Ressource Bürgerbeteiligung nutzen

Vorschläge der Stiftung Mitarbeit

Wer sich länger mit Fragen der Bürgerbeteiligung in der Praxis befasst, kennt ihre strukturellen Probleme zur Genüge. Das traditionelle Instrumentarium der Bürgerinformation, Bürgerversammlung, Bürgeranhörung, Hearings und Beiräte leidet unter geringer Resonanz und Oberflächlichkeit, sozialer Selektivität, der Dominanz organisationsstarker Interessen und sozialaktiver Minderheiten sowie den zeitlichen Abkömmlichkeitsproblemen bestimmter Personengruppen (zum Beispiel Alleinerziehende und Schichtarbeitende).

Interesse und Engagement entstehen oft erst bei persönlicher Betroffenheit, wenn Entscheidungsprozesse schon so weit fortgeschritten sind, dass nur noch begrenzte Möglichkeiten zur Einflussnahme bestehen. Und nicht allein in der Verkehrspolitik stehen sich allzu häufig voneinander abgeschottete Meinungsgruppen (zum Beispiel Autofahrer und Umweltschützer) gegenüber, die übereinander statt miteinander reden, die Meinungsbestätigung statt Meinungsaustausch suchen.

Um diese Probleme zu überwinden und die Qualität von Bürger(innen)beteiligung zu verbessern, sind in den letzten Jahren eine Reihe von neuen methodischen Ansätzen erprobt worden. Ihnen gemeinsam ist, dass sie Bürger(innen)beteiligung nicht als formalen Akt, sondern als kommunikativen Prozess verstehen. Je nach Akzentuierung zielen sie schwerpunktmäßig auf den Ausgleich divergierender Interessen (Runder Tisch, Foren, Zukunftskonferenz), die Entwicklung von Kreativität und Kompetenz (Zukunftswerkstatt, Open Space, Planungszelle), die Aktivierung im Stadtteil (Anwaltsplanung, Gemeinwesenarbeit, Planning for Real), oder die Ansprache besonderer Zielgruppen (Zielgruppenworkshops).

Runde Tische, Foren

Runde Tische und Foren sind ein Weg, möglichst viele unterschiedliche Interessen in einen Diskussionsprozess zu bringen, um, unterstützt von einer neutralen Moderation, zu für alle beteiligten Interessen akzeptablen Lösungsvorschlägen zu kommen.

Im Unterschied zu Beiräten sind Runde Tische und Foren temporär und problembezogen ausgerichtet, d.h. sie zielen auf ein konkretes Ergebnis, um sich danach wieder aufzulösen. Aus Gründen der Arbeitsfähigkeit wird der innere Kreis meist auf 20 bis maximal 30 Personen begrenzt. Zwischen den Plenen arbeiten ihm jedoch zusätzliche Fachrunden oder Arbeitsgruppen zu.

Wichtig ist, dass alle von einem Problem berührten Gruppen tatsächlich beim Runden Tisch bzw. Forum vertreten sind und die Vertreter(innen) am Runden Tisch tatsächlich in ihren Bezugsgruppen verankert sind. Andernfalls kann aus einem Runden leicht ein Grüner Tisch oder ein neuer "Kungelkreis" werden.

Zukunftskonferenz

Bei der Zukunftskonferenz versammeln sich ein bis zweieinhalb Tage lang 30 bis 70 Akteure aus möglichst allen thematisch relevanten Bevölkerungsgruppen, um zu gemeinsamen Visionen und zur Erarbeitung von Maßnahmeplänen zu kommen. In fünf Schritten werden in Kleingruppen a) zunächst bestehende Unterschiede und Gemeinsamkeiten ermittelt und b) mögliche externe - positive wie negative - Trends bewertet, dann c) Zukunftsideen entwickelt, d) Gemeinsamkeiten herausgearbeitet und schließlich e) konkrete Maßnahmen zur Umsetzung geplant. Die aus den USA stammende Methode ist in Deutschland im letzten Jahr erstmals im bayerischen Olching und im niederrheinischen Viersen durchgeführt worden.

Zukunftswerkstatt

Zukunftswerkstatt ist eine maßgeblich von Robert Jungk entwickelte Arbeitsform, um in Gruppen gemeinsam Ideen zu entwickeln und Möglichkeiten ihrer praktischen Umsetzung zu erarbeiten. In der (1) Kritikphase erfolgt eine Bestandsaufnahme von Problemen und Mängeln in einem Bereich. Diese werden anschließend nach Bedeutung gewichtet. Die (2) Ideen- und Phantasiephase dient der Vorstellung von Vorschlägen und Träumen, wie es anders sein könnte. In der (3) Umsetzungs- oder Verwirklichungsphase geht es schließlich darum, Wege und Möglichkeiten zu finden, wie diese Ideen am besten realisiert werden können. Nach Möglichkeit treffen die Teilnehmenden in dieser Phase bereits konkrete Absprachen für das weitere Vorgehen ("Ideenpatenschaften").

