Politik richtig vermitteln

Emotionen, Symbole, Botschaften - Anmerkungen zur diskreten Kunst der Deutung

Das Beste wollen, Großes vollbringen und dennoch Wahlen verlieren: "Wir haben ein hervorragendes Zukunftsprogramm, doch es ist uns leider nicht gelungen, es zu erklären und zu vermitteln." Wohl wahr. Auch und gerade wenn die Lage sich etwas entspannt, wenn Holzmann, Kohl und Parteitag der Koalition neuen Aufschwung in der öffentlichen Meinung bringen, macht es Sinn, einige etwas grundsätzlichere Überlegungen anzustellen.


In unseren Darstellungen geraten die Verluste oft zu einer Art Naturereignis, das man über sich ergehen lassen muss - ohne jede Möglichkeit der Gegenwehr. Einzig die stille Hoffnung bleibt, dass der Einbruch sich verziehen werde wie der lange Winter. Und wenn dann ein paar warme Tage kommen, ist man leicht verführt, an einen guten Sommer zu glauben.
Mangelnde Geschlossenheit oder Defizite an Disziplin werden beklagt - so als bestünde kommunikative Kompetenz vor allem darin, Eitelkeiten oder Schwatzhaftigkeit zu bändigen, so als ginge es nicht zuerst um die Qualität einer Grundbotschaft. "Mehr Profil zeigen" ist eine interessante Ankündigung nach verlorenen Wahlen. Was denn? Wie denn? Und wem?
Ist Abhilfe möglich? Gehen wir auf die Suche.


Hier ist der Ausgangspunkt: Die Wähler bestimmen mit ihren Ängsten und Hoffnungen den Stoff, um den es geht. Die Inhalte und Themen der öffentlichen Kontroversen sind neben ihrer materiellen Bedeutung zugleich Medium und Symbol. Sie sind Teil einer Vorstellung vom richtigen Leben und als Teil immer auch Signal fürs Ganze - auch dann, wenn dieses Ganze keinen konsistenten Gesamtentwurf ergibt.


Was die einzelnen Themen betrifft, so schwankt ihre Bedeutung in Modephasen. Sie werden für relevant gehalten, weil gerade alle davon reden. Solche konjunkturellen Schwankungen der Aufmerksamkeit treffen selbst Dauerthemen wie Arbeitslosigkeit. Generell gilt zudem: Die öffentliche Präsenz eines Themas bedeutet noch nicht, dass sich auch das Wahlverhalten danach ausrichtet.


Es ist eine uralte Binse der Werbung, dass Botschaften nur tragen, wenn sie emotionalisiert sind. Es geht also nicht um den Inhalt selbst, sondern um die Emotion, die sich daran entzündet. Das ist der tiefere Sinn von "Begriffe besetzen" und bedeutet nicht nur, dass wir sie benutzen, sondern auch, dass sie eine emotionale Bedeutung tragen.
Werbung will die potenzielle Kundschaft bei ihren Sehnsüchten abholen. Und wenn die Sehnsüchte sich ändern - etwa, weil sie zum Teil erfüllt wurden - muss man sich auf die gewandelte Befindlichkeit einstellen.


Politik lebt von der Kraft der Überzeugung, nicht von der Kraft des Arguments. Entgegen dem aufklärerischen Rationalitätsmythos ist Emotion die Grundlage der Aufmerksamkeit und damit der Kommunikation. Ein schwankender Boden, der den innerparteilichen Absicherungsnöten wenig Halt gibt.


Wenn man nun die Darstellungsprobleme seit dem Regierungsantritt genauer betrachtet, so sieht man auf der ersten Ebene eine ganze Reihe von Fehlern, Schwächen, Unklarheiten, Ungeschicklichkeiten, Streitereien. Diese Macken erklären sich aber nicht selbst. Meine These: Dass sie zusammenkommen konnten, liegt an einem komplexen Zusammenhang, den man Kontext-Verschiebung oder Kontext-Verlust nennen kann.


