Plädoyer für eine neue Schuldenbremse

Der bisherige Investitionsbegriff des Grundgesetzes begünstigt Beton - und ist deshalb nicht mehr zeitgemäß. Warum die Obergrenze für die Neuverschuldung künftig an die staatlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung gekoppelt werden sollte

Die Schuldenuhr tickt ohne Erbarmen. Jede Sekunde addiert sie 1.056 Euro neue Schulden zu den 1.500 Milliarden Euro, die Bund, Länder und Gemeinden bereits an Verbindlichkeiten haben. Das entspricht 68 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wird nicht gegengesteuert, wächst die Quote bis zum Jahr 2050 auf erschreckende 239 Prozent an. So prognostiziert es das Institut der deutschen Wirtschaft. Die Haushalte ächzen schon jetzt unter der Last der Zinszahlungen – allein der Bund musste im letzten Jahr etwa jeden sechsten Euro seines Budgets für 40 Milliarden Euro Schuldzinsen ausgeben.

Die gute konjunkturelle Entwicklung sorgt derzeit zwar für eine Absenkung der Neuverschuldung auf nur noch 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, aber eine Tilgung der Schulden hat damit noch nicht begonnen. Die Schuldenuhr tickt weiter. Und die Herausforderungen werden größer. Schließlich wird es in einer alternden Gesellschaft immer weniger Steuerzahler geben, die den Schuldenberg und immer mehr Rentner finanzieren müssen.

Keine Frage: Die zu hohe Staatsverschuldung frisst die Handlungsspielräume der Politik auf – und die Zukunftschancen der nachfolgenden Generationen. Ein Umsteuern ist dringend erforderlich. Jetzt bietet sich dazu die historische Gelegenheit. Denn Bund und Länder verhandeln in der Föderalismuskommission über die Neugestaltung der Finanzbeziehungen. Mit auf der Tagesordnung: eine wirksame Schuldenbremse.

Die bisherige Verschuldungsgrenze des Grundgesetzes hat sich als untauglich erwiesen. Artikel 115 sieht vor, dass die Einnahmen aus Krediten die Investitionen nicht überschreiten dürfen. Dahinter steht folgende Überlegung: Wenn der Staat zukünftigen Generationen schon Schuldenlasten aufbürdet, soll ihnen durch Investitionen zumindest ein Vermögenszuwachs beschert werden. Eine höhere Kreditaufnahme erlaubt das Grundgesetz nur ausnahmsweise zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Das heißt: In einer Rezession kann der Gesetzgeber Steuerausfälle mit höheren Schulden kompensieren. Die Verpflichtung gegenüber dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht bedeutet aber auch, dass die Verschuldung wieder abgebaut werden muss, wenn die Wirtschaft normal läuft oder boomt.

Was heißt eigentlich „Investition“?

Beide Regeln wurden in der Praxis bislang unzureichend beherzigt. Bei der Beurteilung, ob eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliegt, steht dem Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Beurteilungsspielraum zu. Diesen haben die Regierungen beider Lager ausgiebig genutzt. In elf der vergangenen 25 Jahre lag die Neuverschuldung höher als die Summe der Investitionsausgaben. Doch bereits die Verschuldungsgrenze ist das Problem. Der Investitionsbegriff ist zu weit gefasst und erfüllt nicht die Intention des Grundgesetzes, jeder Neuverschuldung einen Vermögenszuwachs für die künftigen Generationen gegenüberzustellen.

Denn bisher zählt beispielsweise der Ersatz einer Autobahnbrücke als Investition, obwohl damit kein Vermögenszuwachs erzielt, sondern nur der Verfall von Staatsvermögen ausgeglichen wird. Ebenso sind Einnahmen aus Privatisierungserlösen, die mit einer Minderung öffentlichen Vermögens verbunden sind, unerheblich für die zulässige Kreditaufnahme. Die fünf Wirtschaftsweisen fordern daher in einem Gutachten für die Föderalismuskommission, den Begriff der Investition viel enger zu fassen als bisher, um damit den erlaubten Kreditspielraum erheblich einzuengen: Als Investition soll nur gelten, was tatsächlich zu einem Vermögenszuwachs führt. Privatisierungserlöse wie der Verkauf von Telekom-Aktien müssten dann von den Investitionen abgezogen werden.