Die Zukunftswerkstatt ist ohne großen Aufwand zu realisieren. Für ihre zeitliche Durchführung reicht in der Regel ein Wochenende, manchmal sogar ein Tag. Die Teilnehmendenzahl sollte 25 Personen nicht überschreiten. Zukunftswerkstätten sind stark handlungsorientiert und von daher vor allem für Gruppen geeignet, die länger zusammenarbeiten.

Bürgergutachten/Planungszelle

Auf eine möglichst repräsentative Beteiligung der gesamten Bevölkerung setzt das Modell Planungszelle/Bürgergutachten, das von Peter C. Dienel entwickelt wurde. Eine Planungszelle ist eine Gruppe von circa 25 im Zufallsverfahren ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern, die für etwa eine Woche von ihren arbeitsalltäglichen Verpflichtungen freigestellt werden, um, assistiert von einer Prozessbegleitung, in Gruppen Lösungsvorschläge für ein vorgegebenes Planungsproblem zu erarbeiten. Die Ergebnisse ihrer Beratungen werden in einem sogenannten Bürgergutachten zusammengefasst.

Das Verfahren ist schon zu einer großen Anzahl höchst unterschiedlicher kommunaler und auch überregionaler Fragestellungen angewandt worden. Gleichermaßen bemerkenswert waren bei allen bisher durchgeführten Projekten die breite soziale Streuung der Beteiligung wie die Qualität der Ergebnisse.

Aktivierende Gemeinwesenarbeit

Durch aufsuchende Arbeit (Hausbesuche, Jugendtreffpunkte) versucht die Gemeinwesenarbeit, Bürger(innen) zum Engagement anzuregen. Wichtiges Hilfsmittel ist die aktivierende Befragung. Zunächst werden die Wünsche und Bedürfnisse ermittelt, dann gemeinsame Prioritierungen vorgenommen und schließlich konkrete Umsetzungsschritte erarbeitet. In mehreren schwedischen Städten wurde die der Gemeinwesenarbeit ähnliche sogenannte Arbeitsbuchmethode im Rahmen lokaler Agendaprozesse eingesetzt. Dadurch konnten gerade auch Minderheitengruppen, zum Beispiel Einwanderer, gezielt erreicht werden.

Planning for real

Planning for real ist ein in Großbritannien entwickeltes Beteiligungsverfahren, das auch in Berlin-Wedding erfolgreich ausprobiert worden ist. Es wird ein transportables (Papp-)Modell des Stadtteiles hergestellt und an vielen Orten (Kneipen, Straßenbahnen, U-Bahnen usw.) gezeigt, um Bürger(innen) miteinander ins Gespräch zu bringen. Daraus entwickeln sich Veränderungsvorschläge und neue Formen nachbarschaftlicher Aktivität.

Zielgruppenworkshops

In vielen Fällen kann es anstelle von für alle offenen Foren sinnvoll sein, speziell einzelne Zielgruppen einzuladen. Beispiele sind Workshops für Frauen zum Thema "Frauenfreundliche Planung" oder spezielle Angebote für Kinder und Jugendliche. Derartige Workshops sind meistens eintägig. Sie sollten nicht mehr als 25 Personen umfassen. Ist mehr Zeit erforderlich, kann sich ein entsprechender Arbeitskreis oder eine Projektgruppe daraus bilden.

Fazit

Die methodischen Beispiele könnten durch viele weitere ergänzt werden. Kein Verfahren ist ein Patentrezept. Welche Methode die jeweils sinnvollste ist, muss von Fall zu Fall am konkreten Projekt abgewogen werden. Vielfach wird sich auch ein Methodenmix oder die Übernahme einzelner Elemente anbieten.

Grundbedingungen für das Gelingen von Bürger(innen)beteiligung sind, dass sie ergebnisoffen angelegt ist, möglichst frühzeitig erfolgt, für alle potentiell berührten Interessen faire Einflusschancen ermöglicht, und dass Aussicht auf Wirkung besteht.



Stiftung MITARBEIT (Hrsg.): Wege zur Zukunftsfähigkeit. Ein Methodenhandbuch, Bonn 1998 (DM 14,-). Die Stiftung MITARBEIT gibt zweimal jährlich einen Rundbrief Bürgerbeteiligung heraus, in dem neue Projekte vorgestellt werden.

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