Protektionismus durch die Hintertür

In der Krise unterstützt der Staat einheimische Unternehmen. Umso dringender ist eine Exit-Strategie vonnöten, die ihn verpflichtet, so schnell wie möglich wieder loszulassen, wo er privaten Akteuren die Zügel aus der Hand genommen hat

Die Wirtschaftsgeschichte ist in vieler Hinsicht eine Geschichte fortschreitender internationaler Handelsbeziehungen. Standen in der Vergangenheit häufig die Erschließung neuer Transportwege oder verbesserte Transporttechniken im Mittelpunkt des Geschehens, so ist die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem durch den in internationalen Verhandlungen erreichten Abbau von Handelshemmnissen geprägt. Wie so häufig wird es mit zunehmendem Erfolg immer schwieriger, weitere Fortschritte zu erzielen. Dabei ist es meistens wenig problematisch, Einfuhrzölle oder Mengenbeschränkungen zu erkennen und im Hinblick auf ihren den Handel unterbindenden Charakter einzuordnen. Außerdem ist es (bei aller Anerkennung der dazu nötigen politischen Leistung) zumindest aus konzeptioneller Sicht recht einfach, sich auf Maßnahmen gegen diese Instrumente der Abschottung zu einigen und die Einhaltung dieser Vereinbarungen zu überwachen.

Aber schon seit geraumer Zeit schleichen sich - bei steigendem Handelsniveau - immer mehr Handelshemmnisse leise an ihre Opfer heran. Diese versteckten Handelsbarrieren stellen eine weit größere Herausforderung dar, sowohl für Verhandlungspartner, die ihre Handelsbeziehungen auszuweiten versuchen, als auch für die Durchsetzung und Überwachung bestehender Regeln. Besonders erschwerend ist die unheilvolle Verbindung der eigentlich protektionistischen Motive mit (möglicherweise von Partikularinteressen geleiteten) Argumenten, die bei isolierter Betrachtung zumindest unter bestimmten Bedingungen durchaus überzeugend erscheinen. Beispielsweise ist es sicher richtig, im Sinne des Verbraucherschutzes eine Mindestqualität der Güter einzufordern, die auf dem heimischen Markt angeboten werden. Aber es ist für heimische Anbieter eben auch überaus vorteilhaft, wenn ausländischen Produzenten so der Marktzugang erschwert wird.

Diese ambivalente Situation verführt dazu, unter dem Deckmantel sinnvoll erscheinender Argumente gezielt Schutz vor Wettbewerb zu suchen. Die Weichenstellungen, die derzeit in nahezu allen Volkswirtschaften im Namen der Krisenbekämpfung erfolgen, sind besonders anfällig für diesen Protektionismus durch die Hintertür: Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass protektionistische Bemühungen stark zugenommen haben. Dies gilt in besonderem Maße für Rettungsmaßnahmen zugunsten von Unternehmen der Realwirtschaft, aber auch bei Beschaffungen und Investitionen der öffentlichen Hand sowie bei der Stützung heimischer Unternehmen unter dem Vorwand ökologischer Vorteilhaftigkeit.

Wohlfahrtsmotor Welthandel

In der aktuellen Wirtschaftskrise war es zweifellos notwendig, den Finanzsektor mit umfangreichen Maßnahmen zu stabilisieren, die sogar bis zur (Teil-)Verstaatlichung von Finanzinstituten reichen. Ebenso spricht viel dafür, dass die Regierungen versuchen, mit fiskalischen Maßnahmen den Abschwung zumindest teilweise abzufedern. Als Exportnation leidet Deutschland besonders stark unter dem plötzlichen, schweren und weltweit synchronen Einbruch des internationalen Handels. Diese Implosion resultiert zum großen Teil aus Finanzierungsproblemen: Offenbar sind Handelskredite, die in "normalen" Zeiten eine wichtige Voraussetzung für einen reibungslos funktionierenden Welthandel darstellen, nicht mehr hinreichend verfügbar. Dieses Problem kann durch Subventionen für die betroffenen Unternehmen allenfalls gelindert, nicht aber gelöst werden. Entscheidend ist, das Funktionieren der Finanzmärkte rasch wiederherzustellen, nicht zuletzt durch eine konsequente Restrukturierung oder Abwicklung insolventer Finanzinstitutionen, die augenblicklich nur künstlich am Leben erhalten werden.

