SMS :-)

Über Markenwahn, Handy-Fetischismus und kleine Erwachsene

Irgendetwas hat sich verändert in den letzten zehn Jahren. War man damals als 13-/14-jähriger noch weitgehend damit beschäftigt, die hormonellen Umbrüche zu beobachten und festzustellen, dass man wohl nicht ewig klein bleiben würde, wirken viele Kinder heute weitaus früher entwickelt, weiter. Denn sie haben keine Zeit. Irgendwas oder irgendwer scheint sie zu zwingen, möglichst schnell erwachsen zu werden.

ICE Hamburg-Berlin, Winterfahrplan: Im Abteil sitzen zwei vielleicht 12-jährige Mädchen, die sich angeregt miteinander unterhalten. Es scheint sehr lustig zu sein, jedenfalls wenn man ihr lautes, leicht verschämtes Gekicher so deuten will. Alles Weitere wäre Spekulation, denn mehr erfährt der horchende Beobachter nicht. Die Konversation läuft über sms und
dauert die ganze Fahrt. Dieser elektronische Gedankenaustausch von einem Sitzplatz zum nächsten kostet 39 Pfennig pro Nachricht. Kann das gut sein? Den Eltern, die ihren Kindern gegenüber sitzen, scheinen solche Gedanken nicht in den Sinn zu kommen. Ihre Sprößlinge sind beschäftigt.


Die beiden Teenager gehören zu der kontinuierlich wachsenden Mobil-erreichbar-Gemeinde in Deutschland. Das Handy (selbst die Duden-Redaktion kapituliert vor diesem Schwachsinnsbegriff) hat sich vom Yuppie-Spielzeug zum Massenphänomen entwickelt und ist fester Bestandteil der Jugendkultur geworden. Schon Drittklässler laufen mit einem Mobiltelefon in die Schule und beschäftigen sich in den Pausen lieber mit ihrem elektronischen Spielzeug als mit Ball oder Springseil. Dass Lehrer die Geräte vor Klassenarbeiten einsammeln, um sms (hier: short message schummeln) zu unterbinden, scheint nicht mehr ungewöhnlich. Aber tut das not? Wäre es nicht Sache der Eltern, ihre Pflicht und Verantwortung gegenüber ihren Sprößlingen, deutlich und konsequent auch einmal Nein zu sagen? Kinder brauchen kein Handy. Aber das herzerweichende Argument "Alle haben es, außer mir!" hat schon immer gewirkt.

Handys sind Teil einer Entwicklung, die sich auch in anderen Modeerscheinungen niederschlägt. Den Hang zu Markenartikeln gab es schon vor zehn Jahren - doch scheint heute dieses Verlangen noch stärker ausgeprägt zu sein. War es damals die Levis 501 oder der Scout-Schulranzen, hat sich das Spektrum um viele Kuriositäten erweitert: viel zu große Diesel-Hosen, schlabbrige Militär-Look-Bekleidung mit zig Taschen und Laschen (für den mobilen Menschen, der immer alles dabei hat!), Tommy Hilfiger-Pullover, Helly Hansen-Jacken, Eastpack-Rucksäcke. Manch besserer Schulhof wirkt wie eine Produktpräsentation der Bekleidungsindustrie. Und müssen Mädchen, die ihre erste Zahnspange noch vor sich haben, Make-up verbrauchen wie erwachsene Frauen?

Kinder und Jugendliche sind zu einer Hauptzielgruppe der Werbestrategen und Produktentwickler geworden. Keine Generation zuvor hat soviel Freiheit, Freizeit und finanziellen Spielraum genießen können wie die Heranwachsenden heutzutage. Das ihnen zur Verfügung stehende Geld macht sie interessant, und sie sollen als künftige Konsumenten vorgeprägt werden für das Markenuniversum der Erwachsenenwelt. Um die Kinder und Jugendlichen dazu zu bringen, ihr Geld auch auszugeben, müssen ständig neue Moden, Images und Bedürfnisse kreiert werden, die in immer dichteren Abständen aufeinander folgen. Die Kinder und Jugendlichen geraten in eine Trend-Abhängigkeit, die - mithalten oder nicht - über ihre Position in ihrem sozialen Umfeld entscheidet. Am Beispiel der sms-Handys wird dies besonders deutlich: Wer keins hat, ist von einer bestimmten Form der Kommunikation ausgeschlossen. Er oder sie ist eben nicht drin! So kann man ganz schön einsam werden. Kein Wunder, dass viele Jugendliche nur noch für ihre Telefon-Rechnungen jobben und sparen.

Das Schaulaufen mit Markenkleidung, Tattoos, Piercings, Handys und anderen Statussymbolen ist Teil der jugendlichen Suche nach Identität und Anerkennung. Das ist nicht neu. Aber: Dass die Zielgruppen immer jünger werden und bereits in frühen Kinderjahren, von den Eltern geduldet oder gefördert, zu Konsumidioten erzogen werden, das ist neu.

Die Kinder müssen die Rolle von kleinen Erwachsenen spielen, ihnen wird keine Zeit gelassen, ihre Kindheit zu dem zu nutzen, wofür sie da ist: zum Lernen, zum Erkennen, zum Entwickeln von Charakter und all dem, was sie später zu selbstbewußten Persönlichkeiten macht. Stattdessen werden Marken und Images als Werte und Identitäten suggeriert. So verändert sich etwas, schleichend, und nicht zum Bessere

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