Rechts und dumm? Das muss nicht so sein

Offener, jünger, moderner: Wie die Neue Rechte in Deutschland systematisch versucht, die Hoheit über die gesellschaftliche Mitte zu erobern. Ihre kommunikationsstrategische Kompetenz wächst, ihre politischen Anschlussmöglichkeiten nehmen zu

Auch die Neue Rechte ist inzwischen in die Jahre gekommen und gar nicht mehr so jung und neu, wie ihr Name verheißt. Sie hat sich längst etabliert und ihren Platz in der politischen Öffentlichkeit gefunden – als rechtsintellektuelles Kommunikationsnetzwerk, als ideologischer Ort im politischen Rechts-Links-Spektrum, als Gegenstand politischer und publizistischer Kritik oder als Chiffre für ein nicht immer leicht zu fassendes Phänomen an der Nahtstelle von radikaler Rechter und (National-) Konservatismus.

Die Neue Rechte ist Anfang der 1970er Jahre als unmittelbare Reaktion auf die Neue Linke und deren starke öffentliche Resonanz entstanden. Mit ihr verband sich das Anliegen, ein Pendant zur theoretisch ambitionierten kulturellen Linken zu schaffen: eine intellektuell anspruchsvolle kulturelle Neue Rechte mit dem Ziel einer umfassenden Modernisierung der als theorieschwach geltenden Traditionsrechten. Damit definierte sich auch die Neue Rechte – wie alle rechten Strömungen vor und nach ihr – zuallererst negativ als Gegenteil von links beziehungsweise als Gegenpol zur Neuen Linken. Dieses Selbstbild ist nach wie vor dominant und als Deutungsmuster von herausragender Identität stiftender Bedeutung für die Neue ebenso wie für die traditionelle radikale Rechte.

Ihr omnipräsenter, geradezu mystifizierter Gegner von einst ist – in vielfach gewandelter Form – geblieben und hat es zweifellos zu einem gewissen Einfluss in Politik, Medien und Kultur gebracht. Besonders der als „Achtundsechziger-Bewegung“ kampagnen- und aktionsfähig gewordenen Neuen Linken steht die Neue Rechte mit Ablehnung („Feindbild“) und Bewunderung („Vorbild“) gleichermaßen gegenüber. Einerseits definiert sich die Neue Rechte als ihr Widerpart und Gegenentwurf – ideologisch, politisch-kulturell und im Hinblick auf ihre politischen Ziele. Andererseits wird der Weg der kulturellen Neuen Linken mit ihrem weit reichenden Modernisierungs- und Machtanspruch über die Neuen Sozialen Bewegungen, Parteien und Medien als durchaus vorbildhaft für eine sich intellektuell und kulturell modernisierende Neue Rechte gesehen. Denn mittels einer Mobilisierung kultureller und politischer Eliten („kulturelle Hegemonie“) und eines sich daran möglichst unmittelbar anschließenden „Austauschs der Eliten“ soll das eigentliche gesellschaftspolitische Ziel realisiert werden: die Durchsetzung eines umfassenden politisch-kulturellen Wandels unter dem Vorzeichen völkisch-nationalistischer Ungleichheit. Doch dieser für eine nachhaltige politisch-kulturelle Wirkung entscheidende Weg von der theoretisch-konzeptionellen Arbeit kultureller Eliten zur realpolitischen (Protest-)Praxis ist der Neuen Rechten bis heute nicht entscheidend gelungen.

Was „neu“ ist an der Neuen Rechten

Damit sind bereits erste Hinweise zur entscheidenden Frage nach dem eigentlich „Neuen“ an der Neuen Rechten und ihrer spezifischen politisch-kulturellen Praxis gegeben. Genauer zu klären ist, was die Neue Rechte eigentlich konkret von der bei Wahlen derzeit ungleich erfolgreicheren Alten Rechten aus NPD und DVU unterscheidet. Meine These lautet: Die Neue Rechte ist einerseits durch eine ideologische und organisatorische Teilmodernisierung gekennzeichnet. Das eigentlich Neue und die spezifische Differenz zur Traditionsrechten jedoch liegt auf der Ebene ihrer politisch-kulturellen Praxis, die als strategische (Protest-)Kommunikation charakterisiert werden kann und mit einer gewissen Strategie- und Kampagnenfähigkeit einhergeht.

