Unsere Nachbarn, unser Europa

EDITORIAL

Polen ist nah, Polen ist groß, Polen ist für Deutschland bedeutsam, politisch wie strategisch. Dennoch gibt es in Deutschland einen rational schwer erklärbaren Unwillen, sich dem östlichen Nachbarn – wie auch den anderen postkommunistischen Staaten Europas – mit Geduld und echtem Interesse zuzuwenden. Gewiss, oberflächliche Begründungen dafür fallen einem ohne weiteres ein, im Falle Polens sowieso. Da sind vor allem die populistischen Zwillinge Kaczynski und alles, wofür sie politisch und kulturell stehen. Der britische Economist beschrieb die Kaczynskis soeben erst als „streitsüchtig nach innen wie nach außen“ und fügte hinzu: „Sie haben wiederholt Deutschland beleidigt – das mehr als jeder andere Staat getan hat, um die EU vor Polens Beitritt dazu zu bringen, über offensichtliche politische und wirtschaftliche Schwächen des Landes hinwegzusehen.“

Deutsche und Deutschland haben also jeden Anlass, auf das Gebaren der Kaczynskis verbittert zu reagieren. Aber Verbitterung ist unpolitisch. Angebracht ist stattdessen zweierlei: Zum einen ist es (gerade aus sozialdemokratischer Perspektive) sinnvoll, gründlich zu analysieren, welchen Beitrag Deutschland selbst dazu geleistet hat, den Aufstieg der Kaczynskis zu ermöglichen. Wie Thomas Urban überzeugend darlegt, spielte jedenfalls die brüske Ablehnung eines „Zentrums gegen Vertreibungen“ durch die rot-grüne Bundesregierung den nationalpopulistischen Kräften Polens direkt in die Hände – und ermöglichte womöglich erst deren Wahlsiege. Daran lässt sich nichts mehr ändern. Weshalb wir zum anderen wenigstens jetzt konstruktiv mit den deutsch-polnischen Realverhältnissen umgehen sollten. Wawrzyniec Smoczynski hat Recht: Die desaströse polnische Außenpolitik liefert Deutschland heute die Entschuldigung dafür, seinerseits „keine Polenpolitik zu haben“. Unbestreitbar sei nämlich, „dass es in Berlin keine Ansprechpartner gibt, die eine Meinung, Position oder Ideen zu den deutsch-polnischen Beziehungen hätten“. Solange sich daran nichts ändert, werden weiterhin Unverständnis und Misstrauen das wechselseitige Verhältnis prägen. Damit schaden wir einander – und uns selbst.

In wenigen Monaten treten mit Rumänien und Bulgarien zwei weitere exkommunistische Staaten der EU bei. Alfred Pfaller übertreibt nicht: „Im postkommunistischen Rumänien wird nicht weniger als eine Schlacht um die politische Zivilisation geschlagen – deren Ausgang auch den Westen beeinflussen wird.“ Grundsätzlich gilt: Scheitert die demokratische Modernisierung in den postkommunistischen Staaten Europas, dann wird es ein „Europäisches Sozialmodell“ im 21. Jahrhundert nicht geben – irgendwann auch nicht mehr bei uns. Gerade Progressive überall im neuen Europa haben also allen Anlass, neue strategische Netzwerke auf- und auszubauen.

In dieser Ausgabe wartet die Berliner Republik mit zwei Neuerungen auf. Wir begrüßen Anke Hassel als ständige Kolumnistin; und wir erhöhen die Interaktivität des Blattes, indem wir die Rubrik Response einführen, in der wir ab sofort Experten bitten, zu Texten der jeweils vorausgegangenen Ausgabe Stellung zu nehmen.

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