Ostseekooperation

Anmerkungen zur Nebenaußenpolitik eines Bundeslandes

Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis gehört nicht zu denjenigen Länderchefs, die besonders oft von ihrem Rederecht im Bundestag Gebrauch machen. Als sie am 29. Juni diesen Jahres im Plenum ans Rednerpult trat, hieß der Tagesordnungspunkt: "Die Chancen der Ostseekooperation nutzen". Anläßlich der Übernahme des Vorsitzes im "Ostseerat" durch Deutschland klärte die Ministerpräsidentin die Abgeordneten wortreich über die Bedeutung der Ostseekooperation für Deutschland und die Europäische Union auf. Simonis und ihr Kabinett sehen sich dabei in der Expertenrolle. Seit der Regierungsübernahme durch die Sozialdemokraten im Jahr 1988 ist die planvolle und systematische Zusammenarbeit mit den anderen Ostseeanrainern ein wichtiges politisches Ziel Schleswig-Holsteins. Vor 1988, also zu Regierungszeiten der CDU, war dies kein zentrales Anliegen der Landespolitik. Kooperationen rund um das mare balticum fanden damals eher zufällig auf der Ebene einzelner Institutionen und Kommunen statt.

Nach zwölf Jahren ist es nun Zeit für eine kritische Bestandsaufnahme der eigenen kleinen Außenpolitik eines Bundeslandes. Maßstab dabei können nicht die großen und abstrakten Ziele einer nationalen Außenpolitik sein. Begeben sich die politisch Verantwortlichen einer strukturschwachen Region auf internationales Parkett, müssen ganz konkrete Ergebnisse das Ziel sein. Die Frage ist also, was hat Schleswig-Holstein und seiner Bevölkerung die Ostseekooperation bisher auf wirtschaftlichem, kulturellem, gesellschaftspolitischem und sozialem Gebiet gebracht?

Ernüchternd fällt der Blick auf Handel und Wandel aus. Direktinvestitionen von Unternehmen aus den Ostseeanrainern, insbesondere den skandinavischen Ländern, sind in Schleswig-Holstein eine Seltenheit geblieben. Produktionsstätten nordeuropäischer Firmen gibt es in Schleswig-Holstein so gut wie keine. Lediglich Fracht-Fährlinien sorgen in den Häfen für Umschlag, jedoch kaum für Wertschöpfung. Wenn man also feststellen muß, dass die Ostseekooperation Schleswig-Holstein nicht zu einem interessanten Wirtschaftsstandort für Unternehmen aus den Nachbarländern gemacht hat, bleibt die andere Frage: Sind die Kooperationspartner wenigstens zu Nachfragern für die eigenen Qualitätsprodukte beispielsweise aus der Nahrungsmittelindustrie geworden? Schaut man sich beispielsweise in einem Lebensmittelgeschäft in Finnland um, findet man dort inzwischen auch deutsche Würste - jedoch made in Hessen. Wo die Marmelade eines Lübecker Unternehmens im Regal stehen könnte, finden sich Brotaufstriche aus Süddeutschland. Und die einzige deutsche Spirituose im Angebot des staatlichen Alkoholgeschäfts stammt nicht etwa aus Flensburg sondern aus Niedersachsen. Die Statistik belegt diese Beobachtung: In der Außenhandelsbilanz sind gerade die kaufkraftstarken Länder Nordeuropas mit Ausnahme Dänemarks ganz schwache Abnehmer schleswig-holsteinischer Erzeugnisse. So erreichen weder Finnland, Norwegen noch Schweden auch nur annähernd die Bedeutung als Absatzmarkt für schleswig-holsteinische Produkte wie beispielsweise Österreich, die Schweiz, die Niederlande oder Spanien.

Das gleiche gilt für Dienstleistungen. Schleswig-Holstein will sich als Standort für "Wellness-Tourismus" profilieren. Das Land hat als Folge der Gesundheitsreform Überkapazitäten gerade im medizinischen Bereich. Die staatlichen Gesundheitssysteme vor allem in Norwegen und Finnland können dagegen den Bedarf nicht decken. Daher schließen sie Jahr für Jahr millionenschwere Leistungsverträge über Standardoperationen wie Hüftgelenke oder Herz-Bypässe mit Kliniken und Reha-Einrichtungen in Großbritannien, den Niederlanden und Estland ab. Man muss fragen, warum auch diese Geschäfte trotz Ostseekooperation an Schleswig-Holstein vorbeigehen?