Entgegen bisheriger altrechter Praxis der nahezu ausschließlichen Binnenkommunikation und damit Akzeptanz- und Öffentlichkeitsverweigerung, zielt die Neue Rechte ausdrücklich auf die (bürgerliche) „Mitte der Gesellschaft“. Zu diesem Zweck soll die in der Vergangenheit vorherrschende „Sprachlosigkeit“ der traditionellen radikalen Rechten durch eine strategische Öffentlichkeitsoffensive überwunden werden. Damit verfolgt die Neue Rechte einen sehr viel breiteren Mobilisierungsansatz als in der Vergangenheit die Traditionsrechte, die diesen Strategieansatz in Gestalt der NPD gegenwärtig allerdings ansatzweise zu übernehmen scheint – sofern die Offerten an die bürgerliche Mitte in Sachsen und anderswo tatsächlich bereits als Strategiewechsel gedeutet werden können.

Der Weg in die Mitte ist Programm

Für die Neue Rechte jedenfalls ist der „Weg in die Mitte“ Programm. Auf diese Weise sollen neue Bündnisoptionen und Schnittmengen mit dem im Übrigen in der Union marginalisierten nationalkonservativen Flügel ergründet werden, um – so das erklärte strategische Ziel – eine modernisierte radikale Rechte nach den erfolgreichen Vorbildern anderer europäischer Länder zu etablieren: zunächst in der politischen Öffentlichkeit, mittelfristig auch als politische Kraft im intermediären System.

Wenn in der wissenschaftlichen und politischen Öffentlichkeit von der Neuen Rechten gesprochen wird, ist zumeist eine überschaubare Gruppe rechtsintellektueller Publizisten, Wissenschaftler, Literaten und Journalisten gemeint, die mit ihren Medien wie der Jungen Freiheit oder Nation & Europa sowie organisierten Diskussionsforen und Instituten mittlerweile eine eigene Teilöffentlichkeit strukturieren. Dieser von der breiten Öffentlichkeit oftmals ignorierte Diskurs verschafft der Neuen Rechten ansatzweise eine eigenständige Identität und stellt einen vergleichsweise konsistenten und bisweilen anschlussfähigen Deutungsrahmen für eine modernisierte radikale Rechte zur Verfügung.

Die Neue Rechte präsentiert sich zumeist offener, jünger und insgesamt „moderner“ als die sich häufig selbst disqualifizierende Alte Rechte, die den Anschluss an den Mehrheitsdiskurs bislang kaum suchte und sich mit ihrer stigmatisierten Subexistenz abzufinden schien. Die Neue Rechte hingegen versucht, diesem Nischendasein zu entkommen, indem sie offensiv um Anerkennung und ihren Platz in der politischen Öffentlichkeit kämpft. Sie beabsichtigt, wie es in der Jungen Freiheit heißt, „die Diaspora ihrer geschlossenen Zirkel zu verlassen und Strategien für eine eigene Medienpräsenz zu entwickeln“. Weder die Parlamente noch die Straße sind also das bevorzugte Aktionsfeld der Neuen Rechten, sondern die politische Öffentlichkeit.

Die kulturelle Neue Rechte ist damit nicht mit dem in Parteien und anderweitig organisierten Rechtsradikalismus gleichzusetzen oder zu verwechseln, auch wenn es in den inhaltlichen Grundlinien erhebliche Schnittmengen gibt. So liegen die unterschiedlichen Spielarten der radikalen Rechten in ihren gesellschaftspolitischen und kulturellen Zielen eng beieinander. Besonders ihr völkisch-nationalistischer, auf einer radikalen Ungleichheitsideologie basierender Exklusionsdiskurs unterscheidet sich in seiner Konsequenz nur marginal von den Parolen der Alten Rechten.

Allzu radikale Töne vermeidet man gern

Gleichwohl werden in der Wahl der Mittel im Allgemeinen allzu radikale Töne vermieden, um dem Verdikt der Verfassungsfeindlichkeit zu entgehen. So befindet sich die Neue Rechte in dem strategischen Dilemma, einerseits radikaler zu erscheinen als die so verhasste larmoyante bürgerliche Mitte und andererseits moderater und „moderner“ als die offenen Antidemokraten und Verfassungsgegner der Alten Rechten, die von der Neuen Rechten gegenwärtig auch als möglicher Bündnispartner schroff zurückgewiesen werden. Diese Gratwanderung zwischen Kooperation (ostentative Zugehörigkeit zum rechten Lager) und Konkurrenz (Ablehnung altrechter Konzepte und Instrumente) wurde von der Neuen Rechten mittlerweile zu der erwähnten eigenständigen politisch-kulturellen Praxis der strategischen (Protest-)Kommunikation professionalisiert, die mit einer deutlich erkennbaren Medien- und Öffentlichkeitskompetenz einhergeht.