Bei alldem gilt es zu beachten, dass der Welthandel ein leistungsfähiger Wohlfahrtsmotor ist, der allerdings gegenüber Störungen sensibel reagiert. Für viele Produkte hat sich mittlerweile eine Wertschöpfungskette ergeben, die von der Fertigung der Teile über die Herstellung von Zwischenprodukten bis zur Erstellung des Endprodukts über unterschiedliche Länder und große Distanzen reicht und in allen beteiligten Ländern den Wohlstand mehrt. Damit übersetzt sich jetzt der weltweite Rückgang der Nachfrage nach Endprodukten aber auch in einen simultanen Nachfragerückgang entlang der Wertschöpfungskette.

Eine verhängnissvolle Spirale droht

Wegen des ungewohnten Nachfragerückgangs aus dem Ausland liegt es nahe, mit den aufgelegten Konjunkturpaketen vor allem die inländische Nachfrage stärken zu wollen. Das Risiko ist jedoch groß, dass dabei Partikularinteressen bedient und neue Handelsbarrieren errichtet werden. Ein Paradebeispiel ist die Stützung der Automobilindustrie, wie sie in den Vereinigten Staaten, Frankreich oder Deutschland zu beobachten ist: Die Bereinigung seit langer Zeit bestehender Strukturprobleme, die durch die Krise nur noch deutlicher sichtbar geworden sind, wird weiter hinausgezögert, statt zuzulassen, dass Unternehmen aus dem Markt ausscheiden. Ähnlich kritisch zu sehen ist die Ermutigung staatlich gestützter Finanzinstitute, heimische Unternehmen mit Krediten zu versorgen, die sie möglicherweise ansonsten nicht vergeben hätten. Auch stimmt es zwar, dass konjunkturpolitische Maßnahmen schnell greifen müssen, damit sie ihren Zweck erfüllen. Dass deshalb aber Ausschreibungsverfahren ausgesetzt werden, ist nur schwer vermittelbar.

Subventionen für einzelne Branchen oder Unternehmen, Beeinflussungen der Kreditvergabe, Beschränkung von Ausschreibungen - dies sind nur drei Beispiele für versteckte Handelsbarrieren. Sie dürften langfristig für alle schädlich sein: für diejenigen, die sie errichten, und für diejenigen, die durch sie ausgeschlossen oder benachteiligt werden. Eine verhängnisvolle Spirale droht, in der immer mehr Länder auf neue Barrieren im Ausland mit dem Aufbau eigener Barrieren reagieren. Nicht einmal kurzfristige Erfolge einer solchen Politik sind wahrscheinlich. Besonders problematisch ist die versteckte Natur dieser Hemmnisse, denn sie verhindert die offene Diskussion innerhalb und zwischen den einzelnen Ländern.

Ohne Zweifel bringt die international arbeitsteilige Organisation des Wirtschaftens zumindest langfristig erhebliche Vorteile mit sich. So schwierig es ist, auf gesamtwirtschaftlicher Ebene das gemeinsame Auftreten von Phänomenen (Assoziation) von einer Reflektion von Ursache und Wirkung (Kausalität) zu trennen, so deuten die vorliegenden empirischen Belege doch sehr stark darauf hin, dass die Öffnung heimischer Märkte für Investitionen und internationalen Handel die Wohlfahrt deutlich steigert. Die Zunahme des weltweiten Pro-Kopf-Einkommens seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts ist historisch ohne Beispiel, und in der jüngsten Zeit hatte sich das Wachstum sogar noch beschleunigt. Dies trifft gleichermaßen auf die Industrie-, die Schwellen- und  -leider mit Ausnahme des afrikanischen Kontinents- auch auf die Entwicklungsländer zu. Die fortschreitende Liberalisierung des Welthandels stellt eine wichtige Wurzel dieser Erfolge dar. Dies ist vielleicht am deutlichsten im Falle Chinas sichtbar.

Für die Wirtschaftspolitik sind drei Lehren zu ziehen: Erstens ist es aus deutscher Sicht nach wie vor äußerst wichtig, international für die Freiheit des Handels zu werben und getroffene Vereinbarungen zum Freihandel einzufordern. Zweitens muss mit großer Sorgfalt kritisch geprüft werden, wenn heimische Unternehmen etwa durch Subventionen Vorteile erfahren, besonders wenn Maßnahmen das Label "ökologisch" oder "sozial" tragen. Am dringlichsten ist drittens die Formulierung und Durchsetzung einer Exit-Strategie, laut der sich der Staat verpflichtet, so rasch wie möglich wieder loszulassen, wo er im Zuge der Rettungsmaßnahmen privaten Akteuren das Heft aus der Hand genommen und sie damit aus der Haftung für schwache Leistungen entlassen hat. 

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