Seit an Seit in die digitale Zeit

In der SPD wird die massive Bedeutung der Digitalisierung noch immer unterschätzt. Die Zukunft der Partei hängt nicht zuletzt davon ab, ob sie auf diesem Gebiet zur Wirklichkeit aufschließt

D ie SPD hat in der Großen Koalition gute Arbeit geleistet und wurde dafür nicht von den Wählerinnen und Wählern belohnt.“ Diese Einschätzung zum für die SPD enttäuschenden Ausgang der Bundestagswahl 2017 hält sich hartnäckig. Sie wurde bereits während der Großen Koalition als Erklärung dafür verwendet, warum die SPD in Umfragen anscheinend unverrückbar unterhalb der 25-Prozent-Marke festsaß. Fest steht: Das Wahlergebnis von 20,5 Prozent bei der Bundestagswahl spiegelt nicht die gute Regierungsarbeit wider, die der SPD auch außerhalb der Partei durchaus bescheinigt wird.

Doch abseits einiger guter und wichtiger Gesetzesvorhaben wie dem Mindestlohn gab es in der abgelaufenen Legislaturperiode auch entscheidende inhaltliche und strategische Fehler. So hat es die Partei versäumt, neue Wählergruppen zu erschließen, sie hat existierende verprellt und ihre eigene Glaubwürdigkeit untergraben. Dies betrifft vor allem das Gestaltungsfeld der Digitalisierung.

In der SPD existieren bis heute diffuse Berührungsängste mit der Digitalisierung, die nach wie vor eher als Bedrohung denn als Chance diskutiert und begriffen wird. Es fehlt eine klare Vision zur Gestaltung der gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringen wird (und längst bringt!). Eine rühmliche Ausnahme ist der Weißbuchprozess Arbeit 4.0 unter der ehemaligen Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, in dem die Herausforderungen durch die Digitalisierung für den Arbeitsmarkt umfassend aufgearbeitet wurden. Im Wahlkampf lag der Fokus auf diffusen Gerechtigkeitsforderungen, um die Kernwählerschaft zu mobilisieren. Einzelne visionäre Ideen, die auf Veränderungen durch die Digitalisierung reagieren – beispielsweise das so genannte Chancenkonto – waren nicht in ein größeres Narrativ eingebettet und verhallten deshalb weitgehend ungehört.

Die SPD hat das Thema Digitalisierung bisher nicht als ein Gestaltungsfeld für sich erkannt und keine entsprechenden Schlüsse für Organisation und Programmatik daraus gezogen. Damit ist die SPD in der Parteienlandschaft zwar in guter Gesellschaft, doch es schmerzt, dass ein sozialdemokratisches Narrativ zur gesellschaftlichen Gestaltung der Digitalisierung fehlt, unter Wahrung (und Schaffung) von Wohlstand und Gerechtigkeit und mit Blick auf die Gesamtheit der Gesellschaft.

Was ebenso schmerzt: Die Große Koalition hat netzpolitische Forderungen fast durchweg taktischen Abwägungen oder anderen Politikfeldern untergeordnet. Das beste Beispiel hierfür ist der Prozess zur Erarbeitung des Programms „DigitalLeben“ im Jahr 2015, das die SPD über Monate hinweg erarbeitete: Der Prozess war durchaus ambitioniert gestartet, geriet angesichts des schwierigen Verhältnisses zwischen dem damaligen Parteichef Sigmar Gabriel und Generalsekretärin Yasmin Fahimi aber immer mehr unter die Räder. Ad absurdum geführt wurde das Vorhaben schließlich durch den Vorstoß Sigmar Gabriels für die Einführung der Vorratsdatenspeicherung. Mitten im Prozess zur Erarbeitung von DigitalLeben warf sich der Parteivorsitzende über Wochen persönlich für die Einführung der Vorratsdatenspeicherung in die Bresche, um damit der SPD in Fragen der Inneren Sicherheit keine „offene Flanke“ zuzumuten. Nach einer Grassroots-Kampagne innerhalb der Partei und mehr als hundert Anträgen von Gliederungen gegen die Vorratsdatenspeicherung stützte der Parteikonvent im Juni 2015 den Kurs der Parteispitze.