Durch diese zusätzlichen Ressourcen und Kompetenzen der Neuen Rechten verfügt die radikale Rechte in Deutschland zunehmend über die notwendigen Voraussetzungen, um einerseits die verschiedenen Strömungen des rechten Lagers zu integrieren und anderseits dem auch in der gesellschaftlichen Mitte virulenten, zumindest tendenziell antidemokratischen und rechtspopulistischen Protestpotenzial gegen gesellschaftliche Modernisierungsprozesse eine Stimme zu geben. Damit steigen auch in Deutschland die Chancen, eine modernisierte radikale Rechte politisch-kulturell, aber in der Folge auch machtpolitisch als „nationale Sammlungsbewegung“ und rechtspopulistische Partei zu etablieren.

Die Themenkarrieren der Neuen Rechten sind dabei vielfältig; sie können grob in zwei Kategorien unterteilt werden: in einen Identitäts- und Inklusionsdiskurs (kollektive und nationale Identität) einerseits und einen Exklusionsdiskurs andererseits, der sich besonders auf die „Ausländerfrage“ konzentriert. Zum Inklusionsdiskurs gehört zunächst das eindeutige Bekenntnis zum rechten beziehungsweise nationalen Lager, die Bestimmung der „Wir-Gruppe“ bei gleichzeitiger Abgrenzung gegen die „Anderen“. Die positive Identifikation verläuft bei der Neuen Rechten vor allem durch den Rekurs auf Akteure der „Konservativen Revolution“ aus den 1920er Jahren, oder, wie es in einem Leitartikel der Jungen Freiheit heißt, auf die „weit reichende Geistestradition von Oswald Spengler, Arthur Moeller van den Bruck, Ernst Jünger usw.“. Diese positive Referenz möge, so die formulierte Absicht, „das öffentliche Bild des ‚Rechten‘ korrigieren, das heute allenfalls noch als Comic-Zeichnung prügelnder und schreiender Glatzköpfe präsent ist“.

Immerzu geht es um „nationale Identität“

Den zweiten Strang des Inklusionsdiskurses bildet der völkische Nationalismus als Identität stiftende Einheit. Er bildet den so genannten master frame im Diskurs der Neuen Rechten. Denn, wie immer wieder betont wird, steht im Zentrum neurechten politischen Wirkens „die nationale Identität ihres Volkes, ihrer Religion und ihres Staates“. Über eine solche völkisch-nationalistische Gleichsetzung von Volk, Staat und Nation wird eine ethnisch-kulturelle Homogenität postuliert, die in einer modernen Einwanderungsgesellschaft Ausgrenzungspraktiken automatisch einschließt.

Diese finden sich auch explizit in den unterschiedlichen Deutungsmustern zur sozialen Frage im Allgemeinen sowie zu Migration und „Ausländerfrage“ im Besonderen. So heißt es ganz unverblümt: „Rechte sind im wohlverstandenen Sinn Sozialdarwinisten: Sie bejahen deshalb faktische Ungleichheit.“ Dass sich die Exklusionspraxis in erster Linie gegen alle Nicht-Deutschen im völkischen Verständnis richtet, ist vor dem beschriebenen ideologischen Hintergrund die notwendige Konsequenz. Sie wird verbunden mit einer Fundamentalkritik an den herrschenden liberaldemokratischen und vor allem rechts- und sozialstaatlichen Grundsätzen. „Wir erleben heute nicht die ‚Krise des Sozialstaats‘, sondern die Krise des parteipolitischen Herrschaftsinstruments Sozialstaat. (...) Es sind die etablierten Parteien, die über Millionen von Zuwanderern das Füllhorn von sozialstaatlichen Leistungen entleert haben, ohne dass diese einen substanziellen Beitrag für das System der deutschen Daseinsfürsorge geleistet hätten.“ Oder ganz direkt und ohne Umschweife: „Durch zwischenstaatliche Vereinbarungen und durch EU-Verträge gebunden, sind die deutschen Stellen verpflichtet, nach dem Gleichheitsgrundsatz auch Ausländer in den Sozialleistungen zu bedenken. (...) Nach gesundem Menschenverstand wäre es am konsequentesten, Sozialleistungen für Ausländer zu streichen.“ Diese Beispiele aus Leitartikeln der Jungen Freiheit zeigen deutlich den inneren Zusammenhang zwischen der doppelten Selbstdefinition als „Wir-Gruppe“ („rechts“ und Nation) einerseits und der radikalen Exklusionspraxis andererseits.