Natürlich kann man den Unternehmen vorwerfen, dass sie selbst zu wenig initiativ werden und die vor der Haustür gelegenen Märkte nicht erschließen. Aber welchen Nutzen verfolgt denn überhaupt die landesoffizielle Ostseekooperation, wenn nicht das wichtigste Ziel die Wirtschaftsförderung ist? Natürlich verfügen die drei Handelskammern in Schleswig-Holstein über ein die Ostsee umspannendes Netzwerk und diverse Repräsentanzen in Polen und den baltischen Staaten. Das gleiche gilt für die Kieler Landesbank, die fast in jedem Ostseeanrainerstaat mit einer Vertretung oder sogar einer Filiale präsent ist. Und nicht zuletzt veranstalten die staatlichen Wirtschaftsförderer regelmäßig Unternehmerreisen in die Regionen. Woran liegt es also, dass die Wirtschaft Schleswig-Holsteins bislang noch viel zu wenig von der Ostseekooperation profitiert?

Die Antwort findet sich in einer Publikation der Kieler Staatskanzlei vom April 2000, in der Schleswig-Holstein als "Motor der Ostseekooperation" gepriesen wird. Stolz wird dort auf ein "vielfältiges Netz praktischer Zusammenarbeit" verwiesen und als Beispiele werden so spannende und praxisnahe Institutionen wie die BSPC (jährliche Ostseeparlamentarier-Konferenz) oder die BSSSC (Konferenz der Subregionen des Ostseeraumes) genannt. Das zeigt: Die Kieler Landesregierung betreibt Ostseekooperation in erster Linie als Kontaktpflege zwischen staatlichen und halb-staatlichen Institutionen und Organisationen.

Stellt man nun die kritische Frage, ob es nicht auch etwas Konkretes gibt, wird gerne auf zwei vom Land geförderte kulturelle Großereignisse mit Ostseebezug hingewiesen: Die Nordischen Filmtage in Lübeck und das Jazz-Baltica Festival auf Schloß Salzau bei Kiel. Doch so interessant diese beiden kulturellen Höhepunkte auch sind, sie bleiben ohne Breitenwirkung.

Das Ziel, mit den übrigen Ostseeanrainern immer enger zusammen zu arbeiten, um daraus einen Nutzen für das eigene Land zu ziehen, ist richtig. Die Regierung versäumt es jedoch bis heute, ausreichend Grundlagen dafür zu schaffen, dass aus dem theoretischen Gedanken eines Tages eine Bewegung wird, die breitere Teile der Bevölkerung und auch der Wirtschaft erfaßt. Nach Auskunft des Kieler Kultusministeriums wird außer Dänisch im nördlichen Landesteil (und sporadisch Russisch) an keiner Schule des Landes eine Ostseesprache unterrichtet. Und auch die Lehrpläne der gemeinschaftskundlichen Fächer sind so gestrickt, dass der aufmerksame Schüler zwar viel über das Regierungssystem der USA und die Dritte-Welt-Problematik lernt, ansonsten aber in dem Glauben gelassen wird, dass Finnland genau wie Schweden, Norwegen und Dänemark eine Monarchie ist. Wie soll unter diesen Bedingungen ein breites Interesse an der Ostseekooperation erzeugt werden?

Gewiß: Zusätzliche Unterrichtsangebote, obligatorische Klassenfahrten in die Ostseeanrainerstaaten, Schüleraustauschprogramme, die intensive Anwerbung ausländischer Praktikanten, die Förderung von Vereinsreisen: Das alles kostet Geld. Aber wie sonst, wenn nicht über eine Breitenbewegung, können die erhofften wirtschaftlichen, gesellschaftspolitischen, wissenschaftlichen und kulturellen Impulse aus der Ostseekooperation entstehen? Sicher nicht durch den gepflegten Meinungsaustausch im Rahmen der BSPC, BSSSC oder ähnlicher Einrichtungen.

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