Wie die Potenziale verspielt wurden

DigitalLeben hätte das Potenzial gehabt, sozialdemokratische Werte in die „neue Zeit“ zu übersetzen und damit die SPD auch als politische Heimat für netzpolitisch Interessierte zu öffnen und zu positionieren. Die Zeit hierfür wäre äußerst günstig gewesen, da sich mit dem Ausscheiden der FDP aus der Bundespolitik und dem weitgehenden Scheitern der Piratenpartei eine politische Lücke aufgetan hatte.

Das Potenzial einer digitalpolitischen Positionierung der SPD wurde nicht nur einmal verspielt. Netzpolitische und damit auch oft bürgerrechtliche Erwägungen zu Privatsphäre und Datenschutz hatten in den vergangenen Jahren gleich mehrfach das Nachsehen, so auch bei den Themen Staatstrojaner und Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Alle diese Vorhaben haben die Bindung der Netzpolitikerinnen und Netzpolitiker in der SPD zu ihrer Partei zumindest auf eine harte Probe gestellt.

In der Opposition sollte die SPD versuchen, die Digitalisierung zu „umarmen“. Es geht darum, sie innerparteilich nicht mehr primär als Bedrohung zu sehen, sondern fundiert darüber zu diskutieren, wie sozialdemokratische Errungenschaften in einer digitalisierten Welt gesichert werden können. Es zur Gewohnheit werden zu lassen, Digitalisierung unter dem Schlagwort „Netzpolitik“ nicht mehr als eigenes Themenfeld zu behandeln, sondern die Auswirkungen und Chancen der Digitalisierung in jedem Politikfeld mitzudenken. Und die SPD muss die Illusion aufgeben, dass die Wähler ihr eine Positionierung als starke Hand in der Innenpolitik auf Kosten anderer politischen Forderungen danken.

Ebenso wichtig wird sein, welche Rolle die deutsche Sozialdemokratie der Digitalisierung bei der dringend notwendigen Öffnung und Wiederbelebung der Partei einräumt. Nur so lässt sich die drastische Abwärtsentwicklung vermeiden, die andere sozialdemokratische Parteien in Europa in den vergangenen Jahren zu verzeichnen hatten.

Analoge Partizipation reicht nicht mehr aus

Um ein glaubwürdiger Akteur bei der Gestaltungsaufgabe Digitalisierung zu sein, muss die SPD sich selbst digitalisieren und damit auch modernisieren. Hierzu gibt es seit der Bundestagswahl eine spannende parteiinterne Debatte (unter anderem angestoßen durch die Basis-Initiative SPD++), die hoffentlich noch größer wird. Die SPD braucht mehr digitale Mitmachmöglichkeiten und muss „analoge“ und digitale Partizipationsangebote besser vernetzen. So muss es künftig beispielsweise normal sein, dass sich Parteimitglieder auch zu Fachthemen inhaltlich in die Parteiarbeit einbringen und damit auch durchdringen können. Die traditionellen Parteistrukturen sind gerade für viele mobile und junge Menschen nicht praktikabel: Sie passen nicht zum sonstigen Leben, in dem man stark eingespannt und daran gewöhnt ist, viele Dinge auch digital erledigen zu können. Hierfür bietet die SPD heutzutage so gut wie keine Formate, und wenn, dann fristen sie in der Regel ein Schattendasein neben der gängigen „territorialen“ Organisationsform über Ortsverbände, Bezirke und Landesverbände.

Modernisierungsideen wie der digitale Ortsverein oder ortsunabhängige Themenforen kursieren in der Partei schon lange, doch sie haben sich letztlich nicht durchgesetzt oder wurden nur als zahnlose Variante verwirklicht, um die traditionelle Organisationsstruktur zu schonen. Vorschläge zur Organisationsreform der Partei und Innovationsideen werden fast reflexhaft mit dem Vorwurf konfrontiert, sie würden darauf abzielen, die Ortsvereine zu schwächen und zu diskreditieren. Dieses Entweder-oder-Denken müssen wir dringend überwinden. Vonnöten sind vielfältige Möglichkeiten, sich in der SPD zu engagieren.

Das Thema „Digitales“ hauptsächlich als Kommunikationskanal in Wahlkampfzeiten zu verstehen und sich inhaltlich weiterhin ohne Linie „durchzuwurschteln“ ist der SPD nicht zu empfehlen. Stattdessen muss ein Ruck durch die SPD gehen, den Mut zur Modernisierung und zum Wandel aufzubringen.

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