Wie Egon Bahr der Neuen Rechten aushalf

Diesen ideologischen Kontext in plausible und konsistente Deutungsrahmen zu überführen und in die politische Öffentlichkeit zu vermitteln ist das Ziel, das sich die Neue Rechte gesteckt hat. Einige Erfolge zeigen, dass sie über das strategische Potenzial verfügt, die diskursiven Gelegenheitsstrukturen zu erkennen und zu nutzen. Die strategische Nutzung des Prominenzfaktors ist dabei von herausragender Bedeutung für die nachhaltige Akzeptanz neurechter Deutungsangebote in der politischen Öffentlichkeit. So ist die Integration etablierter öffentlicher Akteure in die eigene Agenda von großer Wichtigkeit. Als jüngstes Beispiel kann die Aufarbeitung der Hohmann-Günzel-Affäre in den Medien und Foren der Neuen Rechten gelten, in der es um den öffentlichen Umgang mit dem als antisemitisch und geschichtsrevisionistisch kritisierten Vortrag des CDU-Abgeordneten Martin Hohmann zum Tag der deutschen Einheit ging.

Eine weitere Referenz bietet der APO-Veteran und Soziologie-Professor Bernd Rabehl, der seit Jahren in der Neuen Rechten aktiv mitwirkt und vor allem mit dem Versuch hervortritt, „Achtundsechzig“ nachträglich zu einer vor allem völkisch-nationalistischen Bewegung umzudefinieren. Dass dies nicht nur die Funktion einer bloß akademischen Debatte hat, sondern auch eine mobilisierende Funktion erfüllen soll, erwähnt Rabehl ausdrücklich mit Verweis auf die erwähnte Hohmann-Günzel-Affäre, die der Ausgangspunkt für eine rechte Protestkultur nach linkem Bewegungsvorbild sein könne: „Wenn also die innenpolitische Situation in Deutschland unter dem Eindruck der Krise unseres Landes künftig mehr und mehr in Bewegung gerät, dann können Charismatiker wie Günzel und authentische Rebellen wie Hohmann durchaus zu Kristallisationspunkten für etwa Neues werden.“ Daneben sind auch jene Prominenten für die Neue Rechte von Bedeutung, die sich etwa der Jungen Freiheit als Interviewpartner zur Verfügung stellen und damit – gewollt oder ungewollt – für eine Aufwertung und vermehrte Akzeptanz sorgen. Jüngstes Beispiel dafür ist das Interview der Jungen Freiheit mit Egon Bahr, das einen kleinen Skandal innerhalb der SPD ausgelöst hat.

Mehr Resonanz und Akzeptanz

All dies – die kommunikationsstrategische Kompetenz der Neuen Rechten einerseits, die scheinbar zunehmenden diskursiven und politischen Anschlussmöglichkeiten andererseits – hat der Neuen Rechte wachsende Resonanz und Akzeptanz eingetragen. Sie ist damit ihrem Ziel, die radikale Rechte in die gesellschaftliche „Mitte der Gesellschaft“ zu führen, ein Stück näher gekommen. Dabei handelt es sich keineswegs um ein rein deutsches Phänomen. Vielmehr fügt sich die deutsche Neue Rechte in einen internationalen Trend zu wachsender Akzeptanz rechtsautoritärer und rechtspopulistischer, kurzum: modernisierter rechtsradikaler Formationen, die als gegen-modern und anti-egalitär, autoritaristisch, tendenziell anti-demokratisch und chauvinistisch charakterisiert werden können. Dabei zielt die Neue Rechte besonders auf die stets virulente deutsch-nationale Schnittmenge zwischen radikaler und demokratischer Rechter und versucht, diese strategisch nutzbar zu machen.

Eine Rechte jenseits der üblichen Klischees

Der Kontakt zu etablierten Strukturen und Akteuren sowie eine bestimmte politisch-publizistische Öffentlichkeitsprominenz sind dabei von herausragender Bedeutung. Ohne Unterstützung, das lehrt die Geschichte, ist die radikale Rechte kaum in der Lage, politische Macht zu erlangen. Für eine offensive öffentliche Auseinandersetzung mit der radikalen Rechten im Allgemeinen und der modernistischen Neuen Rechten im Besonderen gilt daher: Die intellektuell nicht zu unterschätzenden politisch-kulturellen Deutungsangebote aus diesem Spektrum sollten nicht weiter ignoriert werden. Denn sie erweisen sich teilweise bis in die „Mitte der Gesellschaft“ hinein als anschlussfähig. Die alte Formel „rechts = dumm“ greift besonders im Hinblick auf die Neue Rechte definitiv zu kurz, die eine dezidiert bürgerliche radikale Rechte jenseits der üblichen Klischees strukturiert. Das bedeutet auch, dass sich die Auseinandersetzung mit der radikalen Rechten nicht auf polizeiliche und sonstige Repressions- und Ausgrenzungspraktiken beschränken darf, sondern besonders in den hier thematisierten Grenzbereichen einer modernisierten neuen radikalen Rechten stärker denn je mit Argumenten in der politischen Öffentlichkeit geführt werden muss.

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