banken auch Produkte konkurrierender Anbieter im Sortiment haben sollten. In einer Wirtschaftsordnung, in der der Wettbewerb im Wesentlichen über Produktqualität geführt wird, also der Unternehmenserfolg vom Preis-Leistungs-Verhältnis der angebotenen Produkte abhängt, ist das durchaus nicht selbstverständlich.

Niemand fragt den Gastwirt

Ein anderes Beispiel: Wer käme auf die Idee, ein Gastwirt habe selbstverständlich Auskunft darüber zu geben, zu welchem Preis er die in der Karte angebotenen Weine eingekauft hat? In welcher anderen Branche wird Anbietern vorgegeben, öffentlich Rechenschaft über ihre Preiskalkulation abzulegen? Bei Banken ist das gang und gäbe. Solche Besonderheiten, von denen es viele gibt (etwa auch die zahlreichen „Hand- und Spanndienste“, zu denen Banken bei der Eintreibung von Steuern und der Beschaffung diverser Bürgerdaten gesetzlich verpflichtet
worden sind) stoßen nicht immer auf das Verständnis der Bankkunden.

Den Banken bleibt hier nur, ebenso konsequent wie ausdauernd für Vertrauen zu werben. Denn Vertrauen lässt sich nicht auf Knopfdruck herstellen. Es muss wachsen, in kleinen Schritten, und sich durch wiederkehrende Bestätigung und Bewährung festigen. Wo die Banken durch eigenes Zutun Vertrauen verloren haben, werden sie es nur wiedererlangen können, wenn sie alle notwendigen Lehren aus der Finanzmarktkrise ziehen.

Notwendig sind außerdem bessere und wirksame – nicht einfach nur mehr und härtere – Regeln für das Bankgeschäft. Es müssen also Defizite in der Kreditwirtschaft behoben, aber auch Fehler im regulatorischen Rahmenwerk korrigiert werden. Zu beidem wollen die privaten Banken in Deutschland ihren Teil beitragen.

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