Hinzu kommt, dass die Definition von Investitionen ökonomisch überholt ist. So umfasst der Investitionsbegriff der Bundeshaushaltsordnung im Wesentlichen Baumaßnahmen, nicht aber Personalkosten. Baut der Staat also für Forschungszwecke Gebäude oder schafft er Satelliten und Forschungsschiffe an, so gilt dies als Investition. Nicht als Investition betrachtet werden hingegen die Aufwendungen für Forscher und Entwickler, die einen Löwenanteil der Ausgaben im Bereich Forschung und Entwicklung ausmachen.

Für die wirtschaftliche Kraft unseres Landes kommt es in einer globalen Wirtschaft aber nicht mehr allein auf unsere Infrastruktur wie Straßen oder Schienen an, sondern immer mehr auf unser Wissen. Ein moderner Investitionsbegriff darf sich nicht auf die Investition in Beton beschränken, sondern muss auch die Investition in die Köpfe erfassen. Das Verfassungsgericht mahnte bereits 1989, den Investitionsbegriff zu präzisieren und nannte als zentrales Kriterium den „zukunftsbegünstigenden Charakter“ der Ausgaben.

Auf Forschung und Entwicklung kommt es an

Bei keiner Ausgabe ist der zukunftsbegünstigende Charakter so eindeutig wie bei den Kosten für Forschung und Entwicklung. Daher sollten wir die Neuverschuldung des Staates nicht länger an Investitionen koppeln, sondern einzig an die Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Mit dieser neuen Verschuldungsgrenze ließen sich zwei drängende Probleme auf einen Streich angehen: Wir würden die Verschuldungsmöglichkeiten des Staates einschränken und gleichzeitig die Forschung und Entwicklung als Saatgut für die Zukunft Deutschlands fördern.

Der Haushalt 2007 sieht neue Schulden von 19,6 Milliarden Euro und Investitionen von 24 Milliarden Euro vor. Die Forschungsausgaben liegen bei voraussichtlich zehn Milliarden Euro. Wären sie die Obergrenze für die Neuverschuldung, müsste der Bund entweder weniger Kredite aufnehmen oder die Forschungsausgaben erhöhen. Die dritte Variante wäre, beides gleichzeitig zu tun. In jedem Fall würden sich die Spielräume der künftigen Generationen erhöhen.

Auf diese Weise könnte die Haushaltskonsolidierung elegant mit den Lissabon-Zielen der EU verknüpft werden. Diese besagen, dass die Mitgliedsstaaten die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis 2010 von heute 2,5 auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen sollen. Damit will die EU ihre Innovationsfähigkeit steigern, um auf den globalen Märkten zu bestehen. Zum Vergleich: China hat laut OECD die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den vergangenen fünf Jahren um mehr als 100 Prozent gesteigert und gab 2006 doppelt so viel für Innovationen aus wie Deutschland. Die Bundesregierung hat sich dieser Herausforderung gestellt. Während im Haushalt 2007 die Gesamtausgaben nur noch um 0,9 Prozent steigen, wachsen die Forschungsausgaben um 6,2 Prozent. Mit der neuen Verschuldungsregel würde Deutschland den eingeschlagenen Weg konsequent weiterverfolgen und garantieren, dass jedem neu aufgenommenen Euro auch mindestens ein für die Zukunft angelegter Euro gegenübersteht.

So könnte ein positiver Kreislauf in Gang gesetzt werden: Wachsende Forschungsausgaben führen zu mehr Innovationen, Innovationen wiederum schaffen Arbeitsplätze und lassen mehr Steuereinnahmen in die Staatskasse fließen. Wenn der Staat weniger Schulden macht, tickt die Schuldenuhr langsamer – und im Idealfall irgendwann sogar rückwärts.

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