Im Grunde haben Sozialdemokraten das Wahlverhalten bisher vor allem interessenspolitisch gedeutet: Einen Löffel für die Rentner, einen für die Arbeitnehmer, einen für die Frauen, auch einen für die Beamten und noch einen halben für die Studenten, und schon schien ein Wahlsieg fertig.


Die Substanz unseres Angebots war der soziale Aufstieg beziehungsweise die Hoffnung auf einen solchen. Diese Hoffnung wurde an konkrete Forderungen gebunden und die wiederum wurden zum Symbol. Sie standen nicht nur für sich selbst, sondern waren Teil des "Kampfes" für ein materiell besseres Leben.


Dieser Kampf wurde in Reden und Programmen als Kampf um Gerechtigkeit und Solidarität überhöht, aber individuell ganz schlicht dekodiert: Mehr Geld, mehr Urlaub und mehr Freizeit, mehr Lebensqualität für mich. Heute aber haben wir schon deshalb politisch-konzeptionell mit diesem alten Muster einige Schwierigkeiten, weil unsere Angebote für die Aufgestiegenen und für die Chancenlosen materiell nicht identisch sein können und symbolisch-kommunikativ nur mit Mühe unter einen Hut passen.


Die bisher übliche Praxis, unsere Politik mit vielen Zahlen zu rechtfertigen - "Schaut her, was wir für euch getan haben" -, macht noch keine Botschaft. Zahlen funktionieren nur, wenn sie ein Symbol sind für Gerechtigkeit oder Hoffnung. Die Verbindung zwischen einer konkreten Forderung und einer großen Emanzipationserzählung ist aber - auch als Nebenwirkung erfolgreicher sozialdemokratischer Politik - gerissen. Und das bedeutet: Der tradierte Klientelismus ist tot. Der Grundsatz, wer Wohltaten verteilt, wird gewählt, mit der Zuteilung wächst auch die Zustimmung, stimmt nicht mehr.


Kommunikation braucht aber Kontext, und die SPD hat ihren als Folge gesellschaftlicher Entwicklungen verloren. Die alten Botschaften gehen an den heutigen Erwartungen vorbei. Damit fehlt der SPD, um sich heute mitzuteilen, die gewohnte emotionalisierte und politisierende symbolische Dimension. Insofern ist in der Tat ein sozialdemokratisches Jahrhundert zu Ende. Das neue wird auch bei gleicher normativer Bindung eine andere Gestalt annehmen, aber bislang ist deren emotionale Basis nicht gefunden.
Das ist der eigentliche Hintergrund für die Kommunikationsprobleme: Wenn man in den gewohnten und einst erfolgreichen Formeln sendet, trifft man auf ein Publikum, das diese Sprache immer mehr als fremd wahrnimmt und sich abwendet.


Das ist der Grund, warum die Wohltaten vom Beginn der Legislaturperiode vergessen sind und die angekündigten niemanden wirklich interessieren.
Das ist auch der Grund für die Schwäche der SPD in den neuen Bundesländern: Sie sendet auf Frequenzen, die im Osten nur wenige hören. Sie macht gewissermaßen ein Minderheitenprogramm.


Um dem Kontext-Dilemma zu entgehen, um Sehnsüchte und Hoffnungen dennoch zu erreichen, haben sich manche unsere Spitzenreiter auf permanente Medienpräsenz eingestellt und müssen nun mühsam erkennen, dass dieser Aufwand noch keine konsistente Botschaft generiert. Die Zuschauer werden eher verwirrt. Eindrucksvolle Medienereignisse machen in ihrer Summe noch keine erfolgreiche Kommunikation.


Die öffentliche Meinung ist ein breiter Strom voller Treibholz und Strudel. Die Events sind wie schöne, aber zerbrechliche Boote. Sie schaffen nur Tagesaufmerksamkeit. Auch aus beschleunigtem Event-hopping wird nicht notwendig eine erkennbare Linie, permanente Medienpräsenz ist keine Garantie für Einfluss und Wirkung.
Günter Bannas schreibt in der FAZ (vom 22.September 1999): "Die Medienkönige der SPD und der Grünen versagten zuletzt ausgerechnet auf dem Felde, auf welchem sie am stärksten schienen - auf dem der Kommunikation." Da ist etwas dran.

Auswege

Die Bürger halten die Politik für gut, wenn sie sich wohlfühlen und zuversichtlich in die Zukunft schauen. Zustimmung wird über die Befriedigung emotionaler Erwartungen mobilisiert. Die Fähigkeit, auf solche Erwartungen emphatisch einzugehen, macht die große Zustimmung aus, die Clinton und Blair erfahren. Auch wir werden sie brauchen, um jene Strukturreformen zu schaffen, die wir uns vorgenommen haben.


Was ist also zu tun? Der erste und wichtigste Schritt ist die tatsächliche Konsistenz unseres Angebots: Das Produkt muss stimmen. Da gibt es noch einiges zu tun, um die sozialdemokratischen Aufgaben bzw. Angebote im beginnenden 21. Jahrhundert zu bestimmen.


Der zweite Schritt ist die Stimmigkeit der Kommunikation über das Produkt. Das bedeutet nicht, sich ein für alle Mal auf bestimmte Instrumente oder Verfahren festzulegen, sondern vermittelt sich über Ziele und Haltung. Grundregel: Wenn man die sachpolitische Lösung hat, gilt es, die Präsentation zu entwickeln. Die inhaltliche Lösung ist noch nicht die Botschaft.
Kommunikation ist mehr als Pressearbeit und Verlautbarung. Wir betreiben Öffentlichkeitsarbeit noch vielfach als schlichte Verbreitung von Beschlüssen, statt sie als einen permanenten Prozess anzulegen, der sich an strategischen Zielen orientiert. Wenn man das richtig machen will, muss man die Arbeitsorganisation, das Personaltableau und die Budgets darauf einstellen. Ein Pressesprecher als Appendix des Politikprozesses bleibt ein Symptom des Mangels. Wie man das besser organisiert, kann man sich bei Blair und Clinton ansehen.


Dazu brauchen wir einen Wechsel der Perspektive: In unseren Papieren scheinen Bedrohungen der eigentliche Motor politischer Aktivität: Von Europa, Kapitalmobilität, Steuerungsverlust der Politik gehen Gefahren aus, denen wir uns entgegenstellen müssen. Wir verbreiten so Ängste statt Zuversicht. So hat sich im ersten Jahr das Grundgefühl entwickelt, wir nähmen etwas weg, statt etwas zu geben. Dieses Gefühl lebt völlig unabhängig von irgendwelchen realen Zahlen. Wir haben den Leuten nicht Geld weggenommen, sondern Sicherheit - weil wir selbst nicht sicher waren.


Unser Grundangebot muss daher Kontinuität und Stabilität unter sich wandelnden Bedingungen sein - Sicherheit im Wandel. Wandel wird dabei zu einem Instrument, diese Sicherheit zu gewährleisten und keine Bedrohung, die ständige Abwehrmaßnahmen und Anstrengungen erfordert.


Zum Schluss noch zwei Anmerkungen: Erstens, die Kunst der Zuspitzung basiert auf Klischees (Images). Die grundlegende Kompetenzvermutung zugunsten der SPD ist die soziale Gerechtigkeit. Diese Kompetenz gilt es zu wahren und in jene Vorstellung vom gute Leben zu transponieren, an der wir uns im 21. Jahrhundert orientieren wollen. Das ist die Basis der sozialdemokratischen Erzählung.


Zweitens, wer ein Land regieren will, sollte es mögen und sich selbst mittendrin verorten, nicht irgendwo am Rande: "Wir Deutsche" muss sozialdemokratisch buchstabierbar sein. Erst dann sind wir wirklich Regierungspartei und nicht strukturelle Opposition.


Soziale Kernkompetenz und die Identifikation mit Land und Leuten sind unerlässlich, wenn wir möchten, dass man mit uns neue Wege geht. Sie sind die Basis unserer Glaubwürdigkeit, und die wiederum ist das Fundament aller Zustimmung. Es ist, wie man sieht, ganz einfach.

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